"Wie kann man sich so seinen Abschied zerstören? Alle lieben diesen Fußballer, alle verehren ihn." Reinhold Beckmann kommentierte eine der denkwürdigsten Szenen der Fußball-Geschichte, merklich nach den richtigen Worten suchend.
Gerade hatte Zinedine Zidane Marco Materazzi im WM-Finale per Kopfstoß zu Boden gestreckt. Es war Zidanes letztes Spiel seiner Karriere. Ein unrühmlicher Abschied. Gianluigi Buffon stand damals rund 30 Meter vom Tatort entfernt zwischen den Pfosten der italienischen Nationalmannschaft. Und er feierte später im Berliner Olympiastadion den Titel mit der Squadra Azzurra.
Zwölf Jahre später stampfte Buffon wutentbrannt an Zidane vorbei in die Katakomben des Estadio Santiago Bernabeu. Es war nicht sein letztes Spiel, möglicherweise jedoch sein letzter Auftritt in der Champions League. Schiedsrichter Michael Oliver hatte Buffon die Rote Karte gezeigt, nachdem dem Keeper ob des Elfmeterpfiffs gegen Juventus in der dritten Minute der Nachspielzeit jegliche Fassung abhandengekommen war.
Buffon: "Fahr zur Hölle"
"Fahr zu Hölle", hatte er dem englischen Referee offenbar entgegengebrüllt. Später legte er beim italienischen Fernsehsender Mediaset noch weitere Anschuldigungen nach: "Nur einer, der statt eines Herzens einen Mülleimer in seiner Brust hat, kann solche Entscheidungen treffen." Und weiter: "Mit seinen beiden Entscheidungen in der Nachspielzeit hat er bewiesen, dass er ein Killer ist, ein Tier."
Michael Oliver und Buffon würden an diesem Abend keine Freunde mehr werden. Das war klar.
Gianluigi Buffon und der Champions-League-Fluch
Buffon verließ die internationale Bühne mit einem lauten Knall. Ein Knall, der zwar nicht so laut war wie jener, für den Zidane 2006 im Olympiastadion in Berlin gesorgt hatte, der für das Fanherz jedoch ähnlich schmerzhaft war. Es war ein tragischer Abgang einer Ikone.
Die Worte von Beckmann hätten auch in diesem Moment wie die Faust aufs Auge gepasst: Alle lieben diesen Fußballer, alle verehren ihn. Buffon genießt einen außergewöhnlichen Status als einer der fairsten Sportler der Welt.
Am Mittwochabend ließ er neben seinem Ausraster durchblicken, warum: "Real ist ein großartiges Team und ich hoffe, sie marschieren bis ins Finale", sagte Buffon später anerkennend. Gegenüber Oliver teilte er heftig aus, gegenüber den Königlichen verhielt er sich ganz Buffon-like als fairer Verlierer. Und das, nachdem ihm sein Fang einmal mehr durch die Lappen gegangen war. Der Champions-League-Titel fehlt noch in Buffons reichlich dekorierter Vitrine und er wird auch nicht mehr dazukommen.
Vor einem Jahr war glitt ihm der Henkelpott bereits zum dritten Mal im Finale aus den Händen. Es scheint wie ein Fluch. Im Millennium Stadium in Cardiff war Buffon ebenfalls gegen Real chancenlos. Die ersten beiden Treffer waren unhaltbar abgefälschte Schüsse. Bei den Toren drei und vier ließen ihn seine Vordermänner im Stich.
Buffons Champions-League-Finals im Überblick
CL-Saison | Endspiel | Ergebnis |
2002/03 | AC Milan - Juventus Turin | 3:2 n.E. |
2014/15 | FC Barcelona - Juventus Turin | 3:1 |
2016/17 | Real Madrid - Juventus Turin | 4:1 |
Zinedine Zidane: "Juve brachte uns ins Schwierigkeiten"
Wieder gescheitert. Der große Fang blieb aus. In der laufenden Spielzeit warf Buffon seine Angelrute erneut aus. Vor eine Woche schien der Traum erneut beerdigt. "Wir sagten uns vor dem Spiel, dass unsere Chance auf ein Weiterkommen bei 0,000001 Prozent steht", sagte Buffon nach dem Rückspiel. Einen 0:3-Rückstand holt man in Madrid eben nicht mal eben auf.
Das Estadio Santiago Bernabeu zierte ein Fan-Banner, auf dem ein weißer Hai zu sehen war. Neben dem Schriftzug "Great White".
Dem großen weißen Hai stand eine bereits am Boden liegende Alte Dame gegenüber. Es war, als müsste eine gebrechliche Oma einen Hai aus dem Wasser ziehen.
"Aber man weiß nie, besonders, wenn man so eine Mannschaft wie Juve hat, in der solche Charaktere spielen, die zu allem fähig sind", sagte der 40 Jahre alte Torhüter. Tatsächlich schaffte Juve das für Unmöglich geglaubte.
Mit dem frühen Führungstreffer nach 77 Sekunden schien das Wunder möglich. "Ich hatte kein so schnelles Gegentor erwartet. Juve presste hoch, machte einen hervorragenden Job und brachte uns so in Schwierigkeiten", gestand Zidane nach der Partie ein.
"Niemand hat für möglich gehalten, dass wir das Ding noch drehen, aber wir haben nie aufgehört, daran zu glauben", sagte Giorgio Chiellini. Aus einer besser strukturierten und hochkonzentrierten Abwehr heraus, setzte Juve die nötigen Nadelstiche. Mit ein wenig Glück und dem 3:0 durch Blaise Matuidi war der Hai tatsächlich an Bord gezogen.
Schiedsrichter Michael Oliver entscheidet auf Elfmeter
Nun galt es, ihn irgendwie festzuhalten, zumindest bis zur Verlängerung. Buffon half dabei tatkräftig mit, glänzte mit fünf Paraden und stellte einmal mehr unter Beweis, dass er trotz seiner 40 Jahre noch immer zur Weltspitze gehört.
Es war fast geschafft. Juve hielt Reals Schlussoffensive stand. Bis zu den letzten Sekunden der Nachspielzeit. Nach einer Flanke aus dem linken Halbfeld legte Ronaldo den Ball per Kopf in die Mitte ab, wo Lucas Vazquez vor Buffon auftauchte. Medhi Benatia sprang zum Ball und drückte Vazquez zu Boden.
So zumindest sah es Schiedsrichter Oliver. Vazquez aber nahm den geringen Kontakt, den er im Rücken spürte dankend an. Klar, Benatia stand äußerst ungünstig und muss dennoch zum Ball. Dafür löste er die Situation gut, schlang sein linkes Bein um Vazquez herum zum Ball und klärte.
Oliver zeigte auf den Elfmeterpunkt. Eine strittige Entscheidung, die den weißen Hai vom Deck der Alten Dame zurück ins Meer werfen sollte. Oliver argumentierte wohl ähnlich, wie es Ronaldo nach dem Spiel tat: "Ich weiß gar nicht, warum Juve sich beim Elfmeterpfiff so aufgeregt hat. Das war für mich eine klare Sache. Ansonsten hätte Vazquez das Tor geschossen."
Gianluigi Buffon nach CL-Aus: "Sehr stolz" auf die Mannschaft
Buffon verstand die Welt nicht mehr, redete vehement und aggressiv auf den Referee ein, ehe er dafür die Rote Karte sah.
Buffon musste wortwörtlich erneut zusehen, wie ihm sein Fang entwischte. "Heute haben wir es vollkommen verdient, zumindest in die Verlängerung zu kommen", sagte Buffon, der "sehr stolz" darauf sei, wie seine Mannschaft gespielt hat: "Wir haben das Unmögliche möglich gemacht. Es ist eine Schande, dass es so endete."
Stolz paarte sich in den Worten der Ikone mit bitterer Wut.
Wie schon nach dem verlorenen Finale vor einem Jahr machte sich in der Fußball-Welt Empathie gegenüber Buffon breit. "Es ist sehr traurig, vor allem für unseren Kapitän Gigi", sagte Benatia und sprach etlichen Fußballbegeisterten aus der Seele.
Gianluigi Buffon: Karriereende im Sommer noch nicht beschlossene Sache
Buffon verabschiedete sich mit einer Floskel in den Nachthimmel von Madrid, die einen Funken Hoffnung übrig lässt, dass dies nicht der letzte Auftritt des Routiniers in der Königsklasse war: "Das Leben geht weiter."
Noch ist nicht zu 100 Prozent sicher, ob auch Buffons Fußball-Karriere über diese Saison hinaus weitergehen soll. "Ich habe dem Präsidenten meine Pläne bereits mitgeteilt", sagte Buffon vor einigen Wochen. Im März 2017, als Italien noch im Rennen um die WM-Teilnahme war, sagte er gar, es sei noch nicht sicher, dass er nach der Weltmeisterschaft seine Handschuhe für immer beiseitelegen werde.
Ironischerweise erklärte Buffon damals Sky Sport Italia: "Natürlich habe ich Ziele, aber es gibt keine Sicherheiten. Möglicherweise beende ich meine Karriere mit einem Kopfstoß, wie Zidane es tat."