Ein Familienausflug stand auf dem Programm, als Thomas Grönnemark Anfang Juni 2018 einen Anruf erhielt, der sein Leben verändern sollte. Auf dem Weg zu einem Schokoladengeschäft leuchtete eine englische Nummer auf dem Display des 43-Jährigen auf. Nicht weiter ungewöhnlich für den Dänen, der als Leichtathlet und Bobfahrer viel in der Welt herumgekommen war.
Doch als er seine Mailbox abhörte, während seine Frau und seine Tochter sich der Schokolade hingaben, war er "geschockt", wie er im Gespräch mit SPOX und Goal verrät. Besagte Nummer war nämlich die von Jürgen Klopp. Als Grönnemark hektisch versuchte, den Trainer des FC Liverpool zurückzurufen, blieb er erfolglos und entschied, zunächst nach Hause zu fahren.
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Auf halber Stecke leuchtete Klopps Nummer allerdings erneut auf und Grönnemark fuhr von der Landstraße schnurstracks aufs Feld, um den Anruf entgegenzunehmen. Im Gespräch lud der charismatische Coach ihn zu einem Austausch ins Reds-Trainingszentrum nach Melwood ein. Klopp war interessiert, den Dänen in sein Trainerteam aufzunehmen - als Einwurftrainer.
Grönnemark: "Im Fußball ist man schlechte Einwürfe gewöhnt"
Schon wenige Tage später stieg er ins Flugzeug und traf Klopp im Trainingszentrum der Reds. Nach einigen Gesprächen stand schließlich fest, dass Liverpool künftig mit dem Einwurftrainer zusammenarbeiten wird. Grönnemark unterschrieb zunächst einen Vertrag bis zum Jahresende 2018. "Für mich war es die Erfüllung eines Lebenstraums", schwärmt er.
Was auf den ersten Blick bizarr wirkt, war für Grönnemark zu diesem Zeitpunkt allerdings selbstverständlich, schließlich verdiente er schon damals sein Geld damit, Profiteams darin zu schulen, den Ball richtig einzuwerfen. Nach seiner aktiven Sportlerkarriere ging er der Thematik auf den Grund, recherchierte mehr als ein halbes Jahr, entwickelte ein spezielles Einwurftraining und machte sich den Einwurf zur Lebensaufgabe.
Vor allem in seiner dänischen Heimat hat er sich längst einen Namen als Einwurftrainer gemacht, weil der amtierende Meister FC Midtjylland seit 2009 akribisch mit Spezialtrainern zusammenarbeitet. Auch sie sind einer der Gründe, warum der "Moneyball-Klub" in den Jahren 2015 und 2018 den Meistertitel holen konnte.
"Einwürfe werden sehr unterschätzt", ist sich Grönnemark sicher. "Wenn ein Spieler einen schlechten Einwurf macht, wird es von keinem Kommentator thematisiert." Der Spezialtrainer ist davon überzeugt, dass man im Fußball "schlechte Einwürfe gewöhnt" ist. Es sei fast schon erwartbar, dass die Bälle nicht beim Mitspieler landen würden.
Liverpools Einwurftrainer steht im Guinness-Buch der Rekorde
"Viele vergessen allerdings auch, dass man nach Einwürfen etliche Tore machen kann", fügt er an und verweist auf Midtjylland, die in der vergangenen Spielzeit zehn Tore nach Einwürfen erzielt haben. Die meisten davon hat Kian Hansen eingeleitet, der den Ball dank Grönnemarks Training mehr als 30 Meter weit werfen kann.
Besser als Hansen, Liverpools Joe Gomez oder Mikkel Qvist vom dänischen Erstligisten AC Horsens, die Grönnemark für die besten Einwerfer im Profifußball hält, ist wahrscheinlich nur er selbst. Mit 51,33 Metern steht er seit dem 18. Juni 2010 für den weitesten je gemessenen Einwurf offiziell im Guinness-Buch der Rekorde.
Beim Rekordwurf schleuderte er den Ball spektakulär per Flickflack ins Feld. Eine Technik, die zwar die nötige Weite bringt, allerdings für den Profifußball ungeeignet ist. "Der Flip-Einwurf ist zu lang in der Luft und daher leicht zu verteidigen", erklärt Grönnemark. "Die Gegenspieler haben viel zu viel Zeit, sich zu positionieren."
Thomas Grönnemark setzt auf "schnelle" und "kluge" Einwürfe
Bei der Einwurflehre des Dänen geht es allerdings um mehr als nur darum, den Ball möglichst weit in die Hälfte des Gegners zu werfen. Im Training geht er speziell auch auf "schnelle" und "kluge" Einwürfe ein, deren Ziel es ist, Konter einzuleiten, das Spiel schnell zu machen und sich gut zu positionieren, sobald der Ball die Seitenauslinie überquert.
"Die meisten Teams verlieren den Ball, wenn sie beim Einwurf Druck bekommen und alle Mitspieler gedeckt sind", weiß Grönnemark. "Deshalb beruhen rund 50 Prozent der Einwürfe auf Zufall. Wenn man eine solche Passquote mit dem Fuß haben würde, wäre man längst ausgewechselt worden."
Mit Argumenten wie diesen hat er auch Klopp von einer Zusammenarbeit überzeugt, obwohl der Liverpool-Coach vor dem ersten Gespräch keine Defizite im Einwurfspiel bei seinem Team gesehen habe. "Nach unserem Meeting war er aber davon überzeugt, dass er mich einstellen muss", freut sich Grönnemark. "Ich glaube, Klopp schätzt meine Arbeit sehr."
Liverpool-Trainer Jürgen Klopp schwärmt vom Einwurftrainer
Eine These, die sich mit Blick auf Klopps Aussagen bei diversen Pressekonferenzen bestätigen lässt. "Er ist ein guter Typ. Das muss ich ehrlich sagen. Er hat uns schon jetzt weitergebracht und die Jungs mögen es, wenn jemand weiß, wovon er spricht", sagte er im August 2018. "Man kann nicht genug Spezialisten um sich herum haben. Wir haben Fitnesstrainer, verschiedene Ärzte, Ernährungsberater und nun auch jemanden für Einwürfe."
Nicht umsonst verlängerten die Reds Grönnemarks Vertrag im vergangenen Winter bis zum 30. Juni, zumal seine Arbeit bereits erste Früchte trägt. So zählt Verteidiger Joe Gomez dank Grönnemarks Techniken inzwischen zu den weltbesten Einwerfern, was er jüngst in der Nations League unter Beweis stellen konnte.
Im letzten Gruppenspiel gegen Kroatien leitete Gomez per Monster-Einwurf das 1:1 von Jesse Lingard ein und ebnete damit den Weg zum Sieg und dem damit verbundenen Einzug in die Endrunde des Nationenturniers. Nachdem Liverpool und Grönnemark für ihre Zusammenarbeit anfangs belächelt wurden, schwärmte nun die Weltpresse von Gomez' spezieller Einwurftechnik.
Auch ein Bundesligist trainiert mit Grönnemark
"Ich war sehr stolz, dass Joe den Treffer vorbereitet hat", erzählt Grönnemark. "Nach der Partie wurde plötzlich auf der ganzen Welt über mich berichtet und Journalisten von der New York Times oder aus Argentinien haben mich angerufen."
Nicht zuletzt wegen der internationalen Berichterstattung über den Dänen ist Einwurftraining inzwischen auch in Deutschland ein Thema. Eines der sechs Teams, die Grönnemark in der Saison 2018/19 betreut, spielt in der Bundesliga. Welcher Klub mit dem Spezialtrainer zusammenarbeitet, will er allerdings nicht verraten. "Es ist abgesprochen, dass wir das Training geheim halten", erklärt der Coach.
Aufgrund dieser medialen Aufmerksamkeit wäre es verwunderlich, wenn nicht auch Niko Kovac, Trainer des FC Bayern, vor dem Rückspiel im Champions-League-Achtelfinale gegen Liverpool speziell auf die Einwürfe der Reds hinweist, wenngleich Weitwerfer Gomez nach einer Knöcheloperation noch nicht einsatzfähig ist.
Liverpools Robertson verbesserte Einwurf um acht Meter
"Wir haben einige gute Einwerfer im Team", droht der 43-Jährige den Münchnern. Speziell auf seine Außenverteidiger Trent Alexander-Arnold und Andy Robertson ist Grönnemark "stolz", da sie sehr akribisch an ihrer Technik gearbeitet hätten. So habe sich der Kapitän der schottischen Nationalmannschaft seit dem gemeinsamen Training laut Grönnemark von rund 19 auf 27 Meter verbessert.
"Es ist gefährlich, als Außenverteidiger derart kurz zu werden, weil es zwangsläufig bedeutet, dass man sehr unter Druck gesetzt werden kann", weiß der Spezialtrainer. "Mit einem größeren Einwurfareal erhöht man massiv die Chance, in Ballbesitz zu bleiben, da man viel mehr Möglichkeiten und Anspielstationen hat."
Schon am Mittwochabend könnten die Einwürfe als "massiv unterschätztes Stilmittel" für Robertson und Co. womöglich ein Weg sein, den FC Bayern im richtungsweisenden Königsklassen-Kracher zu überraschen.
Und sollte in der Allianz Arena tatsächlich ein Einwurf das entscheidende Tor für die Klopp-Elf einleiten, würde Grönnemarks Telefon in den kommenden Tagen kaum stillstehen. Womöglich würden in diesem Fall schon am Donnerstag diverse Nummern aus verschiedenen Ländern auf seinem Handydisplay aufleuchten.