Vielleicht war das ein bisschen unfair dem Carabao Cup gegenüber - den es immerhin schon seit 1960 gibt und der sogar mal den deutlich schöneren Namen League Cup trug -, aber Tottenham-Trainer Mauricio Pochettino ging es natürlich gar nicht um Verunglimpfungen. Es ging ihm ums Prinzip. "Vor fünf Jahren wäre es für den Klub ein Traum gewesen, unter den Top-Vier zu stehen und in der Champions League zu spielen. Außerdem werden wir bald in einem guten Zustand unser neues Stadion beziehen", sagte Pochettino. "Das ist mehr wert, als einen Carabao Cup zu gewinnen."
Der Carabao Cup wird Pochettino diese Aussage verzeihen. Es war schließlich kein Angriff auf ihn, sondern Pochettinos Antwort auf die Erwartungen von Teilen des Vereinsumfelds. Den Teilen, die einen Titel von ihm fordern. Seit über viereinhalb Jahren trainiert Pochettino Tottenham bereits und seitdem entwickelte sich der Klub hervorragend. "Für mich leisten wir hier Größeres, als Titel zu gewinnen", sagt Pochettino und hat damit durchaus Recht.
Er vermittelte dem Klub eine klare Spielphilosophie. Er gab jungen, selbst ausgebildeten Spielern Einsatzchancen, machte sie zu Nationalspielern und schaffte es dann, viele trotz Abwerbeversuchen der Konkurrenz an den Klub zu binden. Er schuf eine Mannschaft, mit der sich die Fans identifizieren und führte sie mit deutlich geringeren finanziellen Mitteln als die Konkurrenz zuletzt drei Mal in Folge auf einen der ersten drei Tabellenplätze. Das gelang Tottenham in der gesamten Vereinsgeschichte erst einmal: Anfang der 1960er Jahre.
Nur eines schaffte Pochettino eben noch nicht: einen Titel zu gewinnen. Und das beginnt einige Fans langsam aber sicher zu nerven. Es ist ein bisschen der Fluch der guten Tat, die Auswüchse des ewig undankbaren Fußballgeschäfts. Man kann unendlich viel erreichen - aber es wird immer noch mehr erwartet.
Tottenham Hotspur verspielt drei Titelchancen
Im Januar scheiterte Tottenham innerhalb von drei Tagen zunächst im Carabao-Cup-Halbfinale am FC Chelsea und dann in der 4. Runde des FA Cups an Crystal Palace. Erstmals kam Kritik auf. Immerhin siegte Tottenham daraufhin in der Premier League zunächst weiter und hatte vor dem Achtelfinalhinspiel in der Champions League gegen Borussia Dortmund nur fünf Punkte Rückstand auf Tabellenführer FC Liverpool sowie zehn Vorsprung auf den ersten Nicht-Champions-League-Platz.
Seit dem 3:0-Sieg gegen Dortmund ging es aber auch in der Premier League bergab: 1:2 beim FC Burnley, 0:2 beim FC Chelsea, 1:1 gegen den FC Arsenal. Beim Nordlondoner Derby agierte Tottenham vor allem defensiv teilweise fahrig. Vor dem Gegentreffer zum zwischenzeitlichen 0:1 unterlief beispielsweise Innenverteidiger Davinson Sanchez ein verheerender Fehler. Glück hatte Tottenham dagegen bei der Entstehung von Harry Kanes Elfmeter-Ausgleich: der gefoulte Kane war zuvor ungeahndet im Abseits gestanden.
Die kleinen Hoffnungen auf den Meistertitel sind nun jedenfalls dahin und der Vorsprung auf den fünftplatzierten Lokalrivalen Arsenal schrumpfte innerhalb von einer Woche von zehn auf vier Punkte. Sogar die Champions-League-Qualifikation ist somit auf einmal in Gefahr.
Mauricio Pochettino ist leicht genervt
All das machte Pochettino leicht genervt. So geriet er zuletzt etwa regelmäßig mit Schiedsrichtern aneinander. Schon nach einem 3:1-Sieg Mitte Februar gegen Leicester City kritisierte Pochettino die Leistung des Unparteiischen Michael Oliver. Eine Gelbe Karte für Heung-Min Son quittierte er nach dem Spiel mit einem: "Unglaublich, unglaublich, unglaublich!" Beim 1:2 gegen Burnley kam es zu einem Wortgefecht mit Schiedsrichter Mike Dean, für das Pochettino vom Verband mit einer Geldstrafe belegt wurde.
Vor dem Hinspiel gegen Dortmund kritisierte er außerdem die knappe Ansetzung des Spiels gegen Leicester am Sonntag. "Sehr wütend" sei er deswegen gewesen. Dass Tottenham Dortmund dann trotzdem 3:0 schlug, sorgte immerhin dafür, dass der Klub noch in einem Wettbewerb im Titelkampf ist. Die Chancen auf einen Viertelfinaleinzug in der Champions League stehen gut, aber was ist dann noch möglich? Und was, wenn es in der nächsten Saison erneut zu keinem nationalen Titel reicht?
"Wenn Daniel (Präsident Daniel Levy, Anm. d. Red.) sagt: 'Wir müssen einen Titel gewinnen! Wir müssen die Champions League gewinnen! Wir müssen die Premier League gewinnen!', dann muss er sich womöglich einen neuen Magic Guy suchen", sagt Pochettino. "Magic Guy", das bezog sich auf einen Fangesang. "He's magic, you know, Mauricio Pochettino", skandieren die Tottenham-Fans gerne.
Tottenham Hotspurs erschwerende Umstände
Irgendwann reichen aber auch Pochettinos magische Fähigkeiten nicht mehr. Vor allem, wenn einige erschwerende Umstände dazukommen - die Pochettinos Leistungen mit Tottenham aber eigentlich nur noch erstaunlicher machen. Der Klub hat seit über eineinhalb Jahren keine richtigen Heimspiele mehr. Wegen des Neubaus der White Hart Lane spielt Tottenham im Wembley-Stadion. Eigentlich hätte der Einzug ins neue Stadion bereits Anfang dieser Saison vollzogen werden sollen, doch etliche bauliche Komplikationen verschoben den Termin immer weiter nach hinten. Aktuell wird mit einer Fertigstellung zur neuen Saison gerechnet.
Unterdessen verdoppelten sich die Baukosten von ursprünglich angedachten 500 Millionen auf rund eine Milliarde Pfund. Das hat gleichzeitig Auswirkungen auf das Budget für neue Spieler: in den vergangenen beiden Transferphasen holte Tottenham keinen einzigen Neuzugang.
"Sind die Erwartungen an uns fair oder nicht?", fragte Pochettino deshalb zuletzt leicht sarkastisch. Und auch: "Haben wir die gleichen Mittel wie unsere Konkurrenten zur Verfügung oder nicht?" Haben sie nicht. Aus den vorhandenen Mitteln holt Pochettino bei Tottenham das Maximale heraus. Aktuell macht es aber ein bisschen den Anschein, als würde das Maximale nicht reichen. Pochettino selbst hat immerhin seinen Humor nicht verloren. Als er neulich zum Trainer des Jahres gekürt wurde, nahm er die Trophäe stolz entgegen und sagte: "Endlich habe auch ich mal einen Titel gewonnen."