Die wundersame Geschichte hinter Nottingham Forests Königsklassen-Triumph vor 43 Jahren

Nino Duit
04. Juni 202213:07
Larry Lloyd feiert den Gewinn des Europapokals der Landesmeister 1979 im Münchner Olympiastadion.imago
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Der englische Traditionsklub Nottingham Forest kehrt nach 23 Jahren in die Premier League zurück. Da ist es Zeit, um an einen glorreichen Tag zu erinnern. Am 30. Mai 1979 gewann Nottingham Forest den Europapokal der Landesmeister - drei Jahre zuvor hatte der Klub noch in der zweiten Liga gespielt. Möglich machten diese wundersame Reise Trainergenie Brian Clough und sein ewiger Assistent Peter Taylor.

Dieser Artikel erschien zum ersten Mal am 30. Mai 2019.

Wo es ihm in Nottingham denn besonders gut gefalle, wurde Brian Clough einst gefragt, und er nannte den River Trent. Natürlich! Diesen Fluss, der sich an Forests Stadion City Ground vorbeischlängelt. "Dort ist es wundervoll", sagte Clough also. "Das weiß ich, weil ich 18 Jahre lang über sein Wasser gegangen bin." Clough hatte in Nottingham Wunder vollbracht, das wussten alle und das wusste er selbst natürlich am besten.

1975 hatte Clough den Trainerposten bei Nottingham übernommen. Der Klub rangierte damals auf Platz 13 der zweiten Liga. Zwei Jahre später war Nottingham erstklassig und drei Jahre später erstmals Meister. Für Nottingham war das eine einmalige Leistung, nicht aber für Clough.

Clough: Held zweier Erzrivalen

Keine zehn Jahre zuvor hatte er schließlich dasselbe mit Derby County vollbracht: als Zweitligisten übernommen, zum Meister gemacht. Im Streit mit dem Vorstand verließ Clough Derby aber ein Jahr nach dem Meistertitel von 1972. Die Spieler liebten ihn, sie wollten ihn behalten, doch es war nichts zu machen. Clough blieb stur.

Er trainierte dann Brighton & Hove Albion und Leeds United, ehe er für die größtmögliche Empörung sorgte und zu Derbys Lokalrivalen Nottingham wechselte. Heute, über 40 Jahre später verbindet die beiden Städte nicht mehr nur gegenseitige Ablehnung, sondern auch eine Autobahn namens Brian Clough Way. Clough schaffte es tatsächlich, zum Helden zweier Erzrivalen zu werden.

Nachdem er mit Nottingham zunächst das Derby-Wunder wiederholt hatte, machte er es noch einen Tick größer: 1979 gewann Clough den Europapokal der Landesmeister und verteidigte den Titel in der darauffolgenden Saison. Wie, nur wie machte Clough das? Clough war vieles, aber durchschaubar, das war er nie.

Der unvollendete Spieler Clough

Als Spieler war Clough ein hoffnungsvolles Stürmertalent. Tore schoss er zunächst für seinen Jugendverein FC Middlesbrough, ehe er zum Lokalrivalen AFC Sunderland wechselte und dort mit dem Toreschießen einfach weitermachte. Clough liebte es zu polarisieren, immer schon. Mit 27 aber verletzte er sich am Kreuzband, erholte sich nie mehr wieder und musste seine Karriere vorzeitig beenden. Clough, der Unvollendete.

Was ihm als Spieler verwehrt blieb, wollte er als Trainer schaffen und er schaffte es: ganz nach oben. Er schaffte es aber nicht alleine, sondern nur mit und auch dank Peter Taylor. Seinem ewigen Assistenten, der stets mehr war als ein Assistent. Kennengelernt haben sich die beiden zu Spielerzeiten bei Middlesbrough. Damals: Clough, das Stürmertalent. Taylor, der Keeperveteran.

Peter Taylor (l.) und Brian Clough beim Landesmeistercupfinale 1979 in München.getty

Draufgänger Clough und Ruhepol Taylor

Später, als Trainerduo: Clough, der großmäulige Draufgänger im öffentlichen Fokus. Taylor, das stille Gehirn im Hintergrund. Schon bei Cloughs erster Trainerstation Hartlepool United in der vierten Liga hatte er Taylor an seiner Seite. Clough brauchte den sieben Jahre älteren Ruhepol. Lediglich in Leeds musste er als Trainer gänzlich ohne Taylor auskommen und es endete im Fiasko, einer Entlassung nach nur 44 Tagen. Das Meisterstück legte das Duo in Nottingham ab - aber auch dort war Clough zunächst alleine.

Auf den Plätzen 16 und acht landete Clough mit Nottingham in seinen ersten beiden Spielzeiten in der zweiten Liga. Dann überredete er Taylor, ihm erneut zu helfen. Nach Cloughs Abschied aus Brighton war Taylor zunächst allein zurückgeblieben. Nun waren sie wieder vereint. Und Taylor begann mit seinem Auge für verborgene Talente die Mannschaft zusammenzustellen, die Clough mit seinem unermesslichen Selbstvertrauen und genialen Man-Management zu einer Siegermannschaft machte.

Taylors Auge für verborgene Talente

Da war etwa Tony Woodcock. Ein Mittelfeldspieler aus der eigenen Jugend, der sich zunächst nicht durchsetzen konnte und verliehen wurde und wieder verliehen wurde. Mal nach Lincoln, mal nach Doncaster. Taylor sah in ihm einen Stürmer, empfahl ihn Clough und Clough hörte auf Taylor. Bald war Woodcock Stamm- und Nationalspieler.

Auch Linksaußen John Robertson war schon länger im Klub, jedoch nicht etabliert, übergewichtig und überhaupt: ein Verkaufskandidat. Taylor aber sah etwas in Robertson. Er setzte ihn auf Diät, arbeitete individuell mit ihm und bald war auch Robertson Nationalspieler. Neben ihm stürmte Garry Birtles, den Taylor beim Amateurverein Long Eaton United entdeckt hatte und für 2000 Pfund verpflichten ließ. Hauptberuflich verlegte Birtles damals Teppiche.

Im Mittelfeld spielte John McGovern, der schon bei Hartlepool unter Clough und Taylor gearbeitete hatte und später Teil der Derby-Meistermannschaft von 1972 war. Bei Coventry City fand Taylor Larry Lloyd und bei Birmingham City Kenny Burns. Beide kamen von Abstiegskandidaten, beide waren zum Zeitpunkt ihres Wechsels Mitte bis Ende 20. Lange verkannte Talente, die in Nottingham Stammspieler wurden und bald das beste Innenverteidigerduo Englands bildeten.

Hinter ihnen stand Peter Shilton. Taylor, der ehemalige Keeper, war immer schon begeistert von Shilton. Als es die Möglichkeit gab, ihn zu verpflichten, sagte er Clough nur: "Er gewinnt dir Spiele." Clough hörte auf Taylor und holte Shilton und Shilton gewann Spiele.

Cloughs Selbstvertrauen mündete gerne in Selbstverliebtheit

Taylor liebte es, Spieler zu entdecken, zu durchleuchten, zu empfehlen. Aber er hasste es, vor einer Mannschaft zu sprechen und Verantwortung zu übernehmen. Taylor war keiner für das große Ganze, doch dafür gab es ja Clough. Das wussten alle und das wusste vor allem Clough selbst. "Ich würde nicht sagen, dass ich der beste Trainer bin", erklärte er mal. "Aber ich bin in den Top-1."

Clough predigte Ballbesitz, er liebte das saubere Passspiel und die totale Kontrolle. Das 4-4-2 war sein System, niemals richtete er es an einem Gegner aus. Clough galt als genialer Motivator. Clough kommandierte seine Mannschaft und seine Mannschaft kommandierte ihre Gegner. "Clough sorgte dafür, dass wir uns unschlagbar fühlten", sagte Lloyd. "Jedes Mal, wenn wir auf den Platz liefen, glaubten wir, dass wir gewinnen würden." Meistens taten sie das auch.

Widerreden von Spielern waren unter Clough nicht gestattet, berüchtigt war er für seine Sturheit. Für sein Selbstvertrauen, das gerne in Selbstverliebtheit mündete. "Hat ein Spieler eine andere Meinung, diskutiere ich 20 Minuten lang mit ihm", erklärte Clough. "Dann beschließen wir gemeinsam, dass ich recht habe."

Clough gewann Wortduelle wie seine Mannschaft Fußballspiele

So berüchtigt Clough für seine Ansprachen an seine Mannschaft war, so berüchtigt war er auch für seine Interviews und TV-Auftritte. Mit Charme und Schlagfertigkeit gewann Clough vor der Kamera Wortduelle genau wie seine Mannschaft auf dem Platz Fußballspiele: spielend einfach.

Clough nahm es mit allem und jedem auf: Fans, gegnerischen Spielern, gegnerischen Trainern, Verbänden oder was auch immer ihm nicht passte oder sich ihm entgegenstellte. Niemand polarisierte wie Clough, das Großmaul. Mit seiner Art entnervte er Menschen, sogar den legendäre Boxer Muhammad Ali, der ihm im Fernsehen eine Videobotschaft sendete. "Ich habe bis nach Indonesien gehört, dass der Kerl zu viel redet", sagte Ali: "Clough, ich habe genug!" Doch Clough entgegnete nur: "Ich will mit ihm kämpfen!"

Clough und das Streben nach Utopie

Clough ließ sich von niemandem zurechtweisen, auch nicht von Ali und hatte niemals genug. Niemals. "Ich strebe nach Utopie und dazu muss man vielleicht ein bisschen töricht sein - aber so bin ich. Ich bin ein Idealist und ich glaube an Märchen", sagte er. Das Märchen von Nottingham begann nach Taylors Ankunft 1976. Nottingham stieg auf und holte im darauffolgenden Jahr den Meistertitel: mit der besten Defensive und der besten Offensive der Liga.

In der ersten Runde des Europapokals der Landesmeister traf Nottingham auf den Titelträger und Ex-Meister FC Liverpool und gewann. Nach weiteren Siegen gegen AEK Athen, gegen die Grasshopper Zürich und den 1. FC Köln ging es im Finale gegen Malmö FF. Clough glaubte an alles, aber daran hatte nicht einmal er geglaubt.

Vom Urlaub auf Kreta zum Europapokalfinale in München

Das Endspiel an einem Mittwoch fiel mitten in seinen bereits gebuchten Kreta-Urlaub. "Ich komme am Dienstag", verkündete Clough laut Woodcock vor seiner Abreise in den Urlaub gegenüber der Mannschaft. Während die Spieler mit Taylor nach München aufbrachen, sonnte sich Clough noch auf Kreta. "Das war normal. Der Mann machte nun mal gerne Urlaub", erinnerte sich Woodcock. Am Abend vor dem Finale reiste er an, sah seine Mannschaft 1:0 gewinnen und reiste zurück nach Kreta. Clough in Reinform. Clough machte, was Clough wollte.

In der darauffolgenden Saison verteidigte Nottingham den Titel. Im Finale von Madrid siegte die Mannschaft mit 1:0 gegen den Hamburger SV. An den beiden Finaltoren hatte Robertson entscheidenden Anteil: das 1:0 von München legte er Trevor Francis auf, das 1:0 von Madrid machte er selbst. "Er ist der Picasso unseres Spiels", lobte Clough einst Robertson.

Dieser zweite Triumph von 1980 war der Höhepunkt, denn fortan ging es bergab. Schnell, zu schnell. "Wir waren wie eine Sternschnuppe am Himmel. Wir haben grell geschienen, aber nur kurz", sagte McGovern später. "Aber hey: wie grell wir geschienen haben!"

Nottingham Forests Landesmeistercup-Finals

Jahr19791980
AustragungsortMünchenMadrid
GegnerMalmö FFHamburger SV
Ergebnis1:0 (1:0)1:0 (1:0)
TorschützeTrevor Francis (45.)John Robertson (20.)
Aufstellung

Peter Shilton - Viv Anderson, Larry Lloyd, Kenny Burns, Frank Clark - Trevor Francis, John McGovern, Ian Bowyer, John Robertson - Tony Woodcock, Garry Birtles

Peter Shilton - Viv Anderson, Larry Lloyd, Kenny Burns, Frank Gray (78. Bryn Gunn) - John McGovern, Martin O'Neill, Ian Bowyer, Gary Mills (67. John O'Hare), John Robertson - Garry Birtles

John Robertson führte Nottingham zu zwei Europapokaltiteln - und löste dann das Zerwürfnis zwischen Brian Clough und Peter Taylor aus.getty

Die verglühte Sternschnuppe Nottingham

Nach dem zweiten Europapokalsieg tauchten Probleme auf, erst mal hie und da und dann irgendwann überall. Clough misslang der Umgang mit seinen alternden Helden, er verkaufte die falschen Spieler, er holte die falschen Ersatzleute, er begann zu trinken, mehr und mehr und vor allem: er zerstritt sich mit Taylor.

1982 verließ Cloughs ewiger Assistent den Verein. Taylor beteuerte zunächst, seine Karriere zu beenden, übernahm aber kurz darauf den Trainerposten bei Derby. Für Clough war das Verrat und als Taylor dann Nottinghams Europapokalhelden Robertson nach Derby holte, war es Hochverrat. Sieben Jahre lang sprachen die beiden kein Wort mehr miteinander, dann starb Taylor.

Ohne Taylor gewann Clough keinen großen Titel mehr, lediglich noch zwei Mal den League Cup. 1993 kündigte er seinen Rücktritt als Nottingham-Trainer an und stieg wenige Wochen später in seinem allerletzten Spiel erstmals ab. Die Magie, sie war weg, aber sie blieb doch für immer. Am River Trent, über den Clough einst gegangen ist, nennt man die große Mannschaft bis heute "Miracle Men".

Nottingham Forests Titel unter Trainer Brian Clough

TitelJahr
Meistertitel1978
FA Cup-
League Cup1978, 1979, 1989, 1990
Europapokal der Landesmeister1979, 1980
UEFA-Supercup1979