Julian Nagelsmann im Interview: "Wenn Spieler eine Trainingsform scheiße finden, dürfen sie das gerne sagen"

Von Marco Hagemann
Julian Nagelsmann traf mit Hoffenheim in der Champions-League-Gruppenphase 2018 auf Manchester City.
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Was denken Sie generell über die Entwicklung, die Liverpool unter Klopp genommen hat?

Nagelsmann: Auch Klopp hat sich enorm weiterentwickelt. Es gibt zwar immer noch den überfallartigen Fußball, der ihn auszeichnet. Aber inzwischen entsteht dieser oft auch aus dem Ballbesitz heraus. Und nicht nur aus der Balleroberung wie früher. Diesen reinen Umschaltfußball a la Klopp gibt es nicht mehr. Es kann ihn auch gar nicht mehr geben, weil viele Gegner gegen Liverpool im 5-4-1 20 Meter vor dem eigenen Tor stehen - da gibt es keine Räume zum Umschalten.

Wir haben über Klopp und Mourinho gesprochen, aber noch nicht über Guardiola. Wie haben Sie seine Zeit in Barcelona in Erinnerung?

Nagelsmann: Als Pep in Barcelona diesen unglaublich attraktiven und facettenreichen Fußball spielen ließ, mit diesem genialen Ballvortrag, wurde immer viel über Barcas Spiel mit dem Ball geschrieben und erzählt. Aber der eigentliche Wahnsinn war das Gegenpressing. Die meisten Gegner haben den Ball nie länger als fünf Sekunden gehabt, dann ist die Walze über sie drübergerollt. Dann war es fußballerisch natürlich überragend, aber der Schlüssel war das Gegenpressing.

Thomas Tuchel hat Julian Nagelsmann am meisten geprägt.
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Thomas Tuchel hat Julian Nagelsmann am meisten geprägt.

Julian Nagelsmann: "Das hat Tuchel komplett anders gemacht"

Guardiola, Mourinho, Klopp: Welcher Trainer hat Sie am meisten geprägt?

Nagelsmann: Keiner der drei. Am meisten hat mich Thomas Tuchel geprägt. Aus dem einfachen Grund, dass er mein eigener Trainer und der Austausch so viel intensiver war. Bei ihm kann ich ganz anders bewerten, wie er wirklich denkt und tickt. Aber es gibt sicher große Parallelen zu Pep Guardiolas Fußballidee. Dominanz in allen Phasen des Spiels - das wäre wohl die große Überschrift dafür. Einfacher ausgedrückt: Es geht um ein Bewusstsein dafür, dass es im Fußball nicht nur um Umschalten, nicht nur um Balleroberung, nicht nur um Ballbesitz geht. Es geht um einen ganzheitlichen Ansatz und darum, in allen Phasen Lösungen zu entwickeln. Bei Tuchel habe ich selbst erlebt, welche Übungen er im Training gemacht hat - das hat mich geprägt. Da habe ich auch eine ähnliche Herangehensweise. Bei mir gibt es auch verschiedene komplizierte Übungen und ich folge nicht der klassischen Trainingslehre und ihrem linearen Aufbau. Aufwärmen, Passspiel, Torschuss, Spielform. Das hat Tuchel komplett anders gemacht. Ich möchte auch im Training ein Spiel abbilden. Und im Spiel läuft es eben nicht so, dass du erstmal locker reinkommst. Da kann es sein, dass du in der ersten Minute schon total gefordert bist und da sein musst.

Wir haben sehr viel über Trainer gesprochen, die wir alle in die Kategorie Top-Trainer einordnen würden. Guardiola hat jetzt selbst gesagt, dass er sich nicht als den besten Trainer sehen und ohne ein Team wie City auch nicht gewinnen würde. Sehen Sie sich selbst schon als Top-Trainer?

Nagelsmann: Grundsätzlich sollten das besser andere beurteilen. Ich würde mich aber schon als guten Trainer bezeichnen. Zu einem Top-Trainer gehört für mich mehr als nur die reine Fußballlehre. Da gehört Empathie dazu, da gehört es dazu, dass du vor einer Gruppe sprechen kannst, dass du mit den Medien umgehen kannst - das musst du alles können. Ich würde mich, was das angeht, nicht als blind beschreiben, aber zu einem Top-Trainer gehören dann auch vor allem Titel. Und die habe ich noch nicht vorzuweisen. Außer den U19-Meistertitel mit Hoffenheim. (lacht) Ich sehe mich auf keinen Fall auf einer Stufe mit Klopp, Guardiola oder Mourinho. Aber ich bin auch noch ein junger Trainer. Mein Ziel ist es, ein sehr guter Trainer zu werden und Titel zu gewinnen. Ob ich dann ein Top-Trainer bin, können wie gesagt dann gerne andere bewerten. Und was Pep angeht: Das ist natürlich ehrenhaft von ihm. Die Frage wäre ja, ob er mit Hoffenheim Meister geworden wäre? Das wäre auf jeden Fall interessant zu sehen.

Julian Nagelsmann: "Ich sage, was mir in den Kopf kommt"

Sie haben schon mehrfach betont, wie wichtig die Menschenführung als Trainer ist. Zuletzt sind Sie mit Ihren kritischen Aussagen nach der Niederlage in Frankfurt in die Schlagzeilen geraten. Wie kalkuliert sind Sie in dem, was Sie wann sagen?

Nagelsmann: Ganz ehrlich: Ich überlege mir gar nichts. Ich sitze nicht in Frankfurt in der Trainerkabine und überlege mir, was ich jetzt auf der Pressekonferenz erzähle. Mir ist auf der Treppe spontan die Metapher mit dem Gipfel eingefallen, also habe ich sie erzählt. Ich verbringe drei Viertel meiner Lebenszeit mit meinem Beruf als Fußballtrainer. Wenn ich mich in dieser Zeit auch noch verstellen und ein Schauspiel aufführen müsste, wäre das sehr mühsam und anstrengend. Dann wäre ich auch nicht mehr der glückliche Mensch, der ich bin. Und darauf habe ich keine Lust. Also sage ich, was ich denke.

Sie haben auch mal gesagt, dass Silvester ein schwachsinniges Fest ist.

Nagelsmann: Das war genau das Gleiche. Ich sage, was mir in den Kopf kommt. Einige Menschen werden das gut finden, andere nicht. Das Fundament ist Ehrlichkeit. Und Ehrlichkeit ist ein großer Teil von Menschenführung. Ich habe meinen Spielern vor der Saison gesagt, dass ich auch extern ein reelles Abbild geben will. Das heißt natürlich nicht, dass ich 1:1 alles nach außen gebe, aber ich bin ein großer Freund davon, auch gegenüber den Medien ehrliche Einschätzungen abzugeben. Das fliegt mir dann manchmal um die Ohren, aber über einen längeren Zeitraum führt es hoffentlich dazu, dass die Medien die Dinge besser einordnen können und ehrlicher berichten. Wenn wir wie in München in der 93. Minute den Ball nicht ins Aus donnern, sondern noch den Konter fahren, weil wir das Spiel gewinnen wollen, dann sage ich das. Weil es ein Zeichen von Siegeswillen und Mentalität ist. Und wenn wie in Frankfurt etwas nicht gut ist, sage ich es auch.

Erwarten Sie diese Ehrlichkeit auch von Ihren Spielern?

Nagelsmann: Auf jeden Fall. Wenn Spieler eine Trainingsform scheiße finden, dürfen sie das gerne sagen. Wenn man sehr direkt ist, muss man als Trainer auch mal mit dem entsprechenden Echo klarkommen. Wenn ich einen Spieler auf dem Feld kritisiere und dieser zurückmault, bin ich auch niemand, der den Spieler dann zwei Wochen lang suspendiert und zu einer Geldstrafe von 10.000 Euro verdonnert. Auf der anderen Seite falte ich auch nicht jede Woche einen Spieler zusammen. Wenn wir gut trainieren und spielen, sollte es dafür auch nicht so oft Anlass geben.