FC Bayern - Olympique Lyon: Marcelos Weg vom abtrünnigen Hannover-Profi zum Grätschen-Monster im CL-Halbfinale

Von Lucas Neumann
Marcelo trifft mit Olympique Lyon im CL-Halbfinale auf den FC Bayern.
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Olympique Lyons Marcelo sorgte 2016 mit seinem forcierten Abschied aus Hannover für Aufsehen. Mittlerweile glänzt er bei OL und steht nun im Halbfinale der Champions League gegen den FC Bayern (heute ab 21 Uhr live auf DAZN und im Liveticker) vor dem Spiel seines Lebens.

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Nur wenige Zentimeter trennten Federico Bernardeschi von seinem womöglich schönsten Treffer im Trikot der Bianconeri. Es lief die 19. Minute im Rückspiel des Champions-League-Achtelfinals gegen Olympique Lyon, als der Juve-Angreifer beim Stand von 0:1 zu einem zauberhaften Solo ansetzte: Zunächst tanzte er vier Gegenspieler aus, zog von der rechten Seitenlinie in den Sechzehner und umkurvte schließlich auch noch den herausstürmenden Keeper an der Torauslinie.

Eigentlich musste er nur noch einschieben, ehe ihm von links ein langer Stelzen in die Parade fuhr und den Ball gerade noch so am Pfosten vorbeilenkte. Während Cristiano Ronaldo und Gonzalo Higuain fassungslos abdrehten, bejubelte Lyons Hintermannschaft die Rettungstat ihres Kollegen Marcelo.

Ebenjener Marcelo dürfte hierzulande manch einem noch aus vergangenen Bundesliga-Zeiten ein Begriff sein. Vor allem aber die Anhänger von Hannover 96 werden wohl mit gemischten Gefühlen auf die Saison 2015/16 zurückblicken, als der Innenverteidiger dem Klub damals mitten im Abstiegskampf den Rücken zuwandte und das sinkende Schiff bereits in der Winterpause verließ.

Wenige Monate zuvor hatte der Brasilianer, der 2013 von der PSV Eindhoven kam und anschließend 77 Bundesligaspiele für die Roten absolvierte, seinen Kontrakt noch vorzeitig verlängert. Kurz vor Schließung des Transferfensters im Januar 2016 forcierte er jedoch zur Verwunderung aller Beteiligten seinen Abschied.

Olympique Lyons Marcelo - Ex-Trainer Frontzeck: "Wir wollten ihn nicht verkaufen"

Ob sich die Wechselabsichten während der Hinrunde bereits angedeutet hatten? "Nein, im Gegenteil", sagte Michael Frontzeck im Gespräch mit Goal und SPOX. In der Vorsaison hatte der damalige 96-Coach gemeinsam mit Marcelo noch die Klasse gehalten.

Zu Beginn der Spielzeit 2015/16 war Marcelo weiterhin unumstrittener Stammspieler, verpasste keine Bundesliga-Minute. Sportlich lief es für Frontzecks Team jedoch nur mäßig, nach dem 17. Spieltag folgte dessen Entlassung.

"Wir haben damals unser letztes Spiel gegen die Bayern zuhause mit 0:1 verloren und danach war für mich Schluss. Dann habe ich mich von der Mannschaft verabschiedet. Zu diesem Zeitpunkt stand jedoch nicht auf dem Tableau, dass wir Marcelo abgeben wollen. Hannover war ja nicht wirklich unter Druck, ihn zu verkaufen. Ich denke, das ist eher von Marcelo ausgegangen", sagte Frontzeck.

Auch nach der Amtsübernahme durch Thomas Schaaf deutete zunächst nichts auf einen Abschied hin, einen Tag vor der Wechselfrist stand Marcelo noch beim Auswärtsspiel in Leverkusen auf dem Platz. Nach der 0:3-Pleite und einem weiteren Spieltag auf dem letzten Tabellenplatz twitterte der Innenverteidiger noch ein aufmunterndes "We go on and we will never give up", nur um 22 Stunden später seine Follower grinsend darüber zu informieren, dass er sich gerade auf dem Weg nach Istanbul befindet.

Marcelos letzter Bundesliga-Einsatz war am 30. Januar 216 gegen Bayer Leverkusen.
© imago images / Uwe Kraft
Marcelos letzter Bundesliga-Einsatz war am 30. Januar 216 gegen Bayer Leverkusen.

Olympique Lyons Marcelo: Karrierestationen

ZeitraumVerein
von 2007 bis 2008FC Santos
von 2008 bis 2010Wisla Krakau
von 2010 bis 2013PSV Eindhoven
von 2013 bis 2016Hannover 96
von 2016 bis 2017Besiktas
von 2017 bis jetztOlympique Lyon

Olympique Lyons Marcelo: Süper-Lig-Triumph mit Besiktas statt Abstieg mit Hannover

"Wenn jemand sein persönliches Interesse über das des Vereins stellt, muss man sich fragen, ob er der Richtige für den Abstiegskampf ist", sagte der damalige 96-Sportdirektor Martin Bader gegenüber der Neuen Presse, nachdem Marcelo sich vom Tabellenletzten quasi über Nacht per Leihe zu Besiktas bugsieren ließ.

Seine Abschiedsworte folgten erneut via Twitter: "Ich wünsche Euch für die restliche Saison nur das Beste und einen erfolgreichen Abschluss in der Bundesliga." Vier Monate später stieg Hannover als abgeschlagenes Schlusslicht in die zweite Liga ab, während Marcelo sich mit seinen neuen Kollegen Andreas Beck, Ricardo Quaresma, Mario Gomez und Co. zum türkischen Meister krönte.

Eine Rückkehr zum künftigen Zweitligisten schien ausgeschlossen, Besiktas zog die vereinbarte Kaufoption in Höhe von rund zwei Millionen Euro. Trotz der fragwürdigen Umstände rund um den Wechsel empfand Frontzeck den Schritt seines ehemaligen Schützlings nicht als verwerflich: "Er ist ein positiv Verrückter. Er ist sehr ehrgeizig gewesen und hat damals in Hannover einen guten Job gemacht - ohne Wenn und Aber."

Lyon-Coach Rudi Garcia schwärmt von Marcelo: "Er ist ein Krieger"

Einen guten Job machte er im Folgejahr auch bei Besiktas, als er 45 Pflichtspiele absolvierte, drei Tore erzielte und mit seinem Team die türkische Meisterschaft verteidigte. Marcelo überzeugte in der Meistersaison mit einer Zweikampfquote von 80,5% (Quelle: Opta) und spielte sich aufgrund seiner Kopfballstärke und Antizipationsfähigkeiten wieder in den Fokus europäischer Top-Klubs.

Olympique Lyon sicherte sich im Sommer 2017 letztlich die Dienste des damals 30-Jährigen und blätterte rund sieben Millionen Euro auf den Tisch - knapp das Vierfache der Summe, die Hannover ein Jahr zuvor kassierte. Auch bei OL spielte sich Marcelo in der Saison 2017/18 prompt in der Startformation fest, verpasste nur drei Ligaspiele und spulte wettbewerbsübergreifend 4300 Spielminuten ab.

"Ich fühle mich, als wäre ich 18 Jahre alt", sagte Marcelo, als er im Sommer 2018 seinen Dreijahresvertrag um eine weitere Spielzeit verlängerte. Seither ist der Brasilianer kaum noch aus der Startelf wegzudenken, auch unter dem aktuellen OL-Coach ist Marcelo in der Dreierkette fest eingeplant: "Er ist ein Spieler mit Charakter, verfügt über Führungsqualitäten und verkörpert Kampfgeist. Er ist ein Krieger", sagte Rudi Garcia im vergangenen Februar.

Marcelo trifft mit Olympique Lyon im CL-Halbfinale auf den FC Bayern.
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Marcelo trifft mit Olympique Lyon im CL-Halbfinale auf den FC Bayern.

Champions League: Marcelo in allen neun Spielen auf dem Platz

In der laufenden Champions-League-Saison stand der mittlerweile 33-Jährige in allen neun Spielen auf dem Platz, siebenmal über die gesamten 90 Minuten. Auf seine Rettungsaktion gegen Bernardeschi folgte im Viertelfinale eine grundsolide Leistung beim 3:1-Sieg gegen Manchester City (die Highlights im Video), als er die meisten klärenden Aktionen (5) sowie abgefangenen Bälle (3) seines Teams vorweisen konnte und gemeinsam mit Jason Denayer und Fernando Marcal die City-Offensive kaum zur Entfaltung kommen ließ.

Nach den fulminanten Triumphen über Juve und City trifft Marcelo nun erneut auf Robert Lewandowski, Thomas Müller und Konsorten - wie damals im Dezember 2015. Allerdings steckt er dieses Mal nicht mit Hannover im Abstiegssumpf, sondern bestreitet mit OL sein erstes Champions-League-Halbfinale - das bis dato bedeutendste Spiel seiner Karriere.

Olympique Lyons Marcelo: Leistungsdaten in dieser Saison

WettbewerbEinsätzeToreVorlagen
Ligue 117--
Champions League9--
Coupe de la Ligue3--
Coupe de France3--