Der Traum von der Titelverteidigung ist geplatzt, der FC Bayern verabschiedet sich aber erhobenen Hauptes aus der Champions League. Mit dem einen oder anderen abwesenden Leistungsträger sowie einem breiteren Kader wäre mehr möglich gewesen. Drei sportliche Lehren zum Viertelfinal-Aus des FCB. Hier gibt es die Highlights im Video.
Mit drei Spielern wäre mehr möglich gewesen
Rassige Zweikämpfe, starke Dribblings, Torraumszenen en masse - der deutsche und der französische Meister haben sich sowohl in München als auch in Paris eine wilde, unterhaltsame und damit auch würdige Neuauflage des letztjährigen Finals von Lissabon geliefert. "Es war ein Fest für jeden Fußball-Liebhaber. Ich habe selten so begeisternde 180 Minuten gesehen wie diese", schwärmte PSG-Coach Mauricio Pochettino.
Verantwortlich war dafür nicht nur sein Team, bei dem Neymar und Kylian Mbappe überragten. "Der FC Bayern", sagte Pochettino, "ist derzeit für mich die beste Mannschaft der Welt - und hat das auch gegen uns bewiesen. Sie sind immer gefährlich."
Dabei fehlten den Münchnern wichtige Leistungsträger wie Robert Lewandowski, Serge Gnabry oder Leon Goretzka. Leistungsträger, mit denen mehr möglich gewesen wäre. In puncto Chancenverwertung (nur 17 der insgesamt 44 abgegebenen FCB-Torschüsse in beiden Spielen gingen auf das Tor von PSG-Keeper Keylor Navas), aber auch in puncto Stabilität und Durchsetzungsvermögen im Mittelfeld.
Goretzkas Ausfall im Prinzenpark war zu spüren, weil Dauerbrenner Joshua Kimmich nicht zum ersten Mal in den vergangenen Wochen ausgelaugt wirkte und die Präzision im Passspiel vermissen ließ. So verlor der Nationalspieler insgesamt 23-mal den Ball und gewann nur fünf seiner 18 Zweikämpfe.
Ähnlich fehlerbehaftet agierte Alphonso Davies, der mehrfach ausrutschte anstatt dem konsequent gedoppelten Kingsley Coman Unterstützung über die linke Offensivseite zu leisten. Und Leroy Sane agierte auf der rechten Seite zwar bemüht, traf im gegnerischen Sechzehner zumeist aber die falschen Entscheidungen. Ein Zeichen, dass einigen Akteuren in Rot nicht nur körperliche, sondern auch die geistige Frische fehlte.
Kapitän Manuel Neuer sprach nach dem Abpfiff das aus, was jedem auffiel: "Wir pfeifen aus dem letzten Loch." Vor diesem Hintergrund zog Trainer Hansi Flick ein positives Fazit: "Wir haben zwei gute Spiele gemacht, manchmal vielleicht die letzte Entschlossenheit vermissen lassen - aber trotzdem muss ich der Mannschaft ein Kompliment machen, wegen der Mentalität und der Einstellung, die sie in beiden Spielen an den Tag gelegt hat."
Flicks Befürchtung hat sich bewahrheitet: Der FC Bayern braucht einen breiteren Kader
Verletzungen, Corona-Ausfälle und der ohnehin seit über einem Jahr komplett zugekleisterte Spielplan hin oder her: Das Kaderproblem beim FC Bayern lässt sich nach den beiden Spielen gegen PSG nicht mehr wegdiskutieren.
Wer jedes Jahr auf drei Hochzeiten (Meisterschaft, Pokal, Champions League) tanzen und bestehen will, braucht mehr Möglichkeiten für die Offensive als einen 18-Jährigen (Jamal Musiala) und einen 32-Jährigen (Javi Martinez), die Flick in der Schlussphase des Rückspiels einwechselte.
Die intern wie öffentlich immer wieder geäußerte Befürchtung des Trainers, die Abgänge der zuverlässigen Leihspieler Philippe Coutinho und Ivan Perisic könnten neben dem Verkauf von Thiago an den FC Liverpool dem Rekordmeister wehtun, hat sich bewahrheitet.
Die Verpflichtungen von Leroy Sane und Eric Maxim Choupo-Moting mögen zwar schlüssig gewesen sein, die anderen Neuzugänge (Douglas Costa, Marc Roca und speziell Bouna Sarr) haben dem Kader aber keinen nachweislichen Qualitätsschub verliehen.
Auf die Führungsriege um Sportvorstand Hasan Salihamidzic kommt viel Arbeit zu. Für die nächsten Transferperioden gilt, nicht erst auf den letzten Drücker einzukaufen. Gerade bei Spielern aus dem Ausland wie Roca oder Sarr wird deutlich, wie wichtig es ist, eine komplette Vorbereitung mitzumachen anstatt ins kalte Wasser geworfen zu werden.
Nach dem bereits eingetüteten Transfer von Innenverteidiger Dayot Upamecano täte dem FCB neben einem tauglichen Backup für Rechtsverteidiger Benjamin Pavard besonders ein spielstarker Sechser gut, der Kimmich und Goretzka nicht nur entlastet, sondern selbst den Anspruch hegt, Stammspieler zu sein. Kategorie Florian Neuhaus oder Eduardo Camavinga.
Denn: Roca ist (noch) nicht für diese Rolle geeignet, Corentin Tolisso kämpft seit Jahren mit seinem Körper und David Alaba, der in Paris die Doppelsechs mit Kimmich formte, kehrt dem Verein den Rücken.
Boateng wird eine größere Lücke hinterlassen als Alaba
Alaba, nach seinem Formtief in der Hinrunde mittlerweile wieder eine wichtige Stütze, wird mit seinem Fortgang im Sommer eine große Lücke in der Bayern-Defensive Bayern hinterlassen. Jerome Boateng aber eine noch größere.
Und zwar nicht, weil der von Salihamidzic aussortierte Routinier seinen vielen formidablen Leistungen in den vergangenen Monaten eine weitere in Paris folgen ließ. Sondern weil es schlichtweg keinen Ersatz für den 32-Jährigen im Kader gibt, der auf Anhieb so viel Erfahrung, Stabilität und Qualität in Sachen Spieleröffnung mitbringt wie er.
Boateng: Hielt sich Salihamidzic nicht an Absprache mit Rummenigge?
Niklas Süle, 25, hat seit seinem zweiten Kreuzbandriss im Oktober 2019 mit Leistungsschwankungen zu kämpfen. Tanguy Nianzou, der 18-jährige Neuzugang, braucht Zeit.
Und Upamecano, 22, hat zweifelsohne das Zeug zum Boateng-Erben, muss aber erst noch unter Beweis stellen, dass er seine starken Leistungen in Leipzig auch in München abrufen kann.
Lucas Hernandez hingegen hat seine Tauglichkeit auf der Position des linken Innenverteidigers - Alabas Hauptrolle - schon mehrfach demonstriert. So auch am Dienstag, als der 25 Jahre alte Weltmeister sich nach anfänglichen Schwierigkeiten sogar unter Rippenschmerzen als zäher Kontrahent für Neymar und Co. erwies und sich dafür ein Sonderlob von Flick abholte.
"Von der Mentalität her war das herausragend", schwärmte der Trainer. "Lucas hat sich durchgebissen." Auch wenn Salihamidzic häufiger wegen seiner Transferpolitik kritisiert wird: Vor allem an Hernandez zeigt sich, dass nicht alle seine Einkäufe schlecht waren.