"Endlich zeigen die Dortmunder Woche für Woche die richtige Mentalität. Sie haben Spieler, die arbeiten, kämpfen und ihre Seele auf dem Platz lassen." Was Rekordnationalspieler Lothar Matthäus im Februar bei Sky sagte, bringt es auf den Punkt: Dortmund ist zurück - und zwar so gut wie selten zuvor.
Nach mehreren Jahren der Findungsphase in der Post-Jürgen-Klopp-Ära, hat sich unter Edin Terzic mittlerweile eine beeindruckende Konstanz eingestellt. Eine Konstanz, die dafür sorgt, dass der BVB noch aussichtsreich auf drei Hochzeiten tanzt. Neun Siege seit Beginn des Jahres 2023 haben bewirkt, dass Dortmund in der Bundesliga gleichauf mit den Bayern an der Tabellenspitze liegt. Der BVB hat in dieser Zeit 24 Tore geschossen und nur acht kassiert - beides Spitzenwerte in der Liga.
Die Dortmunder sind zudem die einzige Mannschaft in Europa, die seit dem Jahreswechsel alle Pflichtspiele gewonnen hat: Im DFB-Pokal schlug man Bochum und im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League gab der BVB dem FC Chelsea mit 1:0 das Nachsehen.
Im Signal Iduna Park entsteht gerade etwas Großes - und SPOX hat vor dem Achtelfinal-Rückspiel in London (21 Uhr im LIVETICKER) die wichtigsten Gründe für den bemerkenswerten Aufschwung untersucht ...
BVB: Ein brillanter Jude Bellingham
Der Mann, der die Dortmunder Mannschaft in dieser Saison anführt, ist ein englischer Wunderknabe, der zum jüngsten Kapitän in der Geschichte der Bundesliga wurde, als Terzic ihm am 1. Oktober im Spiel gegen Köln die Binde überreichte.
Einem 19-Jährigen eine so große Verantwortung zu übertragen, würde normalerweise große Fragezeichen aufwerfen - aber Jude Bellingham ist eben kein gewöhnlicher Teenager.
Im Juli 2020 zum Schnäppchenpreis von 25 Millionen Euro von Birmingham City verpflichtet, verfügt Bellingham inzwischen über zweieinhalb Spielzeiten Erfahrung in der Bundesliga und der Champions League. Außerdem hat er 22 Länderspiele für England absolviert, fünf davon bei der Weltmeisterschaft 2022 in Katar.
Er war schon immer eine große Bereicherung für Dortmund, aber 2023 hat er ein neues Niveau erreicht. Bellingham ist nicht länger ein ungeschliffener Diamant - er ist das fertige Produkt.
Er treibt den BVB aus dem Mittelfeld heraus an, ist eine unschätzbare Unterstützung im letzten Drittel und arbeitet unermüdlich in der Verteidigung. Sein fußballerischer IQ und sein Motor sind unübertroffen, was erklärt, warum jeder Topklub in Europa im Sommer um seine Unterschrift kämpfen wird.
Mit Bellingham auf dem Platz kann Dortmund jeden Gegner schlagen - ganz sicher auch Chelsea am Dienstagabend an der Stamford Bridge. Den BVB ins Viertelfinale der Königsklasse zu führen wäre ein weiterer Baustein auf seinem Weg hin zu einem der besten Mittelfeldspieler der Welt.
BVB: Marco Reus ist wieder in Topform
Die Karriere von Marco Reus ist voll von Höhen und Tiefen. Ein ums andere Mal bremsten Verletzungen ihn aus, ein ums andere Mal musste er sich zurück kämpfen - und bewies immer wieder, wie unglaublich gut er ist, wenn sein Körper mitmacht.
Wegen anhaltender Knöchelprobleme konnte der 33-Jährige im Herbst nicht spielen, weshalb Bellingham als Kapitän einsprang. Es war zu befürchten, dass Reus' Karriere im Signal Iduna Park allmählich zu Ende gehen könnte.
Aber Reus ist noch nicht bereit dafür, kürzer zu treten. Der deutsche Nationalspieler, der in der Bundesliga über 100 Tore und Vorlagen verbuchen kann, kehrte im Januar zurück - und zeigte sich seither in Bestform.
Seinen bisher größten Beitrag leistete er beim 4:1-Sieg der Dortmunder gegen Hertha, als er den Führungstreffer für Karim Adeyemi vorbereitete und einen herrlichen Freistoß aus 25 Metern verwandelte. Beim jüngsten Sieg gegen RB Leipzig traf Reus dann per Elfmeter und schob sich damit auf Platz zwei der ewigen Torschützenliste des Vereins.
Trainer Terzic hat jedenfalls keinen Zweifel daran, wie wichtig Reus für sein Team ist. "Marco ist unser Kapitän, er nimmt eine sehr wichtige Rolle ein", sagte er im Februar. "Wir haben ihn sehr vermisst, daher sind wir einfach glücklich, dass er wieder fit ist. Er fühlt sich gut, wir alle kennen seine Qualitäten."
Reus soll sogar das Interesse von Manchester United wecken - und wenn er verletzungsfrei bleibt, dürfte sein Wert bis Saisonende noch einmal steigen.
BVB: Edin Terzics taktische Flexibilität
Terzic kehrte im vergangenen Sommer nach dem Abgang von Marco Rose zurück auf den Trainerstuhl des BVB. Und die Entscheidung, den ehemaligen Interimstrainer fest auf der Chefposition zu installieren, hat sich als Meisterstück erwiesen.
Der 40-Jährige hatte sich bei den Fans nicht nur durch den DFB-Pokal-Triumph 2021 beliebt gemacht, auch seine Art wissen die Anhänger zu schätzen. Und sein Können als Trainer hat er mittlerweile ohnehin zur Genüge zur Schau gestellt.
"Als Trainer mag ich Variabilität und Flexibilität - nicht nur in taktischer Hinsicht, sondern auch in Bezug auf die Spielerprofile", sagte Terzic im Januar gegenüber The Athletic. "Man muss in der Lage sein, auf alles in einem Spiel zu reagieren."
Das beste Beispiel für diese Flexibilität war der 2:1-Sieg der Dortmunder gegen RB Leipzig am vergangenen Freitag im Signal Iduna Park. Im Hinspiel gegen die Sachsen musste Terzic noch mit ansehen, wie seine Mannschaft mit 0:3 unterging - doch kleine Änderungen im System zahlten sich auf heimischem Boden aus.
Die Dortmunder überließen Leipzig den Großteil des Ballbesitzes, zogen sich aber in einer 4-1-4-1-Formation zurück, um die Schwächen der Gäste bei Kontern auszunutzen.
Terzic lässt Bellingham, Reus und Julian Brandt viele Freiheiten, sodass sie zwischen den Linien wirkungsvoll kombinieren können. Außerdem hat er im Winter die Bedeutung von Standardsituationen gestärkt, was zu einer deutlichen Steigerung der Effektivität bei ruhenden Bällen geführt hat. 2023 wurden so bereits sechs Tore erzielt - drei mehr als in der gesamten ersten Hälfte der Saison.
Die Dortmunder spielen in der Regel gepflegt aus der Abwehr heraus, wobei auch Gregor Kobels gute Fertigkeiten mit Ball am Fuß von entscheidender Bedeutung sind. Zudem will der BVB stets seine Tiefe und Breite beibehalten, um so schnell wie möglich ins letzte Drittel vordringen zu können.
Durch die Bevorzugung eines solch flüssigen Systems ist Terzic in der Lage, das Beste aus den kreativsten Spielern des BVB herauszuholen, ohne dafür defensiv an Stabilität zu verlieren. Und Dortmund ist gut darin, sich immer wieder mit kleinen Adaptionen dem jeweiligen Gegner anzupassen.
BVB: Julian Brandts bislang beste Saison
Das enorme Talent von Julian Brandt war schon immer unbestritten, doch in seinen ersten drei Spielzeiten in Dortmund nach seinem Wechsel von Bayer Leverkusen im Jahr 2019 fehlte es ihm häufig an Beständigkeit.
In der Saison 2022/23 ist das anders: Der 26-Jährige hat seine Konstanz gefunden, hat sich in Sachen Defensivarbeit gesteigert und ist nach vorne sogar noch besser geworden. Kurzum: Brandt ist einer der zuverlässigsten Spieler im Team von Terzic.
Er hat körperlich große Fortschritte gemacht und zeigt nun einen Siegeswillen, der auf seine Mannschaftskameraden abfärbt. Im Januar wurde er zum Bundesligaspieler des Monats gewählt, in der bisherigen Saison hat er in 31 Spielen in allen Wettbewerben neun Tore erzielt und fünf Vorlagen geliefert.
Über Brandts Zukunft wird nun viel spekuliert: Es gibt noch keine Anzeichen für eine Verlängerung des 2024 auslaufenden Vertrages und der FC Arsenal meldet angeblich Interesse an.
Sportdirektor Sebastian Kehl äußerte sich zu Brandts Situation gegenüber der Bild zuletzt wie folgt: "Die Entwicklung von Julian sehen wir tagtäglich. Er hat einen Riesenschritt nach vorne gemacht - und darüber freuen wir uns sehr. Die Vertragssituation ist mir natürlich bekannt, und das Thema gehen wir sehr positiv und unaufgeregt an."
Brandt ist neben Adeyemi, Reus und Bellingham Teil einer der aufregendsten Offensiven Europas. Es wird für Dortmunds Chancen auf den Titelgewinn entscheidend sein, ob er seine Top-Form bis Saisonende aufrechterhalten kann.
BVB: Karim Adeyemi schöpft sein Potenzial aus
Auch der FC Bayern und der FC Liverpool sollen intensiv um Karim Adeyemi geworben haben. Letztlich setzte sich aber der BVB durch, holte den deutschen Nationalspieler vergangenen Sommer für 38 Millionen Euro aus Salzburg nach Dortmund.
Adeyemi hatte in seiner letzten Saison in Österreich 22 Tore erzielt, konnte diese Leistung aber nicht unmittelbar auf Dortmund übertragen, da er in seinen ersten Monaten beim neuen Verein Schwierigkeiten hatte, sich zurechtzufinden.
In seinen ersten 13 Bundesligaspielen blieb der 21-Jährige ohne Torerfolg, ehe er am 29. Januar beim 2:0-Sieg bei Bayer Leverkusen endlich erstmals traf und damit den Knoten platzen ließ.
In der darauffolgenden Woche gegen Freiburg traf er erneut und stellte beim 5:1-Sieg über den SC zudem den Geschwindigkeitsrekord in der Bundesliga auf: Ein Vorgeschmack auf seinen Gala-Auftritt in der Champions League.
Adeyemi sorgte für den Dortmunder Siegtreffer im ersten Aufeinandertreffen mit dem FC Chelsea, als er aus der eigenen Hälfte loslief und Blues-Rekordtransfer Enzo Fernández stehen ließ, bevor er Kepa umkurvte und den Ball ins Netz beförderte.
Wenige Tage später gegen Hertha trug sich Adeyemi wieder in die Torschützenliste ein, zog sich in jenem Spiel aber eine Muskelverletzung zu und wird voraussichtlich auch das Rückspiel gegen Chelsea verpassen.
Adeyemi ist Dortmunds Joker - ein explosiver Stürmer, der für spielentscheidende Momente sorgen kann - und die Westfalen brauchen ihn so schnell wie möglich wieder auf dem Platz.
BVB: Inspiration durch Sébastien Haller
Vor Adeyemi hatte Dortmund mit Sébastien Haller einen weiteren der erfolgreichsten Stürmer Europas verpflichtet, der bei Ajax nach einer frustrierenden Zeit bei West Ham einen unerwartet starken Eindruck hinterließ.
Doch weniger als zwei Wochen nach seinem Wechsel aus Amsterdam zum BVB musste der Stürmer von der Elfenbeinküste das Training abbrechen, weil er sich unwohl fühlte. Daraufhin wurde bei Haller Hodenkrebs diagnostiziert und es begann ein zermürbender Genesungsprozess, der eine Chemotherapie und zwei Operationen umfasste.
Bemerkenswerterweise konnte der 28-Jährige im Januar wieder ins Training einsteigen und gab beim 4:3-Sieg gegen Augsburg sein emotionales Pflichtspiel-Debüt für Dortmund, als er eingewechselt wurde.
Beim Sieg gegen Freiburg dann, der zufällig auf den Weltkrebstag fiel, erzielte der ehemalige Ajax-Star sein erstes Tor für Dortmund. Für Haller war es eine große Erleichterung, denn er hatte immer daran gedacht, wie er sich bei den Fans für ihre Unterstützung während der Zeit seiner Krankheit bedanken würde.
"Ich dachte: 'Sie haben einen Spieler gekauft, und nach zwei Wochen kann ich nicht mehr spielen, ich weiß nicht, wie lange'", sagte Haller in einem Interview mit BBC Sport über seinen Kampf gegen den Krebs. "Das ist ein schlechter Deal. Natürlich wollte ich zurückkommen und ihnen für ihre Unterstützung etwas zurückgeben. Das war mir sehr wichtig. Sie haben mir etwas gegeben, bevor ich ihnen etwas geben konnte. Ich war krank und sie haben mich unterstützt. Aber ich wusste immer, dass ich es schaffen würde."
Terzic zollte Haller indes Respekt, nachdem dieser sein Torekonto eröffnet hatte. "Dieses Tor kam viel zu spät", sagte er. "Wir hätten uns gewünscht, dass er schon im Juli und August, als wir ihn unter Vertrag genommen haben, sein erstes Tor geschossen hätte, aber ihr wisst ja alle, was seitdem passiert ist. So kam das Tor heute, vor der gelben Wand. Es bedeutet ihm sehr viel und uns sehr viel. Wir hoffen, dass es das erste von vielen, vielen Toren war."
Es ist kein Zufall, dass der Formaufschwung des BVB zeitgleich mit Hallers Rückkehr in die Mannschaft begann. Seine Geschichte ist eine Inspiration für das gesamte Team und könnte den BVB zu seiner erfolgreichsten Saison seit einem Jahrzehnt führen.