Manchester City gehört nicht zum ersten Mal zu den Favoriten auf den Gewinn der Champions League, dennoch könnte in diesem Jahr endlich der ganz große Wurf gelingen.
Nachdem die Engländer RB Leipzig im Achtelfinale regelrecht zerlegt hatten, spielte City auch im Viertelfinal-Hinspiel vergangene Woche gegen Bayern München überlegen und überragend.
City geht mit einer 3:0-Führung in das Rückspiel am Mittwoch in der Allianz Arena (21 Uhr im LIVETICKER) und kommt mit einer ausgeruhten Mannschaft nach München. Beim 3:1-Sieg gegen Leicester City am Samstag wurde der Tabellenzweite der Premier League schließlich kaum gefordert.
Dabei müssen City-Fans nicht an ihre Misserfolge in den europäischen Wettbewerben erinnert werden. Das Ausscheiden gegen Monaco im Jahr 2017, gegen Tottenham 2019 und gegen Real Madrid in der vergangenen Saison dürfte noch in schlechter Erinnerung sein.
Pep Guardiola wurde für seine fragwürdige Taktik bei der Niederlage gegen Lyon 2020 und der Final-Pleite gegen Chelsea 2021 heftig kritisiert.
Doch der katalanische Trainer ist derzeit auf einem guten Weg. Der 52-Jährige hat seine Verteidigung neu erfunden und Jack Grealish zu einem selbstlosen und intelligenten Spieler gemacht. Und mit Erling Haaland verfügt City über einen übermenschlichen Stürmer an vorderster Front, der jeden nur denkbaren Torrekord bricht.
Ist dies also endlich das Jahr von City in Europa? SPOX und GOAL nennen die Gründe, warum es so aussieht...
1. Haalands Appetit auf Champions-League-Tore
Jede Mannschaft, die im Moment gegen City antritt, dürfte größten Respekt vor Haaland haben. Allein in seinen letzten beiden Champions-League-Spielen hat der Norweger sechs Tore erzielt. Gegen RB Leipzig stellte er mit fünf Toren einen neuen CL-Rekord auf, und er hätte wahrscheinlich sechs oder sieben erzielt, wenn Guardiola ihn nicht eine halbe Stunde vor Schluss vom Platz genommen hätte.
Gegen die Bayern bewies Haaland mit einem Tor und einer Vorlage, dass er auch gegen die Top-Teams glänzen kann.
In der wichtigsten Phase der Saison ist Haaland unersättlich: In den letzten sechs Spielen erzielte er 14 Tore (47 Pflichtspieltore in dieser Saison insgesamt) und hat damit bereits den Rekord von Mohamed Salah eingestellt, der in einer Premier-League-Saison in 38 Spielen 32 Treffer erzielte.
Während der Druck in der Champions League manche Spieler hemmt, holt Haaland das Beste aus sich heraus.
"Zunächst einmal bin ich stolz darauf, in der Champions League zu spielen. Ich liebe diesen Wettbewerb, wie jeder weiß", sagte er nach seiner Gala gegen Leipzig und gab zu, dass er nach so vielen Treffern "verschwommen im Kopf" war.
Guardiola wies darauf hin, dass die Tore in der Champions League in der Vergangenheit nicht das Problem von City waren, sondern dass späte Gegentore oft die Achillesferse gewesen wären.
Dennoch ließ City viele klare Chancen in den entscheidenden Momenten aus. Mit Haaland, der mit seinen letzten 21 Schüssen 16 Tore erzielt hat, sollte das dieses Mal kein Problem sein.
2. Guardiola ist in seinem Element
Wie viele andere Trainer könnten mitten in der Saison ihre beiden besten Außenverteidiger aus dem Team nehmen und ihre Verteidigung so umgestalten, dass man ihr Fehlen kaum bemerkt? Genau das hat Guardiola mit João Cancelo und Kyle Walker getan.
Cancelo war in den beiden vorangegangenen Spielzeiten einer der einflussreichsten Spieler von City, aber der Trainer entschied plötzlich, dass er Innenverteidiger Nathan Aké aufgrund seiner defensiven Qualitäten als Linksverteidiger bevorzugt.
Als Cancelo damit nicht einverstanden war, schickte Guardiola ihn auf Leihbasis zu Bayern München.
Er entschied auch, dass Walker nicht für die neue defensive Formation mit drei Innenverteidigern und zwei defensiven Mittelfeldspielern geeignet sei, und erklärte öffentlich, der englische Nationalspieler "kann das nicht". Guardiola schreckt vor unbequemen Entscheidungen nicht zurück, Namen spielen dabei keine Rolle.
Der Spanier stellte zeitweise öffentlich die Form von Kevin De Bruyne in Frage und forderte Haaland auf, sich mehr in das Spiel der Mannschaft einzubringen. Ganz zu schweigen davon, dass er den Norweger bei Laune hält, obwohl er ihn oftmals schon vorzeitig aus dem Spiel nimmt.
Und er scheute sich auch nicht, die gesamte Mannschaft zu kritisieren, wie er es im Januar nach dem 4:2-Sieg gegen Tottenham mit großen Worten tat.
Manche dachten, Guardiola würde den Verstand verlieren, aber in Wirklichkeit stellte er damit seine Autorität gegenüber der Mannschaft unter Beweis. Von den 17 Spielen, die seitdem stattgefunden haben, hat City 14 gewonnen.
Das Team hat wettbewerbsübergreifend zehn Siege in Folge eingefahren und ist im Rennen um den Premier-League-Titel bis auf vier Punkte an Arsenal dran.
Vergangene Woche warnte Guardiola seine Spieler: "Wenn wir verlieren, ist es vorbei!" Er leistet unglaubliche Arbeit, um seine Jungs auf Trab zu halten. Diese Unerbittlichkeit könnte das Team schließlich zum Gewinn der Champions League treiben.
3. Ruben Dias ist wieder in Topform
Haaland mag beim Sieg von City gegen die Bayern wieder für die Schlagzeilen gesorgt haben, doch die Lobeshymnen hatte eigentlich die Abwehr verdient.
Der Defensivverbund ließ in der ersten Halbzeit nur einen Schuss der Mannschaft von Thomas Tuchel zu, und obwohl die Gäste Ederson nach der Pause vermehrt auf die Probe stellten, waren es meist Fernschüsse, die der Brasilianer souverän parierte.
Dias agierte als Fels in der Brandung, der alles an sich abprallen ließ, was die Bayern auf den Platz brachten, während Manuel Akanji und Aké ebenfalls herausragend waren.
Und John Stones glänzte zusammen mit Rodri im defensiven Mittelfeld sowie auf der rechten Abwehrseite.
Doch nicht nur gegen die Bayern wusste die Abwehrreihe zu beeindrucken. City hat mit nur drei Gegentoren in neun Spielen die beste Defensivbilanz in der Champions League und blieb in sechs der letzten zehn Spiele in allen Wettbewerben ohne Gegentreffer.
Späte Fehler in der Defensive, wie in beiden Spielen gegen Real Madrid 2022, kamen City in der Vergangenheit teuer zu stehen. Nunmehr ist die defensive Formation allerdings speziell darauf ausgerichtet, mehr Kontrolle in der Abwehr zu haben - ein Konzept, das komplett aufgeht.
4. De Bruyne ist wieder auf Kurs
Der Belgier scheint eine stürmische Beziehung zu Guardiola zu haben. Er ist zweifelsohne der beste Spieler in der Amtszeit des Katalanen und der talentierteste Fußballer, mit dem der Trainer seit Lionel Messi zusammengearbeitet hat. Anfang dieses Monats avancierte De Bruyne zu dem Spieler, der am schnellsten 100 Assists in der Premier League verbuchen konnte.
Und doch scheint Guardiola oft unzufrieden mit ihm zu sein, denn er hat den 31-Jährigen in dieser Saison schon mehrfach zurechtgewiesen.
Was auch immer die Gründe sind, diese stürmische Stimmung zwischen Trainer und Spieler scheint das Beste aus dem Spielmacher herauszuholen, der in dieser Saison neun Tore und stolze 22 Assists verbuchte.
Nach einem für seine Verhältnisse relativ ruhigen Start ins neue Jahr, bei dem er bei der Niederlage gegen Tottenham nicht in der Startformation stand, ist der Belgier nun stärker denn je zurück.
Mit einem Tor und einer Vorlage hatte De Bruyne maßgeblichen Anteil am Sieg im Februar gegen Arsenal. In seinen letzten sechs Spielen für City steuerte De Bruyne sechs Assists und zwei Tore bei, wobei er vor allem gegen Leipzig und Liverpool überzeugte.
Er hat Haalands Torflut angeheizt und mit seinen Läufen über beide Flügel und durch die Mitte die Gegner immer wieder vor riesige Probleme gestellt.
De Bruyne ist ein Albtraum für jeden Gegner und ein Traum für seine Mitspieler, was ihn in diesen wichtigen Champions-League-Spielen zu einem echten Pfund macht.
5. Jack Grealish 2.0
Grealish spielte in der vergangenen Saison in der Champions League nur eine kleine Rolle und stand in keinem der K.-o.-Spiele in der Startelf.
Dabei ist seine letzte CL-Saison vor allem wegen seines Streits mit Stefan Savic von Atlético Madrid und wegen der vergebenen Großchance gegen Real Madrid im Bernabeu in Erinnerung geblieben.
Doch in seiner zweiten Saison bei City hat sich der fast schon als Flop abgestempelte Engländer enorm gesteigert und ist hinter Haaland vielleicht sogar der zweitbeste und konstanteste Spieler der Mannschaft.
Es hat etwas gedauert, aber Grealish hat sich zum perfekten Guardiola-Spieler gemausert, der sich auch in der Defensive voll reinhaut - man denke nur an seinen rasanten Lauf zurück, um Mohamed Salah zu stoppen - und im Angriff genau das tut, was Guardiola will.
Grealish ist längst kein bloßer Angreifer mehr, er ist einer der Architekten von Guardiolas Erfolgsmaschine.
6. Real Madrid ist der einzige wirkliche Konkurrent
Bei City dachte man zunächst, man hätte mit den Bayern das womöglich schwerste Los erwischt. Das 3:0 im Hinspiel spricht allerdings eine andere Sprache.
Sollte man sich im Rückspiel gegen die Bayern durchsetzen können, dürfte Real Madrid das einzige Team sein, das zwischen City und dem lang ersehnten ersten Champions-League-Titel steht.
Wenn City die Mannschaft von Carlo Ancelotti im Halbfinale schlagen kann, wartet im Endspiel eine Mannschaft, die sowohl an Qualität als auch an Erfahrung in der Königsklasse unterlegen ist, egal ob es sich um Inter, Benfica oder Milan handelt.
Noch hat City freilich nicht gegen Real gewonnen, denn die Königlichen sind nie zu unterschätzen. Wie Guardiolas Mannschaft im vergangenen Jahr erfahren hat, kann man den 14-maligen Champion nie ganz abschreiben, selbst wenn alles gegen ihn zu laufen scheint.
Aber auch Real hat Schwächen, und selbst ein in der Krise steckendes Chelsea konnte sich Chancen erarbeiten, wenn auch nicht nutzen.
Madrid hat eine durchwachsene Saison hinter sich und liegt im Titelrennen in LaLiga elf Punkte hinter Barcelona.
Außerdem würde City das Rückspiel im Etihad-Stadion austragen, wodurch Real den Heimvorteil verlieren würde, der bei den drei Comebacks auf dem Weg zum letztjährigen Titelgewinn so wichtig war.
Champions League: Das Viertelfinale im Überblick
Team A | Team B | Hinspiel | Rückspiel |
Benfica Lissabon | Inter Mailand | 0:2 | heute, 21 Uhr |
Manchester City | Bayern München | 3:0 | heute, 21 Uhr |
Real Madrid | FC Chelsea | 2:0 | 2:0 |
AC Mailand | SSC Neapel | 1:0 | 1:1 |