Champions League: "Genug ist genug!" Die letzte Saison, in der es noch Chancen auf Überraschungen gibt

Von Mark Doyle / Falko Blöding
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Die UEFA hat entschieden, ab 2024 die Gruppenphase der Königsklasse durch ein Ligamodell zu ersetzen. Das bedeutet mehr Spiele - und weniger Drama.

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Silvio Berlusconi glaubte schon früh, das Hauptproblem des alten Europapokals erkannt zu haben. "Die Unwägbarkeiten überwiegen", schimpfte der langjährige Patron der AC Mailand. Seiner Meinung nach gab es zu viele Variablen; die Wahrscheinlichkeit, dass ein unglücklicher Zufall oder eine falsche Entscheidung die Saison in Europas größtem Klubwettbewerb für eine starke Mannschaft beendet, war (ihm) einfach zu groß.

Hintergrund: Mehr als 30 Jahre lang wurde der Europapokal der Landesmeister im K.o.-System ausgetragen, was bedeutete, dass bei einer unglücklichen Auslosung ein Titelanwärter auch schon in der ersten Runde ausscheiden konnte. So geschehen zum Beispiel 1987, als Real Madrid Napoli mit 3:1 besiegte.

Berlusconi war beim Hinspiel im Santiago Bernabéu zugegen und ärgerte sich darüber, dass entweder der spanische oder der italienische Meister bereits in der ersten Runde des Wettbewerbs ausscheiden musste. Im folgenden Jahr, nachdem Berlusconis Milan Napoli den Titel in der Serie A abgenommen hatte, sagte er dem Corriere della Sera: "Wir müssen den Europapokal in einen Wettbewerb verwandeln, in dem es um nichts mehr geht."

Seine Vision: "Wir müssen den Europapokal in eine kontinentale Liga umwandeln, eine Formel, die den Vereinen wirtschaftliche Sicherheiten bietet. Stellen Sie sich vor, Sie könnten mit ein paar Spielern mehr die doppelte Anzahl von Spielen bestreiten. Wir würden in Madrid, Barcelona, Lissabon spielen - und nicht in irgendeiner abgelegenen Provinzstadt."

"Mannschaften, die ein gewisses Niveau haben, die mit einem bestimmten Publikum und den daraus resultierenden Einnahmen rechnen können, müssen das Recht haben, regelmäßig gegeneinander anzutreten", folgerte Berlusconi.

Silvio Berlusconi, AC Monza, Tod
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"Wir brauchen eine europäische Liga"

Berlusconis Überlegungen waren nicht neu - nicht einmal in Mailand. Schon 1964 sagte der damalige Technische Direktor des Vereins, Gipo Viani, dem Fanzine Forza Milan: "Wir brauchen eine europäische Liga. Die ideale Version des Fußballs der Zukunft ist es, ein Superspektakel bieten zu können."

Viani erläuterte: "Verstehen Sie nicht, warum die Leute das Stadion verlassen? Man muss dem Publikum [Spiele gegen] Real Madrid, Benfica usw. bieten, und dann wird man sehen, dass sich die Stadien wieder füllen, auch wenn die Eintrittspreise nicht gesenkt werden. Man muss versuchen, eine Meisterschaft mit allen besten europäischen Mannschaften zu schaffen. Man könnte die italienische Liga und die Europaliga miteinander verbinden und den Spielplan der Mannschaften ausdehnen."

Damals ging es nicht nur um Kommerz, sondern durchaus um den pragmatischen Ansatz, den Spielern mehr Einsätze zu ermöglichen. Angesichts des vollgestopften Kalenders heute ist das kaum vorstellbar. Viani aber argumentierte damals: "So hätte jeder Verein eine angemessene Anzahl von Spielen, und dies würde dazu dienen, viele junge Spieler zu fördern, die heute leider nicht ohne weiteres in die A-Mannschaft eingeführt werden können und stattdessen manchmal monatelang in der Reserve verweilen."

Berlusconi ging es dagegen weniger darum, Nachwuchskräften mehr Spielpraxis zu geben. Er wollte mehr Geld verdienen und erörterte mit dem damaligen Real-Präsidenten Ramón Mendoza die Idee einer europäischen Superliga (ESL).

Wie der ehemalige Milan-Direktor Umberto Gandini in einem Gespräch mit Calciomercato auf Twitch sagte, "war die Geburt der Champions League 1993 eine Folge" dieser Gespräche, als die UEFA versuchte, die Gefahr einer von Berlusconi angeführten Abspaltung zu beseitigen, indem sie den alten Europapokal um eine Gruppenphase erweiterte.

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Die Reform der Champions League als "kleineres Übel"

Die Bedrohung durch eine europäische Superliga verschwand jedoch nie. Stattdessen wurde sie regelmäßig als Drohkulisse genutzt, die von der europäischen Elite aufgebaut wurde, um Verbände unter Druck zu setzen und am Ende noch mehr Geld verdienen zu können.

Der Albtraum der UEFA wurde schließlich 2021 wahr, als in aller Eile die ESL (European Super League) gegründet wurde. Doch der Traum von Berlusconi und Mendoza - der schon lange von Real Madrids Präsident Florentino Pérez und seinem Juventus-Kollegen Andrea Agnelli begrüßt worden war - starb einen plötzlichen Tod, als vor allem in England Fanproteste zu einem Einknicken der beteiligten Vereine führte und den abtrünnigen Wettbewerb beerdigte, noch ehe er so richtig aus der Taufe gehoben worden war.

Die UEFA versuchte dennoch, die größten Vereine Europas, die immer noch unter der durch die Pandemie verursachten Wirtschaftskrise leiden, mit einer erweiterten Champions League zu besänftigen. Nächstes Jahr wird das "Schweizer Modell" eingeführt, bei dem 36 Mannschaften (statt bisher 32) in einer riesigen Liga gegeneinander antreten. Jeder Verein wird gegen acht verschiedene Gegner antreten, wobei vier der Spiele zu Hause und vier auswärts ausgetragen werden. Die besten acht Mannschaften ziehen direkt in die Runde der letzten 16 ein. Die Mannschaften auf den Plätzen neun bis 24 erreichen die K.o.-Runde über ein Playoff, so dass die stärksten Mannschaften ein Sicherheitsnetz haben, falls sie sich in zwei oder drei Spielen Ausrutscher leisten.

Es hätte natürlich auch schlimmer kommen können. Ursprünglich war geplant, zehn Runden in der Ligaphase zu spielen - und zwei Mannschaften aufgrund ihrer bisherigen Leistungen in der Champions League aufzunehmen. Zum Glück wurden beide Ideen nach heftigen Protesten wieder verworfen - aber letztendlich hat es die UEFA trotzdem geschafft, vier neue Spieltage in einen ohnehin schon überfüllten Kalender zu quetschen.

Kein Wunder also, dass Ilkay Gündogan feststellte, dass die neu gestaltete Champions League im Vergleich zur ESL lediglich "das kleinere Übel" sei, und sich gezwungen sah, zu fragen: "Denkt denn niemand an uns Spieler?"

Pep Guardiola Man City 2022-23 Champions League medal
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Europas Fußball im Teufelskreis

Darüber hinaus ist das "Schweizer Modell" zwar eine äußerst positive Entwicklung für regelmäßige Champions-League-Teilnehmer, aber ein großer Nachteil für diejenigen, die sich nicht qualifizieren.

Die Fernsehgelder sind für die Vereine dabei natürlich eine sehr wichtige Einnahmequelle. So wird der Premier League mit ihren kolossalen TV-Rechteverträgen für das Ausland inzwischen vorgeworfen, den europäischen Fußball zu zerstören, weil sie den Transfermarkt so stark dominiert.

Die größte Wettbewerbsverzerrung des europäischen Fußballs in den letzten zehn Jahren ist jedoch die Verteilung der Einnahmen aus den UEFA-Klubwettbewerben - genau das ist der Grund dafür, dass dieselben Mannschaften Saison für Saison bestimmte nationale Titel gewinnen und Jahr für Jahr in der Champions League antreten.

Die Qualifikation für den Europapokal ist praktisch zum Selbstläufer geworden, da sie den Teilnehmern ein höheres Einkommen verschafft, das einen Teufelskreis aus anhaltendem Erfolg schafft, der kaum zu durchbrechen ist. Folglich haben die europäischen Ligen hart für eine Erhöhung der Solidaritätszahlungen an nicht teilnehmende Vereine während des nächsten UCC-Zyklus (2024-2027) gekämpft und begrüßten daher die Entscheidung der UEFA, den prognostizierten jährlichen Anteil der insgesamt 4,4 Milliarden Euro von vier auf sieben Prozent zu erhöhen.

"In absoluten Zahlen bedeutet dies, dass ab der Saison 2024/25 308 Millionen Euro an nicht teilnehmende Klubs ausgeschüttet werden (gegenüber aktuell 175 Millionen Euro)", heißt es in einer Erklärung der europäischen Ligen. "Dies ist ein wichtiges Ergebnis für das gesamte Ökosystem des europäischen Profiklubfußballs und die Ligen sind stolz darauf, die UEFA bei diesem Erfolg zu unterstützen."

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Einige sind gleicher als andere

Aufgrund der immer höheren Preisgelder, die in der Champions League abzugreifen sind, werden die Reichen jedoch noch reicher, und die Kluft zwischen den Besitzenden und den Habenichtsen wird immer größer.

Das kommt den Eliten natürlich sehr gelegen. Die Pandemie hat ihnen das Fürchten gelehrt, denn sie hat die finanzielle Anfälligkeit einer Branche, die sich längst selbst überholt hat, brutal offengelegt. Ihre lächerlich brüchigen Geschäftsmodelle wären aufgrund der Einnahmeverluste während der Lockdowns beinahe zusammengebrochen.

Während Agnelli, Pérez und andere also zu argumentieren versuchten, dass die ESL für das Überleben aller europäischen Klubs unerlässlich sei, ging es ihnen offensichtlich nur um den Schutz ihrer eigenen wirtschaftlichen Interessen. Agnelli, das sollten wir nicht vergessen, war entsetzt darüber, dass Atalanta - ein Verein aus einer Provinzstadt, über den sich Berlusconi arrogant lustig gemacht hatte - der Roma den Platz in der Champions League "wegschnappte", nur weil sie sich auf dem Spielfeld als die bessere Mannschaft erwiesen hatte.

Die Roma, so argumentierte Agnelli, hätte nicht mit dem Ausschluss aus Europa "bestraft" werden dürfen, nur weil sie eine einzige Saison lang keine guten Leistungen erbracht hatte - was natürlich den Sinn von Spielen untergräbt. Es ist das genaue Gegenteil von Fußball und von Sport im Allgemeinen, da es die Ergebnisse irrelevant und die sportlichen Leistungen bedeutungslos macht.

Wenn Pérez also argumentiert, dass "die Besten immer gegen die Besten spielen sollten", meint er damit in Wahrheit die Aufrechterhaltung des sportlichen Status quo durch wirtschaftliche Ungleichheit. Europas Aristokraten mögen es eben nicht, wenn neue Gesichter die alte Ordnung durcheinander bringen. Pérez und seinesgleichen verkünden zwar, dass alle Vereine gleich sind, wie die Schweine in George Orwells Farm der Tiere, aber sie glauben, dass einige gleicher sind als andere.

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Neues CL-Format: Die Fans wenden sich ab

Es gab jedoch einen grundlegenden Gedankenfehler in der ESL, der auch in der neu gestalteten Champions League zu finden ist: das Fehlen von Gefahrensituationen. Fans, Zuschauer, Konsumenten - oder wie auch immer die großen Börsenmakler des Fußballs sie nennen wollen - wollen nicht nur den Besten gegen den Besten sehen, sie wollen auch Dramatik. Sie wollen Drehungen und Wendungen, Überraschungen und Schocks. Sie wollen sicher nicht, dass das Ergebnis von vornherein feststeht - oder schlimmer noch, dass es belanglos ist.

Wie Ronan Evain, Chef der Fanvereinigung Football Supporters Europe (FSE), wiederholt betont hat, erhöhe die Anzahl europäischer Spiele nicht nur "die Kluft zwischen den Ligen und innerhalb der Ligen". Sie verstärke auch "die Dominanz reicher Klubs" und führe unweigerlich zu "langweiligerem, uninteressantem Fußball".

"Die Fans wollten auch eine Reform", sagte Evain gegenüber SPOX und GOAL. "Aber es tut mir leid, man kann die Schuld für diese Art von überarbeiteter Champions League nicht den Fans zuschieben. Sie werden keine Fans finden, die mehr europäische Spiele wollen. Es gibt vielleicht eine Nachfrage von Sendern oder Märkten außerhalb Europas nach mehr Spielen, aber es gibt keine Nachfrage von den Fans, die wöchentlich die Spiele besuchen."

Die Gründe dafür liegen für ihn auf der Hand: "Sie wollen nicht mehr Spiele, weil sie sich nicht mehr Spiele leisten können. Es gibt eine Grenze dafür, was ein Fan in den Fußball investieren kann. Wenn man also mehr Spiele und höhere TV-Abonnements einführt - was, seien wir ehrlich, die Idee dahinter ist -, dann werden die Fans irgendwann sagen: Genug ist genug."

Evain legte den Finger in die Wunde, indem er meinte, diese Form der Geldbeschaffung diene vielen Klubs dazu, das eigene Missmanagement zu kaschieren: "Wir können alle sehen, dass der Fußball Probleme hat, seine Finanzen zu verwalten. Die Spitzenklubs sind nicht die superreichen Unternehmen, von denen man uns gesagt hat, sie seien es. Wir stellen fest, dass es sich um schlecht geführte Unternehmen mit geringen Rücklagen handelt. Was wir also jetzt mit der Erweiterung der Champions League erleben, ist der Versuch des Fußballs, diese Krise intern zu bewältigen."

Die Zeit nach Corona wertet der Fanvertreter als vertane Chance: "Wir als Fans hatten gehofft, dass diese schwierige Zeit dazu genutzt wird, über den Fußball, seine Funktionsweise und sein Verhältnis zu den lokalen Gemeinschaften und der Gesellschaft im Allgemeinen nachzudenken. Stattdessen geben viele der Hauptakteure viel Geld und Mühe aus, um ein Format durchzudrücken, das nichts an den Ungleichgewichten innerhalb des Spiels ändern wird."

Gleichheit ist eben nicht unvereinbar mit Unterhaltung, im Gegenteil, sie schafft und fördert sie.

Kylian Mbappe PSG 2023-24
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Am Ende siegt das Geld

Das derzeitige Champions-League-Format ist alles andere als fehlerfrei. Aufgrund der groben finanziellen Ungleichheit, die das Turnier seit Jahren begünstigt, sind viele Gruppen schmerzhaft vorhersehbar und von Unstimmigkeiten und Nullrunden geprägt.

Man hätte sich jedoch darauf konzentrieren sollen, die aktuellen Mängel der Königsklasse (und die Verteilung des Reichtums) zu beheben, denn trotz des Setzverfahrens hat sich die aktuelle Gruppenphase die Fähigkeit bewahrt, faszinierende Auslosungen hervorzubringen.

In diesem Jahr ist das der Fall: Paris Saint-Germain, Borussia Dortmund, die AC Mailand und Newcastle befinden sich alle in einer Gruppe. In der "Todesgruppe" gibt es nur eine Garantie: dass zwei Mannschaften nicht überleben. Folglich sollte - oder dürfte - es von Anfang bis Ende spannend sein. Gleichheit bedeutet Unterhaltung!

Die bevorstehende Abschaffung der Gruppenphase stellt aber sicher, dass wir genau so etwas nicht mehr erleben werden. Genießt es also, solange ihr noch könnt - denn die Änderungen und Drohungen werden hier definitiv nicht enden. Das "Schweizer Modell" ist nur der Anfang.

Denn wenn die Pandemie etwas bewiesen hat, dann, dass die Kosten für ein frühzeitiges Ausscheiden aus Europa für schlecht geführte Vereine immer noch zu hoch sind. Das ultimative Ziel bleibt die vollständige Beseitigung des Risikos - denn das Unwägbare darf nicht die Oberhand gewinnen. Heutzutage muss das Geld über alles siegen.