Man kann es schon als reichlich skurril bezeichnen, dass der Tabellenfünfte der Bundesliga, der dort in der soeben abgelaufenen Saison die schlechteste Platzierung seit neun Jahren eingefahren hat, im Finale der Champions League steht. Noch skurriler ist nur, dass die heikelste Frage vor dem Endspiel gegen Real Madrid die ist, ob Borussia Dortmund im Londoner Wembley-Stadion auf seinen besten Liga-Torschützen in der Startelf verzichten wird.
Genau das ist nämlich Donyell Malen, der sich mit seinem Treffer zum 4:0 gegen Darmstadt am 34. Spieltag auf Platz eins der teaminternen Torjägerliste setzte. 13 Buden in 27 Partien gelangen dem Niederländer, Niclas Füllkrug traf in 29 Begegnungen für Dortmund zwölfmal. Mit insgesamt jeweils 15 Toren in Pflichtspielen stehen beide im BVB-Ranking dieser Spielzeit ganz oben.
Es wird für Trainer Edin Terzic gegen die Königlichen aber nicht darum gehen, welcher dieser beiden Spieler aufläuft. Füllkrug hat seinen Platz sicher - und mit ihm, sollte in den Tagen bis London nichts Außergewöhnliches mehr geschehen, neun andere Profis. Dazu später mehr.
Malen dagegen duelliert sich mit Karim Adeyemi. 20 Torbeteiligungen treffen hier auf sieben, den 15 Toren Malens hat Adeyemi fünf entgegenzusetzen. Auf dem Papier scheint der Fall klar, doch das ist er nicht. Im Gegenteil sogar.
BVB: Karim Adeyemi hat sich Vorteil gegenüber Donyell Malen erspielt
Adeyemi hat sich mit ein paar guten Restwochen der Saison einen vermutlich entscheidenden Vorteil erspielt. In just dieser Zeit konnte Malen nicht mittun, er brachte vom Länderspiel gegen Deutschland Ende März eine hartnäckige Oberschenkelverletzung mit. Sechs Pflichtspiele, darunter beide CL-Viertelfinalpartien gegen Atlético Madrid, verpasste er daher. Im Halbfinale gegen Paris Saint-Germain saß er 180 Minuten draußen.
Zwar leistete sich Adeyemi während Malens Abwesenheit mit dem irrsinnigen Platzverweis in Gladbach einen schweren Patzer und ließ nach seiner Sperre in Leipzig eine 45-minütige Leistung folgen, die nahe an der Arbeitsverweigerung lag. In der Champions League jedoch, und das wird für Terzic am Ende die wichtigste Währung bei seiner Entscheidung sein, funktionierte Adeyemi so, wie man es sich von ihm wünscht.
Das war auch, mal wieder, höchste Zeit. Bereits im Vorjahr, seiner ersten Saison in Dortmund, benötigte der schnelle Flügelspieler einen sehr langen Anlauf, ehe er in der Rückrunde auf der Erfolgswelle des gesamten Teams mitschwamm und ausgezeichnete Darbietungen ablieferte. Auch die aktuelle Spielzeit lief sportlich sehr schleppend und abseits des Platzes fast schon gewohnt geräuschvoll bei ihm.
BVB: Karim Adeyemi hat in der Defensivarbeit zuletzt überzeugt
Zuletzt aber scheint es ein wenig Klick gemacht zu haben in Adeyemi. Die reichliche Kritik der vergangenen Monate, an seinen Leistungen und seinem Lebenswandel, könnte angekommen sein. Der 22-Jährige hat vor allem bei der Arbeit gegen den Ball zugelegt.
Das war auch kein Kunststück, könnten Spötter entgegnen. Adeyemi ist wie Malen ein dynamischer, trickreicher Konterspieler. Diesen Spielerprofilen fehlt häufig die nötige Gier und bisweilen auch Ernsthaftigkeit für die weiten Wege in die Defensive. Die Bemühungen, sich dabei zu verbessern, sind beiden Spielern grundsätzlich nicht abzusprechen. Viel Luft nach oben bleibt dennoch.
Doch just da hat Adeyemi eben in den vier Spielen gegen Atlético und PSG einen großen Sprung gemacht. Er unterstützte Ian Maatsen auf der linken Seite permanent, sein Arbeitseifer war ausgezeichnet. Beinahe sah es so aus, als habe Adeyemi tatsächlich Lust aufs Verteidigen und den in Dortmund gerne gespendeten Applaus nach einer gelungenen Defensivaktion bekommen.
BVB: Die Statistiken von Karim Adeyemi in der Saison 2023/24 bei Borussia Dortmund
Wettbewerb | Spiele | Tore | Vorlagen |
Bundesliga | 21 | 3 | 1 |
Champions League | 11 | 2 | 1 |
DFB-Pokal | 1 | - | - |
BVB: Donyell Malen im Kerngeschäft deutlich effektiver
Eine solche Entwicklung blieb bei Malen bislang aus. Dafür zeigte er sich in diesem Jahr, siehe die genannten Statistiken, deutlich effektiver im Kerngeschäft als Adeyemi. Der 25-Jährige kam häufiger mit seinen temporeichen Läufen durch, legte in engen Räumen im Eins-gegen-eins starke Drehungen hin und erwies sich im Vergleich mit seinem Konkurrenten rund um den Strafraum als viel zielstrebiger und letztlich torgefährlicher.
Malen könnte letztlich einfach Pech gehabt haben, dass er sich diese Verletzung zuzog. Sieben Tore hatte er zuvor im Jahr 2024 erzielt und sich in toller Form befunden. Damals hätte er seinen Platz in der Startelf sicher gehabt. Nun jedoch datiert Malens letztes Spiel über die vollen 90 Minuten von Mitte März gegen Frankfurt.
Sollte Malen Terzics Härtefall werden, muss das aber nichts Schlechtes sein. Der Nationalspieler erwies sich einige Male schon als guter Impulsgeber von der Bank, zwei Tore schoss er in dem Spieljahr auf diese Weise.
BVB fehlt ein gesunder, gleichwertiger Konkurrenzkampf
Dass der BVB-Trainer jedoch aller Voraussicht nach nur bei diesen beiden Personalien ins Grübeln kommen dürfte, lässt sich nicht als Qualitätsmerkmal des Kaders deuten. Als Terzic gegen Augsburg (5:1) und vor allem in Mainz (0:3), als die Dortmunder Bundesligasaison austrudelte, großflächig rotierte, drängte sich niemand der Wenigspieler auf. Vielmehr zementierten sie den Status quo.
Gewiss, es ist kein Nachteil, dass Terzic genau jetzt personell aus dem Vollen schöpfen kann. Die Mannschaft wirkte zuletzt eingespielt und weitestgehend homogen. Die voraussichtliche Startelf hat sich das erneute Mandat in Wembley zudem verdient, sie hat es ja auch ins Finale geschafft.
Dass dem BVB vor dem größten Spiel der vergangenen elf Jahre ein gesunder, gleichwertiger Konkurrenzkampf fehlt, ist allerdings ein Manko, dem der Umbruch des Kaders im Sommer beizukommen hat.
BVB: Die Statistiken von Donyell Malen in der Saison 2023/24 bei Borussia Dortmund
Wettbewerb | Spiele | Tore | Vorlagen |
Bundesliga | 27 | 13 | 3 |
Champions League | 7 | 1 | - |
DFB-Pokal | 3 | 1 | 2 |