Thomas Müller hatte keinen Bock. Lieber auf die Zunge beißen und die Emotionen sacken lassen, bevor etwas rausrutscht, das eventuell später gegen einen verwendet werden kann.
"Ich würde sicherlich nur Falsches sagen", sprach Müller und raste von dannen.
Dieser Champions-League-Abend, der lange Zeit so verheißungsvoll verlief, fand ein unerträgliches Ende für den FC Bayern München. Das 1:0 aus dem Hinspiel und eine 2:1-Pausenführung reichten nicht aus, um Titelverteidiger Inter Mailand aus dem Wettbewerb zu werfen.
Da hatte der ein oder andere Bayern-Spieler Probleme, sein Temperament zu zügeln.
Keine Champions-League-Tauglichkeit
Was Müller nicht tun wollte, erledigten die Kollegen. Ungewöhnlich heftig wurden die Gründe für die Niederlage verbal ausgefochten. Arjen Robben ("Wir machen immer wieder die gleichen Fehler") sprach der Abwehr indirekt die Champions-League-Tauglichkeit ab.
Mario Gomez fügte an, Inter habe nur durch "unsere Dummheit" das Viertelfinale erreicht. Zudem habe jeder Spieler "in der zweiten Halbzeit die Verantwortung nur weitergeschoben".
Ein fast schon unanständiger Vorwurf an die Führungsspieler, aber dicht dran an der Wahrheit. So begeisternd die Bayern in der ersten Halbzeit Tempofußball spielten, so naiv gaben sie das Spiel nach der Pause aus der Hand.
"Wir haben das Spiel nur noch verwaltet. Das können wir aber nicht", sagte Gomez.
Mangelhafte Chancenauswertung
Dabei hätte zur Pause schon alles klar sein können, doch die Bayern ließen drei, vier klare Torchancen liegen. "Wir müssen einfach zur Pause 4:1, 5:1 führen", sagte Robben.
Torhüter Thomas Kraft pflichtete bei: "Wir hätten gewinnen müssen - und zwar hoch."
Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge trauerte zwar ebenso den vergebenen Chancen nach, betonte aber zu Recht, dass man ein Fußballspiel auch über eine starke Defensive gewinnen kann. "Wir haben das taktisch nicht gut gemacht. Wenn man 2:1 führt, muss man das über die Runden bringen", so Rummenigge.
Das komplette Interview mit Karl-Heinz Rummenigge
Schweinsteiger will Materazzi an den Kragen
Die fehlende Cleverness trieb Bastian Schweinsteiger sogar zur Weißglut. "Es ist unfassbar, dass wir gegen Inter Mailand ausscheiden. Inter war in meinen Augen kaputt, sie konnten nicht mehr laufen. Und wir haben es trotzdem nicht geschafft, clever zu spielen. Es geht nur, wenn man kompakt steht", sagte Schweinsteiger und blickte dabei in eine tiefe Leere.
Wenige Minuten zuvor war er noch so aufgebracht, dass er sich von Marco Materazzi provozieren ließ und ihm an den Kragen wollte. "Ich verstehe jetzt Zidane", sagte er bei "Sky" in Anspielung auf dessen Kopfstoß gegen Materazzi im WM-Finale 2006. "Er hat mich schon vor dem Spiel im Kabinengang provoziert und kommt nach dem Spiel noch mal her und beschimpft mich."
Gleich zwei Böcke von Breno
Dabei hatte das Spiel an sich schon mehr als genug Frustpotenzial. Die Fehlerkette der Bayern in den entscheidenden Momenten war beträchtlich. Vor dem 2:2 verlor Breno Eto'o aus den Augen. Der Kameruner konnte einen langen Querpass von Coutinho in Ruhe annehmen und für Wesley Snejder fühlte sich auch niemand zuständig.
Vor dem 2:3 machte Breno durch schwaches Stellungsspiel und höchst naives Zweikampfverhalten einen langen Ball auf Eto'o erst scharf.
Kein Fehler des Trainers
Selbst Trainer Louis van Gaal musste zugeben, dass in der Defensive schwere Fehler gemacht wurden: "Es ist uns in dieser Saison schon oft passiert, dass wir Tore einfach weggeben. Wir haben nichts von unseren Fehlern gelernt, das ist schade."
Schweinsteiger und Robben betonten, dass der Trainer in der Vorbereitung alles richtig gemacht habe. "Der Trainer gibt es vor, sagt, wie der Gegner steht. Aber wir machen es einfach nicht. Das kann nicht sein, ist aber leider nicht das erste Mal gewesen", sagte Schweinsteiger.
Innerhalb von zweieinhalb Wochen hat der FC Bayern sämtliche Titel in dieser Saison verspielt und dabei drei Heimniederlagen kassiert.
Robben hält die Saison für nicht mehr reparabel: "Wenn man solche Tore weggibt, dann weiß ich nicht, ob die Saison noch zu retten ist. Das einzige, was wir machen müssen, ist nächste Saison in der Champions League zu spielen. Das ist für mich wichtig. Wir haben jetzt keine andere Wahl, als die Spiele in der Bundesliga zu gewinnen, die dafür erforderlich sind."
Ein Horrorszenario droht
Ex-Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld sprach bei "Sky" von einem "Horrorszenario, das man sich nicht erträumen kann". Die Spieler hätten die "Aufgabe Bayern München nicht erfüllt."
Und es droht das nächste Horrorszenario. "Nächstes Jahr ist das Champions-League-Finale in diesem Stadion. Wir wollen es unseren Fans nicht zumuten, dass sie ein Finale vor der Haustür haben und wir in der Europa League spielen", sagte Gomez. "Deswegen ist die Saison für uns sicher noch nicht gelaufen."
Am späten Dienstagabend hatte man dennoch das Gefühl, dass die Zeit für den FC Bayern stehen geblieben ist.
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