Samuel Eto'o war der Verzweiflung nahe, Wesley Sneijder blickte ungläubig in den Nachthimmel und Julio Cesar wollte nach seinem spielentscheidenden Patzer am liebsten nur noch weg: Inters Traum von einem weiteren Champions-League-Titel bekam am Mittwochabend einen gehörigen Dämpfer.
Die Hauptschuldigen daran: Ein im Vergleich zum Finale 2010 deutlich verbesserter FC Bayern, der neben dem Torschützen Mario Gomez seine besten Spieler im reflexstarken Keeper Thomas Kraft, dem zweikampfstarken Debütanten Luiz Gustavo und dem kalt ins Spiel geworfenen Breno hatte. Aber der Reihe nach.
Van Gaal lobt Keeper Kraft
Thomas Kraft ist eigentlich ein zurückhaltender Junge. Manche würden ihn unterkühlt oder schmallippig nennen. Aus ihm blubbert kein Wort zu viel, nur auf dem Platz geht er verschwenderisch mit seinem Temperament um. Um sich zu pushen, versteht sich. Sieht man ihn abseits des Platzes, sieht er wie ein normaler 22-Jähriger aus. Auf dem Platz wirkt er für sein Alter verdammt abgeklärt.
So ein Champions-League-Spiel vor 75.925 Menschen im Giuseppe-Meazza-Stadion sei im Grunde nichts anderes als ein Drittliga-Spiel gegen Sandhausen. Spiel ist Spiel, sagte Kraft, nachdem er eben fünf Inter-Chancen teilweise bravourös zunichte gemacht und damit im dritten Champions-League-Spiel zum zweiten Mal zu Null gespielt hatte.
"Ich stehe nicht unter Strom. Ich bin nicht nervös und empfinde auch keinen Druck, nur Anspannung", so der Bayern-Keeper nach dem 1:0-Sieg in San Siro. Worte, die Trainer Louis van Gaal gerne hören wird. "Er ist ein guter Reflexkeeper und nicht nur das. Aber diesmal waren seine Reflexe sehr wichtig für uns", lobte van Gaal seinen Torwart.
Gute Argumente für einen neuen Vertrag
Perfekt war sein Auftritt jedoch nicht, gab Kraft selbst zu. "Ich habe ordentlich gehalten, so ist es nicht. Aber ich habe den ein oder anderen schlechten Ball gespielt, deswegen war es nicht perfekt", so der Keeper. Welch hohen Anteil Kraft am Sieg der Bayern hatte, wussten jedoch alle. Oder anders formuliert: Bayern siegte auch, weil man an diesem Abend den besseren Torhüter zwischen den Pfosten hatte.
Kraft sei "sehr klar in der Birne" und bringe neben "unheimlich viel Talent" auch "alle Fähigkeiten mit, die unser Spiel von einem Torwart verlangt", meinte Torschütze Gomez lobend, wollte aber eigentlich am liebsten gar keine Worte mehr über den Kollegen verlieren: "Wir sollten ihn jetzt in Ruhe lassen, dass er weiter seine Arbeit machen und weiter gut halten kann."
Recht viel mehr will Kraft derzeit auch gar nicht. Nicht mal über seinen im Sommer auslaufenden Vertrag nachdenken, auch wenn er sich mit jedem Spiel von diesem Kaliber unentbehrlicher macht. "Das interessiert mich momentan nicht und hat auch Zeit. Deswegen mache ich mich nicht verrückt", sagt Kraft, der sich bei seinen Mitspielern laut eigener Aussage "sehr akzeptiert" fühlt. Auch wenn es vielleicht in der nächsten Saison wieder gegen Sandhausen geht, wer weiß das schon genau.
Gustavo schaltet Sneijder beinahe aus
Auf dem Weg zu mehr Akzeptanz ist auch Luiz Gustavo, der in seinem ersten Champions-League-Spiel gleich als Bewacher des Inter-Spielmachers Wesley Sneijder brillierte.
Wie gut Gustavo seinen Job erledigte, sah man an der Körpersprache seines Gegenspielers, der eigentlich stets mit den Armen fuchtelte und wütend schaubend auf den Schiedsrichter blickte und darüber sein eigenes Spiel vergaß.
"Jeder Spieler träumt von der Champions League und ich denke, ich habe es in meinem ersten Spiel ganz gut gemacht", sagte Gustavo nach dem Spiel auf Deutsch. "Ich habe den anderen geholfen, das war sehr wichtig für mich. Ich freue mich sehr."
"Er kann noch besser spielen"
Dass er als Linksverteidiger begann, dann aber nach nicht mal zwei Minuten mit Danijel Pranjic die Position tauschte, war mit dem Trainer vorher als Variante abgesprochen, verriet er. Van Gaal wollte einfach abwarten, wo Sneijder auflaufen würde, und dann reagieren. Linksfuß Gustavo musste so fortan halbrechts ran - eine ungewohnte Position.
"Bisher habe ich immer nur auf der linken Seite gespielt, halbrechts ist nicht meine Position. Das war nicht einfach", sagte er. Van Gaal hingegen freute sich über ein gelungenes Debüt seines Wintertransfers, der sich weniger Ballverluste leistete als Nebenmann Schweinsteiger.
"Ich dachte, dass er die Lösung gegen Wesley Sneijder sein kein. Deswegen habe ich ihn in Mainz schon auf dieser Position eingesetzt", sagte der Coach. Es sei nicht einfach, sich sowohl auf die Linksverteidigerposition als auch aufs Mittelfeld vorzubereiten, führte van Gaal noch zu Gustavos Gunsten an. Seine einzige Einschränkung: "Bei Ballbesitz kann er noch ein bisschen besser spielen."
Innenverteidigung mit Breno stabiler
Van Gaals Pläne mit Pranjic als flinkem Dauerläufer gegen Maicon wurden im Spiel indes früh von einer Adduktorenzerrung des Kroaten torpediert. "Ist bei einem Sprint passiert", sagte Pranjic nach dem Spiel. Ausfallzeit fraglich. Van Gaal entschied sich so nach 38 Minuten für einen Umbau der Innenverteidigung, mit der er zuvor sowieso "nicht zufrieden" gewesen war.
Mit Breno stellte er Anatolij Tymoschtschuk einen zuletzt schmollenden Reservisten zur Seite, der jedoch prompt mehr Sicherheit in Bayerns Defensive brachte. Holger Badstuber musste dafür auf die linke Seite weichen. Dass die Wechsel problemlos klappten, war für Kapitän Philipp Lahm ein Zeichen dafür, dass "die Mannschaft reifer als noch in der letzten Saison" ist.
"Wir haben in der Defensive viel besser als bei der Finalniederlage gespielt", sagte Lahm. Phasenweise ginge es zwar immer noch zu schnell hin und her, "aber prinzipiell können wir sehr zufrieden sein". Kurzum: "Die Mannschaft hat heute gezeigt, zu was sie fähig ist. Vor allem die Organisation in der Defensive hat sehr gut gepasst."
Ein klasse Spiel mit klarem Sieger
Den mahnenden Zeigefinger erhob dafür der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge. "Ich möchte davor warnen zu glauben, die Wiese sei schon gemäht - das ist sie nämlich nicht. Inter ist eine Mannschaft mit hoher Qualität und viel Willen", sagte der Bayern-Boss auf dem anschließenden Bankett, bei dem auch Ex-Kapitän Mark van Bommel vorbei geschaut hatte. "Man darf nicht den Fehler machen, jetzt schon alles zu euphorisch zu sehen."
Nichtsdestotrotz habe der Abend einen verdienten Sieger gesehen: den Fußball. "Bevor das Tor fiel, habe ich gesagt: 'Das ist das beste 0:0, bei dem ich je dabei sein durfte'", so Rummenigge. Fußballerisch sei das Spiel deutlich besser gewesen als das Finale der letzten Saison zwischen beiden Mannschaften, "weil diesmal von beiden Seiten mehr in das Spiel reingelegt wurde".
Rummenigges Einschätzung: "Dass wir zum Schluss mit der letzten Aktion noch als Sieger vom Platz gehen, war ein bisschen glücklich." Auf der anderen Seite hätte es aber "auch 4:4 ausgehen können". Doch da hatte der coole Kraft etwas dagegen.
Inter Mailand - FC Bayern: Daten zum Spiel