Das 2:1 (1:0) im Halbfinal-Hinspiel gegen Real Madrid eröffnet dem FC Bayern München alle Chancen, um das Endspiel der Champions League im eigenen Stadion zu erreichen. Die Münchener wählten gegen die Königlichen die richtige Gangart, aber vor allem die richtige Taktik. Und sie bewiesen einmal mehr, wo die Prioritäten heuer in München liegen. Da konnte es sich der FC Bayern sogar leisten, ein "Problemkind" mitzuschleppen.
Hamit Altintop sah es nicht. Nuri Sahin und Lassana Diarra auch nicht. Und auch Lothar Matthäus und Begleitung Joanna Tuczynska verschwanden fünf Minuten vor Schluss aus der prall gefüllten Allianz Arena und verpassten, wie die in den Katakomben verschwundenen Tribünengäste Real Madrids, das 2:1 durch Mario Gomez und damit den Siegtreffer des FC Bayern über Real.
Die, die nicht mehr daran geglaubt hatten, dass die Truppe von Jupp Heynckes noch einmal zurückkommen könnte, um doch noch den wichtigen Hinspielsieg unter Dach und Fach bringen, sahen in den fast 90 Minuten vorher offenbar nicht genau hin. Denn: Der FC Bayern, der am Dienstagabend gegen Real auf dem Platz stand, war ein anderer.
Ein anderer FC Bayern
Ein anderer als der FC Bayern, der vor einer Woche im Signal-Iduna-Park bei Borussia Dortmund um die letzte Chance in der deutschen Meisterschaft spielte - aber so wirkte, dass er diese nicht als solche wahrgenommen hatte.
Ein anderer FC Bayern als in weiten Teilen der letzten Bundesliga-Wochen, die mehr Unzufriedenheit denn Punkte fabrizierten. "Man hat gesehen, dass wir gebissen haben und noch was reißen wollten", sagte Thomas Müller.
"Was ich vorher angemahnt habe, Leidenschaft, Gier, Hunger auf Erfolg, das haben meine Spieler gezeigt", lobte Trainer Heynckes.
Dass der FC Bayern das Champions-League-Finale im eigenen Stadion will, ist keine Weltneuheit. Dort will jeder ambitionierte Klub der Welt spielen. Die Münchener verkörpern allerdings diesen Willen auf dem Platz wie sonst kaum. Es sind nicht nur Laufleistung, Zweikampfwerte oder Ballbesitz, die diese Gier messbar machen.
Rudelbildungen und Emotionen
Die Münchener ließen sich beim "sehr emotionalen Spiel" (Karl-Heinz Rummenigge) von der lange nicht mehr in dieser Form gesehen und gehörten Stimmung in der Allianz Arena anstecken. Die 66.000 Zuschauer peitschten die Mannschaft nach vorne. Die Mannschaft peitschte die Zuschauer an.
So viele Rudelbildungen gab es in der Allianz Arena lange nicht mehr, so dass die Madrilenen schon einmal für den samstäglichen Clasico beim FC Barcelona üben konnten. Auch so viele gesten- und wortreiche Beschwerden bei den sechs Schiedsrichtern, die in vielen Fällen völlig berechtigt waren, sind für Münchener Verhältnisse auch eher ungewohnt.
Im Vergleich zum ähnlich wichtigen Bundesliga-Spiel in Dortmund wirkte die Schlagzahl und Intensität dort nicht ansatzweise auf ähnlichem Niveau, auch wenn sicherlich Ort, Gegner und Möglichkeiten der Entfaltung bei der Wahrnehmung und letztendlich Ausführung eine Rolle spielten.
Dennoch darf das Heimspiel gegen Real als Beleg herhalten, wo die Prioritäten in dieser Saison liegen - nach der fast sicher erneut verpatzten Meisterschaft sowieso: Das Finale soll her - und das nicht auf zufällige Art und Weise. "Wir müssen vom Finale nicht nur träumen, sondern viel dafür tun, dann können wir das Endspiel auch erreichen", sagt Mario Gomez.
"Wenn wir geträumt hätten..."
Ähnlich sieht es Thomas Müller: "Wir sind im Halbfinale und wenn du da stehst, träumst du nicht mehr. Wenn wir träumen würden, dann hätten wir nicht 2:1 gewonnen. Träumen können andere."
In der Tat war es nicht nur der pure Kampfgeist, der die Hoffnung am Leben erhält: Die Bayern fanden die richtige Taktik - offenbar auch die einzige, die Jose Mourinhos homogene Mannschaft stoppen kann. "Wir haben das Spiel clever und geschickt über die Runden gebracht", sagte Heynckes.
Nach anfänglichen Problemen, die Real vor allem durch den gut aufgelegten Mesut Özil verursachte, fanden sich die Bayern schnell zurecht und waren nach zehn Minuten Herr im eigenen Haus.
Insbesondere die immer wieder mal in Kritik geratene Abwehr verdiente sich ihre Lorbeeren auf höchstem Niveau. "Wenn alle defensiv mitarbeiten, lassen wir wenig Chancen zu und machen ein gutes Spiel", fasst es Philipp Lahm recht simpel zusammen. Aber genau das war das Erfolgsgeheimnis der Gastgeber.
Schweinsteiger noch nicht in Topform
Die Viererkette um Holger Badstuber funktionierte fast in Perfektion - gerade der deutsche Nationalspieler bewies internationale Klasse. Allerdings auch nur, weil die Bayern in der Gesamtheit sehr gut verschoben, defensiv den Raum gut verteidigten, um bei Angriffen schlagartig Real unter Druck zu setzen. Cristiano Ronaldo winkte früh im Spiel ab, weil er kein Zugriff aufs Spiel fand. Auch Angel di Maria war nur eine Halbzeit sichtbar. Ein Verdienst der bayerischen Defensivarbeit.
Da konnte es sich Jupp Heynckes sogar leisten, Bastian Schweinsteiger mitzuschleppen. Der Mittelfeldspieler ist nach zwei langen Verletzungspausen nicht auf dem Level, dass es für diese Spiele reichen würde. In Dortmund saß Schweinsteiger deswegen auf der Bank, der Versuch gegen Madrid hielt nur 60 Minuten, in denen der Bayern-Leader fataler Weise mit einem Fehler das 1:1 durch Mesut Özil einleitete.
Dass Schweinsteiger für Müller weichen musste, schmeckte ihm nicht. Dass die 31 auf der Tafel gezeigt wurde, wollte Schweinsteiger zunächst nicht wahrhaben und auch nach Schlusspfiff war ihm ein 2:1-Sieg des FC Bayern im Champions-League-Halbfinale gegen Real Madrid nicht anzusehen. So verschwand er auch nach der Partie als erster aller Spieler aus der Allianz Arena.
Kroos übernimmt Schweinsteiger-Rolle
Heynckes bringt Verständnis für Schweinsteiger auf, stellt aber auch klar: "Ich bin der Trainer und ich entscheide, wann ich Spieler ein- und auswechsele. Bastian war lange verletzt und muss langsam aufgebaut werden. Da kann noch nicht alles perfekt klappen."
Im Rückspiel soll Schweinsteiger ein Stück weiter sein und da soll vor allem das Gastspiel bei Werder Bremen, das für den FC Bayern wohl zum Training unter Wettkampfbedingungen verkommen wird: "Bastian wird in Bremen wieder auf seine 60 Minuten kommen, und dann denke ich, dass er beim Rückspiel in Madrid noch ein Stück weiter sein wird und der Mannschaft noch mehr helfen kann. Ich plane ihn voll ein."
Seine Rolle als Takt- und Passgeber übernimmt bis dahin Toni Kroos, der gegen Real einer der besten war. Wie die Bayern nun das Rückspiel angehen wollen, ist die große Frage. Da ist zum einen das Problem mit den Gelben Karten.
Das Problem mit den Gelben Karten
"Fünf Spieler waren ja heute schon gefährdet - und keiner hat sich verabschiedet. Ähnlich kann das auch in Madrid laufen. Wir haben intelligente Spieler", sagte Jupp Heynckes. Neben den ohnehin mit zwei Gelben Karten vorbelasteten Kroos, Müller, Luiz Gustavo, David Alaba und Jerome Boateng sind seit Dienstagabend auch Badstuber und Lahm gefährdet.
Sehen sie Gelb, fehlen sie im Finale. Ähnliches Schicksal ereilte Franck Ribery 2010, als er rotgesperrt im Endspiel gegen Jose Mourinhos Inter Mailand fehlte.
An der Gangart soll sich im Estadio Bernabeu aber beim FCB dennoch nichts ändern. "Der FC Bayern wird seinem Stil treu bleiben und auch in Madrid nach vorne spielen." Die Krux dabei ist, dass Real ein 1:0 genügt. Auch Jose Mourinho sagt: "Es ist ein Ergebnis, das von dir verlangt, dass du es zu Hause drehst."
Spielen die Bayern (zu) offensiv, laufen sie Gefahr, Real in die Karten zu spielen. Spielen zu defensiv, droht eventuell das Schicksal vieler Gäste in Madrid.
"Wir glauben an unsere Stärke, ich bin überzeugt, dass wir eine Runde weiterkommen. Wir sehen uns wieder in München", sagte der kesse Mesut Özil nach dem Spiel. Fast identisch sprach Bayerns Stadionsprecher nach dem Schlusspfiff vom "Wiedersehen am 19. Mai" - mit dem FC Bayern versteht sich. Wer wohl recht behält?
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