Der Herbst neigte sich gerade dem Ende zu und der Winter übernahm in Manchester langsam aber sicher das Kommando, als Raffael im abschließenden Champions-League-Gruppenspiel seine Gladbacher Borussia gegen Manchester City mit 2:1 in Führung schoss. Seitdem passierte einiges bei den Skyblues. Kurzfristig gesehen drehten sie den Rückstand gegen Gladbach in einen 4:2-Sieg - langfristig betrachtet kämpften sie sich bis ins Halbfinale der Champions League vor.
Fast fünf Monate lagen zwischen dem Erfolg gegen Gladbach und dem Halbfinal-Hinspiel gegen Real Madrid. In dieser Zeit entwickelte sich das Etihad Stadium in der Königsklasse zu einer uneinnehmbaren Festung und Joe Hart zu einem überragenden Rückhalt. In den drei Heimspielen der K.o.-Runde musste City kein einziges Gegentor hinnehmen. 0:0 gegen Dynamo Kiew. 1:0 gegen Paris Saint-Germain. Jetzt 0:0 gegen Real Madrid.
Gegen Real erledigte lange eine stabil agierende und abgeklärte Viererkette die Arbeit. Bis zur 70. Minute konnte sich Real keine zwingende Torchance herausspielen. Mit dem Abpfiff vor Augen wurde die Viererkette aber immer müder und somit Tormann Hart gefordert.
Mit Bravour hielt der englische Nationalkeeper dann das Remis fest. 79. Minute, Casemiro befördert eine Ecke aus kurzer Distanz Richtung City-Tor, Hart pariert mit dem linken Fuß reflexartig. Drei Minuten später, Pepe steht frei vor Hart, der sich furchtlos in dessen Abschluss wirft. "Das war sehr wichtig", sagte Trainer Manuel Pellegrini nach dem Abpfiff und untertrieb. Das war überlebenswichtig.
Genug der Enttäuschungen
Lange Jahre definierte sich City bei seiner vergeblichen Jagd nach internationalen Ehren über eine hochkarätig besetzte Offensive. Ob Robinho oder Carlos Tevez, ob Mario Balotelli, Edin Dzeko oder auch Sergio Agüero - die steinreichen Eigentümer kauften was Rang und Namen hat und vor allem eines versprach: Tore. Spektakel sollte es sein.
Und Spektakel gab es auch ab und an; jedoch meist nur in der Gruppenphase gegen die vermeintlich kleinen Gegner. Wenn überhaupt. In den entscheidenden Spielen, dann wenn es gegen die Creme de la Creme des europäischen Fußballs ging, versagten die Skyblues mit einer bemerkenswerten Regelmäßigkeit auf voller Linie. Erst Bayern, Dortmund oder Real und in den vergangenen beiden Jahren dann Barcelona. Stets fand sich ein Team, das City früh im Wettbewerb mehr oder weniger deutlich seine Grenzen aufzeigte.
In dieser Saison ist es anders. In dieser Saison ist City da, wenn es drauf ankommt. Ob in der Gruppenphase, in der sich die Skyblues in der vermeintlichen Todesstaffel mit Juventus, Sevilla und Gladbach als Gruppensieger durchsetzten, oder im Achtelfinale, als Dynamo Kiev locker geschlagen wurde. Vor allem aber im Viertelfinale. Mit größter Nervenstärke schaltete City das favorisierte Paris Saint-Germain aus.
Im Halbfinal-Hinspiel gegen Real Madrid ging es in diesem Tenor weiter. Auch gegen die Königlichen waren die Defensive und vor allem Joe Hart die entscheidenden Faktoren. "Wenn du nicht gewinnen kannst ist 0:0 das beste Unentschieden", sagte Pellegrini und verdeutlichte den Sinneswandel bei den Citizens: "Wir haben gut verteidigt."
Auf den Spuren der Blues
Die Erfolgsgeschichte, die City in dieser Saison schreibt, ähnelt der, die ein anderer englischer Verein vor genau vier Jahren schrieb. Würde es sich um Reizwortgeschichten handeln, es dürften die Worte "Glück" und "Defensivkunst" nicht fehlen. Im Frühjahr 2012, die Premier League längst verspielt, kämpfte sich der FC Chelsea in der Königsklasse als vermeintlicher Underdog bis ins Finale vor, in dem dann der FC Bayern im Elfmeterschießen nieder gerungen wurde.
Auch der FC Chelsea gehört einem betuchten Eigentümer, der Unsummen für Spieler ausgibt - aber immer wieder scheiterte. Dann kam die Saison 2011/12 in der die Blues mit glücklichen Fügungen und einer kaum zu überwindenden Defensive den Champions-League-Titel gewannen. Auch die Blues schalteten damals im Halbfinale eine hochfavorisierte spanische Mannschaft aus, den FC Barcelona. Das Chelsea aus dem Jahr 2012 ist ein gutes Vorbild für das City des Jahres 2016.
Genau wie der Titel für Chelsea damals das Ende einer Ära einläutete, steht auch bei Manchester City im Sommer ein Umbruch an. Pep Guardiola wird die Mannschaft übernehmen - und nicht nur das: Er wird sie personell und vor allem taktisch umkrempeln.
Fighten für Pellegrinis Revanche
Für Manuel Pellegrini ist diese Saison eine Abschiedstournee, muss er den Verein nach dem Saisonende doch verlassen. Sollte der Chilene seine Amtszeit bei City tatsächlich mit dem Gewinn der Champions League krönen, er würde Guardiola vor die gleiche Situation stellen, die der Katalane bereits bei seiner Ankunft in München erleben musste. Damals setzte Jupp Heynckes mit dem Gewinn des Triple den Maßstab, der für Guardiola schlicht nicht zu übertreffen war. Undankbarer kann eine Aufgabe nicht sein.
Das Halbfinale gegen Real umfasst für Pellegrini darüber hinaus eine besonders emotionale Komponente, wurde er doch 2010 wegen eines zweiten Platzes in der Primera Division nach nur einem Jahr als Trainer der Königlichen vom Hof gejagt. Auch wenn er das nie aussprechen würde: Die Revanche in Form eines Halbfinal-Sieges gegen seinen Ex-Verein wäre eine besondere Genugtuung.
90 Minuten im Bernabeu stehen ihm und City bevor, 90 Minuten bis zum größten Erfolg der Vereinsgeschichte. Statt es sich in der Außenseiterrolle gemütlich zu machen, schaltete Pellegrini direkt nach dem Abpfiff in den Angriffsmodus: "Ich denke nicht, dass Real der Favorit ist."
Auch Joe Hart blickte nach getaner Arbeit auf den 4. Mai, den Tag des Rückspiels. "Es ist alles angerichtet für einen Fight im Bernabeu", sagte der City-Keeper. Große Spiele und vor allem große Fights nahm City jahrelang nicht an. In dieser Saison scheint es so, als würden sich die Skyblues sogar darauf freuen.
Manchester City - Real Madrid: Daten zum Spiel