Der FC Bayern München hat seinen Gegner im Halbfinal-Rückspiel gegen Atletico Madrid extrem leiden lassen, erlebte aber ein neues Champions-League-Drama mit negativem Ausgang. In die Enttäuschung über das Aus gegen Atletico Madrid mischte sich auch Wut.
Jose Gimenez hatte sich den feinen Klub-Anzug übergeworfen und das, was an Haaren auf seinem an den Seiten kahl rasierten Kopf noch übrig ist, sorgfältig nach hinten gegelt. Als Champions-League-Finalist muss man schließlich auch optisch etwas hermachen, wenn man vor die Fernsehkameras tritt. Doch schon nach dem ersten Satz war die aufwendige Aufmachung dahin.
Gimenez fuhr sich straight mit der Hand durch den Gelstreifen, während er die 95 Minuten zusammenfasste: "Leck mich am Arsch, mussten wir leiden."
Eine ehrliche Aussage, die wahrheitsgetreuer nicht hätte sein können. Mit Ausnahme der zehn Minuten nach dem Ausgleich durch Antoine Griezmann in der frühen Phase der zweiten Halbzeit stand Atletico unter Dauerbeschuss. Der Ball flog im Sekundentakt in den Strafraum der Rojiblancos. 35 Mal feuerte der FC Bayern auf das Tor von Jan Oblak, darunter einmal ruhend vom Elfmeterpunkt.
Freistöße. Ecken. Hohe Flanken. Halbhohe Flanken. Flachpässe. Lupfer. Chipbälle. Soli. Die Münchner ließen nichts unversucht, um dem spanischen Halbfinal-Trauma zu entkommen.
Geschafft haben sie es trotzdem nicht.
"Der hässliche Fußball triumphiert"
"Ich weiß nicht, ob man bitterer ausscheiden kann", sagte ein fassungsloser Thomas Müller. In die Enttäuschung und das Beklagen über fehlendes Glück und Geißeln der Schiedsrichterleistung (Karl-Heinz Rummenigge) mischte sich auch Wut. Arturo Vidal griff die Spielweise des Gegners an. "Heute hat der hässliche Fußball über die beste Mannschaft der Welt triumphiert. So ist das im Fußball. Nicht immer kommt der Bessere weiter."
Soweit hätten es die Bayern am Dienstagabend nicht kommen lassen dürfen. Verglichen mit den Spielen der letzten zwei Monate und auch verglichen mit den Halbfinal-Spielen der letzten beiden Jahre, lieferten sie eine klasse Vorstellung ab.
Sie spielten druckvoll, dynamisch, leidenschaftlich und erfüllten auch die Vorgabe von Trainer Pep Guardiola, sich den unterschiedlichen Phasen des Spiels anzupassen. "Nach dem Ausgleich haben wir ein bisschen gebraucht, uns wieder aufzurichten. Aber sonst hatten wir auf alles eine Antwort", sagte Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge.
Zweikampfstärke gegen Zweikampfbiester
Müller hob die Intensität und Zielstrebigkeit der Münchner hervor: "Wir haben den Ball nicht nur quer gepasst und ein bisschen Ballbesitzfußball gespielt, sondern haben permament Zug nach vorne gehabt. Und wir haben uns gegen Zweikampfbiester aus Madrid in jeden Zweikampf reingehauen."
Selbst dem Gegner gefiel die Art und Weise, wie die Mannschaft auftrat. "Bayern war in der ersten Halbzeit der beste Gegner meiner Karriere. Ich habe mich fast verliebt", sagte Atleticos Trainer, Diego Simeone.
Gescheitert sind die Münchner letztlich an ihrer mangelnden Chancenverwertung. Beim letzten Pass fehlte hin und wieder die Klarheit, aber gegen das Bollwerk Atletico lässt sich das nicht vermeiden. Torchancen gab es dennoch genug, allein Robert Lewandowski hätte die Rojiblancos aus dem Wettbewerb schießen können.
Atletico hatte bei weitem nicht die defensive Kompaktheit wie im Hinspiel, verlor einfache Bälle im Aufbau und kam so gut wie an keinen zweiten Ball. Das Umschaltspiel fand so gut wie nicht statt.
Ein Fehlpass, ein Steilpass, ein Tor
Doch es gab dann eben diesen einen Fehlpass von Jerome Boateng, in der Folge den einen Steilpass von Fernando Torres auf Griezmann, der dann den einen magischen Moment hatte, als er den Ball an Manuel Neuer vorbei ins kurze Eck schoss.
"Atletico hat dieses Auswärtstor geschossen, das für uns in Madrid auch möglich gewesen wäre. So sind sie im Finale. Wir sind dagegen sehr traurig, weil wir unbedingt nach Mailand wollten", sagte Rummenigge.
Alles schon mal da gewesen
Die Vorzeichen waren nach dem 0:1-Hinspielergebnis nicht gut. Doch der FC Bayern hat am Dienstag eine große Chance vergeben, nach 2010, 2012 und 2013 zum vierten Mal innerhalb von sieben Jahren das Champions-League-Finale zu erreichen. Auch wenn die Dramaturgie anders war, fühlte sich mancher an den größten Albtraum der Vereinsgeschichte erinnert.
"Das war ein bisschen wie 2012 im Finale gegen Chelsea. Wir waren wieder klar besser als der Gegner. Nur dass wir heute noch besser gespielt haben als damals", sagte Müller, der die Bayern unmittelbar nach dem Führungstor durch Xabi Alonso ein Stück weit den Brenner runter Richtung Mailand hätte schießen können.
"Ein 2:0 wäre schon ideal gewesen. Aber beim Elfmeter gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder er geht rein oder er geht nicht rein. Ich habe wie immer beim Anlauf hochgeschaut, da stand Oblak immer noch. Ich habe den Ball dann noch gut geschossen, aber er hat ihn auch sehr gut gehalten."
Ein Champions-League-Drama in München mit einem verschossenen Elfmeter und am Ende jubelnden Gästen - alles schon mal dagewesen. Das Finale dahoam hat den Bayern kein Glück gebracht. Seit dem 3. Mai 2016 gilt das auch für ein bestimmtes Halbfinale dahoam.
FC Bayern München - Atletico Madrid: Daten zum Spiel