Gratulation, Dieter Hecking!

Dieter Hecking hatte gegen Real einen Masterplan, den sein Team perfekt umsetzte
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Der VfL Wolfsburg hat mit dem 2:0-Sieg über Real Madrid in der Champions League alle überrascht - am meisten wohl sogar sich selbst. Dieter Heckings Matchplan war entscheidend, Faktor X und eine wiedergefundene Tugend gewinnbringend. Aber: Wie geht man mit so einem Sieg überhaupt um?

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Da stand er nun, Klaus Allofs. Erst schien es, als wusste der VfL-Geschäftsführer in der Mixed Zone der Volkswagen Arena einige Sekunden lang nicht, welche Miene er für seine nächste Aussage aufsetzen sollte. Ob es ihn wütend mache, dass die Mannschaft nur so selten zeigt, zu was sie in der Lage ist, war er da gerade gefragt worden.

Einen Moment lang grübelte Allofs noch weiter. Dann grinste er über beide Backen und sagte: "Heute Abend nicht. Nach Mitternacht bin ich wieder wütend."

Die Reaktion des in den letzten Wochen doch sehr angespannten VfL-Bosses passte perfekt ins Wolfsburger Bild am Mittwochabend. Der gesamte Verein war gelöst, vorübergehend fast sogar erlöst von den Liga-Qualen, die sich schon über die gesamte Saison erstrecken. Ein erfrischendes Gefühl, endlich jubeln zu dürfen - und das ausgerechnet gegen Real Madrid.

Dürfen wir vorstellen: Das Selbstvertrauen

"Wir haben vorher schon gesagt, dass wir eine kleine Chance haben. Keine Mannschaft ist unschlagbar", führte Allofs fort: "Viele haben gedacht, dass wir heute eine Klatsche kriegen. Ich hatte keine Angst, dass wir hier untergehen. Wir wissen, dass wir es viel besser können als wir es in vielen Bundesliga-Spielen gemacht haben."

Man hatte ein großes Stück Selbstvertrauen wiedergefunden, das wurde stolz präsentiert. "Wir sind heute sehr gut aufgetreten, wir haben Real genervt und hinten gut gestanden. Wir sind gespannt, was Real sich einfallen lässt, denn sie sind es, die jetzt kommen müssen. Real muss was zeigen", sagte Julian Draxler im Interview.

Auch Naldo demonstrierte eine breite Brust. Auf die Frage, ob man Scheu und Angst vor Real nach dem 2:0 abgelegt habe, sagte der Comebacker: "Angst? Wir haben Respekt, hatten aber nie Angst."

Die ganz große Euphorie wollte aber noch nicht ausbrechen - wohl auch, weil der VfL gar nicht wusste, wie er offiziell mit so einer Situation umzugehen hat, sofern es dahingehend überhaupt so etwas wie einen Verhaltenskodex gibt. Den Knigge des Real-Madrid-Demütigens sozusagen.

Wie geht man nach einem 2:0 mit Real um?

Die Wolfsburger wussten, dass sie einen der eitelsten und selbstsichersten Klubs der Welt an diesem Abend vorgeführt hatten. Doch keiner, wirklich keiner beim VfL wollte den ehrwürdigen Königlichen zusätzlich auf den Schlips treten: "Es sind noch 90 Minuten zu spielen. Wir wissen, dass Real einen solchen Rückstand immer noch drehen kann. Uns erwartet im Bernabeu noch eine ganz schwere Aufgabe", sagten Diego Benaglio, Naldo, Bruno Henrique und Draxler nacheinander im Einklang - fast schon demütig.

Doch es waren nicht nur die Spieler und Verantwortlichen des VfL Wolfsburg, die sich in den Katakomben des Stadions auch anderthalb Stunden nach Abpfiff noch immer fragend anblickten. Das Unwissen über den Umgang mit Reals Starensemble zeichnete sich auch aufseiten der Presse ab.

Dass das sonst sehr verwöhnte Team von Superstars wohl kaum Lust hatte, sich nach der bitteren Pleite rechtfertigen zu müssen, war abzusehen. Für die Spieler in so einer Situation besonders bitter ist die Vorgabe der UEFA, dass jeder Akteur vor Verlassen des Stadions einmal die komplette Runde vorbei an den wartenden Medienvertretern aus TV, Radio, Online und Print drehen muss - ob er nun reden will oder nicht.

Natürlich nutzt die auf Aussagen hoffende Medienschar trotzdem jede Möglichkeit, die Spieler anzusprechen. Es könnte ja doch mal einer stehen bleiben und zumindest ein paar Phrasen loswerden. Dieses Gefrage hielt sich am Mittwochabend schon in Grenzen, als die deutlich angefressen wirkenden Gäste einer nach dem anderen durch die Mixed Zone marschierten. Als Cristiano Ronaldo jedoch vorbeimarschierte, verstummte der komplette Raum. Warum? Das fragten sich anschließend viele. Sie haben sie eben, die Real-Spieler, diese besondere Aura, auch nach einer Niederlage. Allen voran natürlich der dreifache Weltfußballer.

Teamgeist und der Faktor X

Die besseren Einzelspieler standen an diesem Abend in den Reihen der Wölfe. Wenig war zu sehen von Reals gefürchteter Offensiv-Dreierreihe um Gareth Bale, Karim Benzema und Ronaldo. BBC deuteten in der Anfangsphase an, wie gefährlich sie sein können. Die spektakulären und wirklich effektiven Eins-gegen-Eins-Situationen hatten jedoch Draxler, Arnold und vor allem Henrique.

"Wir haben es schon im Clasico gesehen, dass Real auf den Außenbahnen sehr offensiv steht und man ihnen in der Rückwärtsbewegung weh tun kann", erklärte Allofs den von Dieter Hecking vorgegebenen Matchplan.

Der ging voll auf. Vor allem der überraschend erstmals in die Startelf berufene Henrique stand für den von Real an diesem Abend nicht eingeplanten Faktor X: Überraschung.

Obendrein hatten die Wölfe ein weiteres ganz großes Plus auf ihrer Seite: Zusammenhalt. "Wir wussten, dass wir gehen dieses große Team nur eine Chance haben, wenn wir von der ersten bis zur 90. Minute als Mannschaft auftreten", so Benaglio, dessen starke Szene gegen Benzema in der Anfangsphase für den Spielverlauf richtungsweisend war. Naldo unterstrich die Aussage seines Keepers: "Wir hatten heute eine Mannschaft auf dem Platz - gemeinsam. Das hat man gegen Leverkusen nicht gesehen."

Gratulation, Dieter Hecking!

Ob Wolfsburg der Spagat Bundesliga-Champions-League in den verbleibenden Wochen der Saison doch noch gelingt? Dass das dürftige Abschneiden in der Liga aktuell die Qualifikation für das internationale Geschäft bedroht, daran wollte an diesem Abend keiner denken.

"Es war das wertvollste internationale Spiel, das der VfL bis jetzt gespielt hat", sagte Begnalio. Alles passte zusammen: Wolfsburg reist mit einer sehr guten und auch realistischen Chance aufs Weiterkommen in die spanische Hauptstadt. "Wenn wir dort ein Tor schießen, verändert das eine ganze Menge", weiß Allofs.

Die Geschichte des Spiels hatte Dieter Hecking übrigens bereits am Dienstagabend vorgeschrieben: "Ich wünschte, wir würden morgen Abend hier sitzen und Sie müssten mir gratulieren - zu einer außergewöhnlich guten Leistung." Nicht weniger ist an dieser Stelle angebracht: Gratulation, Dieter Hecking!

VfL Wolfsburg - Real Madrid: Daten zum Spiel

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