"Wir sind trotzdem im Finale", erklärte Jürgen Klopp im Anschluss an das Spiel bei Sky, nachdem er zuvor ausführlich seine Sicht auf die Geschehnisse erläutert hatte. Ein bisschen stoisch, fast schon rechtfertigend zuckte Klopp dann noch mit den Schultern und sagte: "Alles cool."
Es war die irgendwie komische Zuspitzung dieses irgendwie komischen Champions-League-Halbfinal-Rückspiels, das sich phasenweise gar nicht wie ein solches anfühlte.
Klar, bei Abpfiff sprangen einige Spieler schreiend in die Luft, andere umarmten sich und auch Klopp lief aufs Feld. Aber erst nach und nach brandete vor der Auswärtskurve geschlossener ekstatischer Jubel auf. Zunächst schien es fast so, als wäre manchen Protagonisten dieses eigentlich so emotional überladenen Vereins die Tragweite des vorangegangenen Spiels gar nicht wirklich bewusst. Als wären sie noch verwirrt ob der ereignisreichen Schlussphase, in der Liverpool zwei Gegentore kassierte.
Loris Karius: Cappuccino statt Champions-League-Finale
Keeper Loris Karius etwa sagte im Interview bei Sky: "Meine erste Champions-League-Saison und dann direkt im Finale, besser geht's nicht." Es hörte sich jedoch nicht an, als würde er von einem Einzug ins Champions-League-Finale berichten, sondern eher von einem extrem guten Cappuccino, den er in Rom getrunken hat. "Ich weiß nicht so recht, was ich mit dem Ergebnis anfangen soll", sagte James Milner. "Heute ging es einfach nur darum, irgendwie weiterzukommen."
Die wirklich denkwürdigsten Schlachten auf dem Weg ins Finale, das wussten Klopp, Karius, Milner und all die anderen auch, hatte Liverpool schon vor diesem Halbfinal-Rückspiel geschlagen. Die Heimspiele im Viertelfinale gegen Manchester City (3:0) und im Halbfinale gegen die Roma (5:2) zum Beispiel. Als alles überraschend und neu wirkte, die Fans an der Anfield Road wie wild "Allez! Allez! Allez!" sangen, als der Boden bebte und das Angriffs-Trio Roberto Firmino, Mohamed Salah und Sadio Mane wie wild stürmte und Tor um Tor erzielte.
Roma - Liverpool im Halbfinale: 13 Treffer als neuer Rekord
In diesem Rückspiel in Rom ging es immerhin so los, bereits nach neun Minuten machte Mane das frühe 1:0. Aber dann? "Normalerweise sind die drei da vorne immer richtig ins Spiel involviert", sagte Klopp, "aber heute waren sie das irgendwann nicht mehr." Speziell von Salah war kaum etwas zu sehen. Liverpool kassierte bald den Ausgleich, ging nach einer Standardsituation erneut in Führung - und bekam dann drei weitere Gegentore.
Nach den sieben Toren im Hinspiel fielen im Rückspiel nochmal sechs, insgesamt also 13. Für ein Champions-League-Halbfinale ist das ein neuer Rekord. Einerseits natürlich unterhaltsam, andererseits aber auch ein bedenkliches Zeugnis für die beiden Defensivabteilungen. Etliche Tore resultierten aus individuellen Fehlern - von Spielern, aber auch von Schiedsrichter Damir Skomina.
Jürgen Klopp: "Mussten ein bisschen Glück in Anspruch nehmen"
Vor Liverpools 1:0 unterlief Radja Nainggolan ein böser Fehlpass. Vor dem 1:1 schoss Dejan Lovren seinem Mitspieler Milner den Ball ins Gesicht, "lächerlich" nannte der Eigentorschütze selbst die Aktion. Vor dem 2:1 köpfte Edin Dzeko den Ball zu Georginio Wijnaldum, vor dem 2:2 stand erst Trent Alexander-Arnold falsch und dann Torschütze Edin Dzeko ungestraft im Abseits.
Das geahndete Handspiel von Ragnar Klavan, das zum Elfmeter zum 2:4 führte, war eher nicht strafbar. Das nicht geahndete in der 63. Minute von Alexander-Arnold dagegen eher schon. Zuvor hatte Liverpool bereits in einer anderen Szene Glück, als Dzeko zu Unrecht wegen einer vermeintlichen Abseitsstellung zurückgepfiffen wurde, ehe er von Liverpool-Keeper Karius im Strafraum elfmeterwürdig gefoult wurde.
"Heute mussten wir das erste Mal ein bisschen Glück in Anspruch nehmen", sagte Klopp so, als wäre dieses sogenannte Glück problemlos zu buchen. Das Spiel selbst nannte er gleichzeitig "wahnsinnig intensiv zum Anschauen" und "unser schlechtestes in der Champions League". Es war schließlich auch Liverpools erste Niederlage im laufenden Wettbewerb. Und am Ende wurde es ja tatsächlich nochmal knapp mit dem Weiterkommen, ein weiterer Treffer hätte der Roma für die Verlängerung gereicht.
Liverpool - Real im Finale: Gute Erinnerungen an 1981
Unnötig "wie Zahnweh" fand Klopp den späten Doppelschlag von Nainggolan, es fühlte sich aber eher wie leicht gelbliche Verfärbungen an als echter Karies. Ernsthaft gefährdet wirkte Liverpools Finaleinzug zu keinem Zeitpunkt der 90 Minuten, sodass die vereinseigene Social-Media-Abteilung auf seiner Twitter-Seite pünktlich kurz nach Abpfiff das vorbereitete Titelbild austauschen und die Ticketinformationen für das Finale in Kiew bereitstellen konnte.
Am 26. Mai wartet dort Real Madrid. Schon einmal kam es in einem Endspiel zu dieser Begegnung, 1981 gewann Liverpool mit 1:0. Mit dabei war damals Terry McDermott, der jüngst ankündigte, seine Siegermedaille versteigern zu lassen. "Ich benötige keine Medaillen, um stolz auf das zu sein, was ich geleistet habe", erklärte er. Für ihn waren solche Titel schließlich fast schon Normalität, dreimal holte McDermott mit Liverpool den Henkelpott.
Diese Zeiten, in denen Liverpool den europäischen Fußball dominierte, sind jedoch längst vergangen. Für jeden Spieler der aktuellen Mannschaft wäre der Titel eine Premiere. Bereits in einem Finale stand einzig Trainer Klopp, der mit Borussia Dortmund 2013 gegen den FC Bayern München verlor - aber wichtige Erfahrungen sammelte. "Jeder kauft ihm deswegen ab, was er so erzählt", sagte Karius. "Jeder will für ihn durchs Feuer gehen."
Im Stadio Olimpico brannte das Feuer auf dem Platz nur auf Sparflamme, beim Finale gegen Real wird es Liverpool aber wieder lichterloh entgegenflackern.
Champions League: Die Ergebnisse der Halbfinal-Spiele
Datum | Uhrzeit | Spiel | Ergebnis |
24.04.2018 | 20.45 Uhr | FC Liverpool - AS Rom | 5:2 |
25.04.2018 | 20.45 Uhr | FC Bayern München - Real Madrid | 1:2 |
01.05.2018 | 20.45 Uhr | Real Madrid - FC Bayern München | 2:2 |
02.05.2018 | 20.45 Uhr | AS Rom - FC Liverpool | 4:2 |