Den Mund weit aufgerissen, die Augen ebenso. Beinahe platzen die Adern aus dem Augapfel, jeder Muskel am Körper angespannt. Ein nahezu beängstigendes Bild bot sich den 56.580 Zuschauern im Stadio Olimpico in Rom, denn Kostas Manolas erlebte einen Adrenalinschub der besonderen Art: Soeben hatte er das 3:0 gegen den FC Barcelona erzielt. Das Tor, das den ersten Halbfinaleinzug der Roma in der Königsklasse seit 1984 bedeuten sollte.
Noch Minuten nach Abpfiff des Wunders von Rom stockte Spielern, Fans und Experten der Atem. Manolas und seine Mannschaft hatten Geschichte geschrieben. Die Roma ist erst das vierte Team in der Historie der Champions League, das es nach einer Hinspiel-Niederlage mit einer Differenz von mindestens drei Toren in die nächste Runde geschafft hat.
FC Barcelona: Der vermeintliche Titelfavorit scheitert erneut
Die Roma lieferte ein "perfektes Spiel" ab, wie Trainer Eusebio Di Francesco seiner Mannschaft nach der Partie attestierte.
So perfekt, dass sogar die größten Rivalen gratulierten. Milan, Inter und Juventus beglückwünschten die Roma via Twitter für eine denkwürdige Nacht.
So perfekt, dass den Spielern im Anschluss die eigenen Worte im Hals stecken blieben. Edin Dzeko, der Mann des Abends, stotterte zunächst nur: "Verrückt, unglaublich."
So perfekt, dass Barca lediglich drei Schüsse auf den Kasten von Alisson abgab und auf der anderen Seite so viele Gegentreffer zuließ wie zuvor in der gesamten CL-Saison. Barca zählte zu den Titelfavoriten - und schied nun schon zum vierten Mal in fünf Jahren vor dem Halbfinale aus.
Barcas Sergio Busquets mit schonungsloser Analyse
"Rom setzte alles aufs Spiel. Sie brauchten Tore, zeigten eine herausragende Einstellung und aus welchem Grund auch immer konnten wir nicht dagegenhalten, geschweige denn Chancen kreieren. Sie waren uns in allen Aspekten überlegen", analysierte Sergio Busquets.
Die Roma baute enorm früh Druck auf den ballführenden Spieler aus, presste mit fünf Mann teilweise schon am gegnerischen Sechzehner. "Sie haben uns zu langen Bällen gezwungen", gestand Barca-Coach Ernesto Valverde. Lange Bälle, die Lionel Messi und Co. gegen die hochkonzentrierte Roma-Hintermannschaft nicht zu kontrollieren wussten. "Kurz gesagt waren sie sehr gut und wir waren es nicht", erklärte Valverde.
Edin Dzeko: Barca bekommt den Matchwinner nicht in den Griff
Der Zeitpunkt der Tore kam der Roma entgegen. Beim 1:0 durch Dzeko nach nur sechs Minuten ging ein spürbarer Ruck durch die Mannschaft. Die Unsicherheit der ersten Minuten war verflogen. "Wir glaubten immer daran", versicherte Di Francesco nach der Partie.
Es war der Anfang vom Ende Barcas. Eingeleitet wurde das Tor von einem langen Ball Daniele de Rossis hinter die Abwehr, dann zeigte Dzeko seine Klasse als Strafraumstürmer. Aber nicht nur da: Über die gesamte Partie machte er hohe Pässe auch in Bedrängnis mit technischer Extraklasse fest und verarbeitete sie in beeindruckender Manier.
Als Stürmer gewann Dzeko 61,5 Prozent seiner Zweikämpfe, in Luftduellen hatte er kein einziges Mal das Nachsehen. Dank seines geschickten Körpereinsatzes ließ er Gerard Pique und Samuel Umtiti wieder und wieder extrem schlecht aussehen. So auch bei Piques Foul, das zum Elfmeter zum 2:0 führte. Dzeko bestätigte seine schon über die gesamte Saison abgerufene Top-Form.
"Wenn wir so spielen wie heute gegen Barca können wir jeden Gegner schlagen", sagte Dzeko im Anschluss an seine Gala-Vorstellung. Vor dem Spiel gab man uns "nur eine Chance von fünf Prozent, dass wir das Wunder schaffen". Und die auch nur wegen Dzekos Tor im Hinspiel.
Edin Dzekos Leistungsdaten der Saison 2017/18
Wettbewerb | Spiele | Tore | Assists |
Serie A | 30 | 14 | 2 |
Champions League | 10 | 6 | 4 |
Coppa Italia | 1 | - | - |
Gesamt | 41 | 20 | 6 |
Ein Jahr nach Francesco Totti: AS Rom hat neue Helden
Dzekos Heldengeschichte war aber nicht die einzige des Abends: Mit Manolas und De Rossi erzielten ausgerechnet die beiden Eigentorschützen aus dem Hinspiel die entscheidenden Treffer für die Roma. Von belächelten Idioten im Camp Nou zu den umjubelten Helden in Italiens Hauptstadt.
Und das elf Monate, nachdem der vermeintlich größte Held den Verein verlassen hatte. Mit dem Abschied von Francesco Totti brach eine neue Ära an: Eine ungewisse Zukunft erwartete die Roma, zumal neben der gefühlt größten Identifikationsfigur Roms seit Julius Caesar auch wichtige Leistungsträger wie Mohamed Salah, Antonio Rüdiger, Leandro Paredes oder Emerson den Verein verließen.
Und dennoch schafften die Verbliebenen Unglaubliches. "Für Momente wie diesen lohnt es sich, diese Farben zu leben", schrieb Totti auf Twitter. Bemerkung fand das Wunder auch bei Salahs neuem Trainer Jürgen Klopp, der nach Liverpools Einzug ins Halbfinale sagte: "Ich konnte nicht glauben, als ich hörte, dass Barcelona ausgeschieden ist. Die Roma hat Mo Salah verloren und ist ins Halbfinale eingezogen. Das ist unglaublich."
Eusebio Di Francesco nach Barca: "Finale muss unser Ziel sein"
Nach diesem laut Roma-Verteidiger Juan Jesus sowohl "taktisch als auch technisch perfekten Spiel" sind die Römer zwar weiterhin der große Außenseiter im Kampf um den Henkelpott, doch sie haben sich Respekt verschafft. So wie sie es schon in der Gruppe mit Atletico Madrid und dem FC Chelsea getan haben: Als Gruppensieger zog die Roma ins Achtelfinale ein.
Trainer Di Francesco gibt sich mit dem Halbfinaleinzug aber noch nicht zufrieden: "Man muss immer etwas Größeres anstreben. Das Finale muss unser Ziel sein." Zunächst richtet sich sein Blick aber auf das Derby am Sonntag gegen Lazio (20.45 Uhr im LIVETICKER und live auf DAZN). Immerhin konkurriert die Roma mit dem punktgleichen Stadtrivalen um Platz drei in der Serie A. "Ich umarmte jeden Spieler", verriet Di Francesco, "wies sie aber direkt auf das Derby am Sonntag hin."