Der FC Bayern präsentierte sich im Achtelfinal-Rückspiel gegen Liverpool mut- und zahnlos - weil die von FCB-Trainer Niko Kovac gewählte Taktik nicht nach München passt.
Vor rund drei Wochen war man sich einig, nachdem der FC Bayern die hochdekorierte Liverpooler Offensivpower an der Anfield Road nicht zur Entfaltung hatte kommen lassen: Beim 0:0 an der Mersey, so der Tenor, handele es sich zwar um ein gefährliches, aber sehr ordentliches Ergebnis. Trainer Niko Kovac wurde für die taktische Mauer-Marschroute, die er seinen Jungs an die Hand gegeben hatte, gelobt.
Reif, seriös habe man agiert, weil man den Reds nicht ins viel zitierte offene Messer gerannt sei, sondern aufgrund disziplinierter Defensivarbeit den Grundstein für ein aussichtsreiches Resultat fürs Weiterkommen gelegt habe. Weil dahoam, in der Fröttmaninger Allianz Arena, würde der deutsche Rekordmeister ja ohnehin anders, risikobereiter, offensiver auftreten, weil ja gewonnen werden muss.
Wie fern Prophezeiung und Realität manchmal auseinanderliegen können, zeigte sich dann jedoch am Mittwochabend. Wer eine Münchner Mannschaft erwartet hatte, die dem Gegner im eigenen Wohnzimmer ihr Spiel aufdrängt - denn so laufen Partien vor heimischer Kulisse traditionell eigentlich beim FCB ab -, der sah sich getäuscht. Vielmehr schien Kovac im Rückspiel einfach eine Taktik-Blaupause des ersten Duells mit den Engländern gewählt zu haben.
Bayerns Pressing-Probleme schon in Leverkusen zu sehen
Nichts zu sehen von Dominanz, von der Ambition, Chancen zu initiieren. Safety first, weil ein frühes Gegentor tunlichst vermieden werden sollte. Die Ausrichtung trug nur 26 Minuten lang Früchte, ehe Sadio Mane einen langen Ball herrlich verarbeitete und ganz nebenbei noch Rafinha und Manuel Neuer alt aussehen ließ. Das bedeutete aber nicht, dass die Hausherren sich infolgedessen häufiger gefährlich in des Gegners Hälfte zeigten. Genauso wenig, wie nach dem zwischenzeitlichen 1:2 durch Virgil van Dijk, das allerspätestens zu einem Sturmlauf hätte animieren können.
"Wir wollten kontrolliert nach vorne spielen, ohne hinten frühzeitig aufmachen zu müssen", sagte Kovac nach der Begegnung auf der Pressekonferenz. "Dass das nicht so funktioniert hat, wie ich mir das vorgestellt habe, lag sicherlich an uns, aber in erster Linie am FC Liverpool, weil sie uns schnell und früh zugestellt haben", schob der 47-Jährige nach und offenbarte somit quasi selbst das größte Problem, das seine Mannschaft in dieser Saison hat: Sie findet gegen Kontrahenten, die - sofern sie die nötige personelle Qualität mitbringen - mit einem gut strukturierten Pressing aufwarten, kein geeignetes Mittel, um dem entgegenzuwirken.
Zuletzt war dies vor allem in der zweiten Halbzeit des Bundesliga-Auswärtsspiels in Leverkusen zu beobachten, als die von Pressingverfechter Peter Bosz trainierte Werkself die Bayern-Defensive mehrfach bei Ballgewinn durcheinanderwirbelte und am Ende mit 3:1 die Oberhand behielt.
Mats Hummels: "Führt nicht immer zum Erfolg"
Eine These, die auch Abwehrmann Mats Hummels im Anschluss in der Mixed Zone schonungslos untermauerte und damit unterschwellig Kritik an seinem Coach übte, obwohl er Kovac "in Schutz nehmen", müsse, wie er sagte. Dennoch erklärte der Innenverteidiger vielsagend: "Wir haben eine gewisse Spielweise, die gegen Mannschaften, die pressen, nicht immer zum Erfolg führt. Da würden uns zwei, drei andere Ansätze in unserem Spiel guttun."
Der Coach fordere zwar, dass sein Team darauf entsprechend reagiert, allerdings funktioniere das auf dem Platz nicht. Hummels ergänzte: "Alles, was ich dazu sagen könnte, wäre inhaltlich spannend, aber ich weiß, was letztlich daraus gemacht wird. Wenn wir hier einen Fußball-Podcast machen würden, in dem es eine halbe Stunde lang über Taktik geht, würde ich darüber sprechen."
ie von Hummels angesprochenen fehlenden "zwei, drei anderen Ansätze", die lediglich als Umschreibung für einen nicht vorhandenen Plan B dienten, fehlten gegen die Engländer tatsächlich ganz offensichtlich. Auch, weil "die nötige Überzeugung" gefehlt habe. "Wenn eine Mannschaft presst wie es Liverpool getan hat, muss man die Pressinglinien überspielen. Nur so knackt man solche Gegner", führte der 30-Jährige aus und haderte: " Wenn wir das mal geschafft haben, konnten wir das Tempo nicht nach vorne transportieren. Wir sind nie auf eine ungeordnete Abwehrreihe getroffen, sondern haben uns fallengelassen und noch mal hintenrum gespielt. So konnten sie sich immer wieder in der Defensive sammeln. Da hat uns der Mut gefehlt."
Bayern-Taktik: Lewandowski wird deutlich
Deutlich wurde diesbezüglich auch Angreifer Robert Lewandowski. "Wir haben - wie schon im ersten Spiel - wenig riskiert und sind dementsprechend kaum in gefährliche Situationen gekommen. Wir hatten in beiden Spielen nur sehr wenige Torchancen und deshalb auch nicht viele Argumente, weiterzukommen", so der Pole, der ebenfalls in der Mixed Zone seine Enttäuschung über die defensive Spielweise kundtat. "In der Champions League muss man auch mal etwas riskieren, das haben wir aber heute nicht gemacht. Deshalb sind wir jetzt draußen."
Kovacs Taktik mag in seiner Zeit als Übungsleiter der Frankfurter Eintracht von Erfolg gekrönt gewesen sein, immerhin bezwang er so auch seinen jetzigen Arbeitgeber im DFB-Pokal-Finale. Bei den Bayern, die eigentlich nominell mit enormer Qualität im Offensivbereich daherkommen, scheint dieser Plan jedoch, zumindest in Spielen gegen ebenbürtige Gegner, nicht aufzugehen. Zu zahm und ungefährlich präsentieren sich die Hochbegabten wie beispielsweise James Rodriguez, Thiago, Serge Gnabry oder eben Lewandowski, wenn sie nicht von der Leine gelassen werden, sondern ihr Hauptaugenmerk darauf legen müssen, hinten auszuhelfen, nur reagieren zu dürfen statt zu agieren.
Und so war man sich in München am Mittwochabend wieder einmal einig: Nur mit dem Unterschied, dass Kovac, der noch vor drei Wochen für seine risikolose Ausrichtung gelobt wurde, sich diesmal großer Kritik ausgesetzt sah. Wie schnell es doch im Fußball manchmal gehen kann.