Innerhalb von knapp eineinhalb Stunden hatte sich alles geändert. Ob sich seine Chancen auf einen Verbleib als Cheftrainer über den Sommer hinaus durch den 3:0-Sieg beim FC Chelsea und den bevorstehenden Einzug ins Champions-League-Viertelfinale denn verbessert hätten, wurde Hansi Flick gegen 22.15 Uhr Ortszeit London bei Sky gefragt. Und er sagte nur: "Das liegt nicht in meiner Hand. Das sind Dinge, die die Zukunft bringt."
Kurz vor Mitternacht - in der Zwischenzeit hatte Flick die ungewöhnliche Outdoor-Mixed-Zone der Stamford Bridge schnellen Schrittes passiert, etwas liebenswert aber auch etwas spöttisch gefragt, ob den auf die Spieler wartenden Reportern nicht kalt sei (was bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt durchaus der Fall war) und war mit seiner Mannschaft zurück ins Hotel gefahren - kurz vor Mitternacht also hatte ihm die Zukunft etwas gebracht.
Nun hielt Flick seine Zukunft nämlich auf einmal in seinen Händen, und zwar in Form eines roten Stifts. Als nachträgliches Geburtstagsgeschenk, Flick war am Montag 55 Jahre alt geworden, hatte ihm der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge beim traditionellen Bankett diesen roten Stift überreicht und gesagt: "Mit Stiften unterzeichnet man manchmal Papiere." Papiere, die beispielsweise eine Vertragsverlängerung über den Sommer hinaus schriftlich festhalten. Es war die eindeutige Botschaft, dass der FC Bayern mit Flick verlängern will.
Hansi Flicks erstes Champions-League-K.o.-Spiel
Offen blieb zwar, ob Rummenigge das Geschenk langfristig geplant und den Stift schon aus München mitgebracht, oder ob er ihn in einer Last-Minute-Aktion an einer Tankstelle am Weg vom Stadion zum Hotel erworben hat. Fest stand aber: Am Ende des Tages hatte er ihn parat und krönte somit diesen Abend, der für Flick a la bonne heure verlaufen war.
Für Flicks lange Jahre schlachterprobte Mannschaft war dieses Achtelfinal-Hinspiel der Champions League bei Chelsea nur ein weiteres Champions-League-K.o.-Spiel. Für den bereits 55 Jahre alten, aber gleichzeitig bis dahin erst 17 Pflichtspiele jungen Cheftrainer Flick war es dagegen das erste an der Seitenlinie. Es war somit von vornherein sein bisher wichtigster Abend als Trainer und er sollte seinen bisher größten Triumph bringen. "Meine Mannschaft hat ein sehr, sehr gutes Spiel gemacht", sagte Flick und sein Gegenüber Frank Lampard befand, dass der FC Bayern "in allen Belangen überlegen" gewesen sei.
FC Bayern: Starke Leistungen in allen Mannschaftsteilen
Nach einer ausgeglichenen Anfangsphase übernahm der FC Bayern bald die Kontrolle über das Spiel. In der Innenverteidigung gewannen Jerome Boateng und David Alaba fast alle Zweikämpfe. Aus dem Mittelfeld heraus spielten Thiago und Thomas Müller geniale Pässe in die Spitze. Dort kombinierten Serge Gnabry und Robert Lewandowski teilweise traumhaft wie vor den Treffern zum 1:0 (51.) und 2:0 (54.). Und auf der linken Seite machte Alphonso Davies einmal mehr ein überragendes Spiel und legte Lewandowski das Tor zum finalen 3:0 (76.) auf.
Der FC Bayern strahlte pure Dominanz aus und fügte Chelsea mit dem 3:0 die höchste Heimniederlage seiner Europapokalgeschichte zu. "Und, wart ihr zufrieden?", fragte Müller nach dem Spiel neckisch wie stets Richtung Reporter und beantwortete die Frage dann für sich selbst: "Mit einem 3:0 auswärts und der Art und Weise wie wir aufgetreten sind können wir natürlich zufrieden sein."
Hansi Flick verbindet Siege mit der nötigen Art und Weise
Es ist diese Art und Weise, die beim FC Bayern - immer noch von den Trainerikonen Louis van Gaal, Pep Guardiola und Jupp Heynckes besessen - so wichtig ist. "Wir sind sehr, sehr zufrieden mit den Ergebnissen und dem Fußball, den die Mannschaft spielt", sagte Rummenigge im Rahmen seiner Geschenkübergabe. Und auch Kapitän Manuel Neuer betonte: "Für mich zählt nicht immer nur der Sieg, sondern auch die Art und Weise. Die Philosophie, die ein Trainer hat." Schon neulich analysierte er, dass ihn das derzeitige Passspiel seiner Mannschaft an Guardiolas Zeiten erinnere.
Deutlich verbessert hat sich unter Flick aber nicht nur das Offensiv-, sondern auch das Defensivverhalten seiner Mannschaft. Der FC Bayern attackiert seinen Gegner deutlich höher und konsequenter als zu Zeiten seines Vorgängers Niko Kovac. In seinen bisher 18 Spielen als Cheftrainer schaffte es Flick, Siege (15 Stück) mit der nötigen Art und Weise (dominantes Ballbesitzspiel) zu kombinieren.
Seit er die Mannschaft Anfang November von Kovac (den Rummenigge bei seinen Bankettreden traditionell ignorierte, statt ihn mit Stiften zu beschenken) übernommen hat, führte er sie an die Tabellenspitze der Bundesliga und durch alle Pokalrunden. "Unter Hansi haben wir eigentlich nur positive Ergebnisse erzielt", sagte Neuer. Lediglich zwei Niederlagen (jeweils 1:2 gegen Bayer Leverkusen und Borussia Mönchengladbach Ende vergangenen Jahres) setzte es, aber auch da habe man laut Neuer "gesehen, wie wir gespielt haben". Was er meinte: dominant.
Neuer ist nur der wortgewaltigste Flick-Fan einer Mannschaft, die von ihrem Trainer überzeugt ist und mit ihm gerne langfristig zusammenarbeiten will. "Natürlich fühlen wir uns aktuell ziemlich wohl", sagte auch Müller in London. Um seinen Spielern dieses Wohlfühlambiente weiterhin bieten zu können, muss Flick nur mehr mit seinem roten Stift unterschreiben. Ausgepackt habe er ihn aber noch nicht, erklärte er am Mittwochmorgen - und äußern wollte er sich zu Rummenigges Geste auch nicht. Das war aber auch gar nicht mehr nötig.