Jogi Löws Gedankenspiele

Von Stefan Rommel
Manuel Neuer (l.) und Tim Wiese kämpfen um den Platz im deutschen Tor
© Getty

Nach dem WM-Aus von Rene Adler hat Joachim Löw plötzlich eine völlig neue Baustelle. Wen soll der Bundestrainer als neue Nummer eins bestimmen? Die Entscheidung fällt zwischen Manuel Neuer und Tim Wiese. Das Rennen um den dritten Platz hat wohl Jörg Butt gemacht.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

SPOX umreißt die möglichen Gedankengänge von Joachim Löw und spielt ein wenig Bundestrainer.

Welcher Typ Torhüter ist gefragt?

Prinzipiell sieht der Bundestrainer seinen Torhüter auch als zusätzlichen Feldspieler. Vor allem im Spielaufbau und als Absicherung für die Viererkette, Stichwort: verkappter Libero.

Hier hat sich seit dem Engagement von Jürgen Klinsmann beim DFB einiges am Torhüterspiel geändert. Löws Kandidaten bringen dafür den Großteil auch mit, in Nuancen unterscheiden sie sich aber doch.

Manuel Neuer hat das Spiel als eine Art Libero verinnerlicht, ist damit quasi aufgewachsen. Trotzdem fehlte ihm zuletzt in einigen Situationen das entscheidende Timing beim Rauslaufen.

Dafür kann Neuer, der als besserer Fußballer gilt, das Spiel mit seinen weiten Abwürfen unheimlich schnell machen. Ein deutlicher Vorteil gegenüber Wiese.

Für den Bremer spricht allerdings, dass er sich nur ganz selten einen richtig dicken Bock erlaubt hat. Vor knapp zwei Jahren stellte er seinen Trainings- und Ernährungsplan um. Weg vom jahrelang betriebenen Muskelaufbau, hin zu mehr Geschmeidigkeit und Beweglichkeit. Seine Aggressivität hat er sich trotzdem behalten.

Er ist drahtiger geworden, hat die Balance gefunden zwischen Linien- und Strafraumspiel und sich den "neuen" Anforderungen angepasst.

"Löw muss in erster Linie danach entscheiden, wer von der Spielweise her am besten in sein System passt. Nach diesem Kriterium hat der Bundestrainer ja auch im Fall von Kevin Kuranyi entschieden. Das würde eher für Manuel Neuer sprechen, der ein mitspielender Torwart ist und versucht, das Spiel schnell zu machen", sagt Uli Stein.

Wie wichtig ist das Einspielen mit der Viererkette?

Anders als bei den beiden letzten großen Turnieren ist in der Innenverteidigung nur Per Mertesacker als Abwehrchef gesetzt. Ein echtes Problem für Löw, das durch den Ausfall von Adler auch noch mehr Brisanz erfährt.

Mertesacker weiß Wiese bei Werder seit fünf Jahren hinter sich und hat das Fein-Tuning mit dem 28-Jährigen längst abgeschlossen. Riecht nach einem klaren Standortvorteil für Wiese. Mertesacker wollte sich am Dienstag allerdings nicht dazu äußern: "Ich muss jetzt erstmal mit Rene Adler telefonieren. Vorher will ich nichts sagen."

Auf der anderen Seite war Heiko Westermann in den wichtigen Spielen der WM-Qualifikation Mertesackers Nebenmann. Insofern könnte gleiches für das Pärchen Westermann/Neuer gelten, wie für Mertesacker/Wiese.

Entscheidend werden die Trainingslager auf Sizilien und in Südtirol werden. Ob sich Löw schon davor auf seinen neuen Stammtorhüter festlegen will, beeinflusst dementsprechend auch den Verlauf der vier Wochen vor dem Turnier.

Ist es ein Problem, mit dem einstmals dritten Torhüter ins Turnier zu gehen?

Vor gut einem halben Jahr war Robert Enke noch Deutschlands Nummer eins, Adler dahinter und Neuer auf Erkundungstour bei der A-Nationalmannschaft.

Nachdem sich Enke vor dem Heimspiel gegen Aserbaidschan im September eine Viruserkrankung eingefangen hatte, kürte Löw im Hinblick auf das bevorstehende entscheidende Spiel in Russland Adler zur vorläufigen Nummer eins.

Nach Enkes tragischem Tod im November rückte Wiese quasi nach und auf eine Stufe mit Neuer. Anfang März gab Bundestorwarttrainer Andreas Köpke dann den endgültigen Entschluss des Trainerteams bekannt, mit Adler ins Endturnier in Südafrika zu gehen.

Jetzt aber fehlt dem DFB schon wieder seine eigentliche Nummer eins. Insofern wird wohl Wiese oder Neuer in Südafrika im Tor stehen - also ein Kandidat, der vor sieben Monaten noch meilenweit davon entfernt war.

Ein echtes Problem ist es auf Grund der überragenden Leistungsdichte im Torhüterland Deutschland nicht.

Drohen während der WM große Reibereien untereinander?

Eine klare Hierarchie ist nicht mehr gegeben, zumindest Wiese und Neuer stehen auf einer Stufe. Der Verlierer des Duells muss eine schwere Enttäuschung wegstecken.

Der impulsive Wiese könnte da eher zur Gefahr für den inneren Frieden im Team werden als Neuer, der zum einen ruhiger ist und zum anderen das Turnier auch eher ohne Murren von der Bank aus verfolgen und Erfahrung sammeln würde.

Wie wichtig ist internationale Erfahrung?

Die Länderspielbilanz der in Frage kommenden Kandidaten ist ernüchternd: Wiese (2), Neuer (2), Butt (3) und Weidenfeller (0) kommen zusammen auf dürre sieben Spiele im DFB-Dress.

Wiese hat immerhin vier Jahre Champions League auf dem Buckel, insgesamt 15 Spiele in der Königsklasse gemacht. Neuer hat eine Saison in der Champions League gespielt und im letzten Jahr bei der U-21-EM ein überragendes Turnier abgeliefert.

Im direkten Mini-Vergleich in der A-Nationalmannschaft kommt Wiese besser weg: Gegen England im November 2008 kassierte Wiese sein einziges Gegentor, ein Jahr später in der ersten Halbzeit gegen die Elfenbeinküste blieb er ohne Gegentreffer.

Neuer dagegen musste in zwei Spielen vier Mal hinter sich greifen, darunter war auch ein halbes Eigentor gegen die Elfenbeinküste.

Reaktionen auf Adlers WM-Aus