Die deutsche Elf hat mit dem 4:1-Erfolg über England ein Stück WM-Geschichte geschrieben und beweist aufs Neue den unbändigen Zusammenhalt und Charakter, den dieses Team ausmacht. Für Fabio Capello und seine Engländer ist die Blamage gegen den ewigen Rivalen der Tiefpunkt einer Weltmeisterschaft, die von Enttäuschungen geprägt war.
Als beide Mannschaften endlich in ihren Bussen auf dem Heimweg saßen, wurde ein Sinnbild für diesen denkwürdigen Nachmittag geboren, das treffender nicht hätte sein können.
Die englischen Spieler lungerten in ihren Sitzen, Ashley Cole links hinten in der letzten Reihe, davor Wayne Rooney. Der sah noch blasser aus als nach drei durchzechten Nächten, unfähig, auch nur sein Handy zu bedienen.
Gleich daneben, allerdings mit entgegengesetzter Fahrtrichtung, startete das Vehikel des DFB in die gleißenden Scheinwerferlichter der Kameras, auf zum Triumphzug durch Bloemfontein und vom hiesigen Flughafen zurück in ihr WM-Quartier bei Pretoria.
WM-Historie in Bloemfontein
Die Engländer blieben zurück. Erschüttert in ihren Werten, demoralisiert und mit Hohn und beißendem Spott der landsmännischen Journalisten überschüttet.
Die 40.510 Zuschauer im Free State Stadium zu Bloemfontein waren ein paar Minuten davor Zeuge eines der erstaunlichsten Spiele der WM-Geschichte geworden.
Eine skurrile Mischung aus Unglaube und Fassungslosigkeit war zu vernehmen, die Worte "Wembley" und "München" gleichgestellt mit "Free State" und "Bloemfontein".
"Es gab ein paar Drinks"
Nach ein paar Bieren schlichen Deutschlands Helden durch die Mixed Zone. "Es gab ein paar Drinks in der Kabine", deutete Arne Friedrich einige alkoholische Durstlöscher an, die sich die Mannschaft verdient hatte nach diesem Spiel. Dieser Demonstration. Dieser Kampfansage.
Es gibt Spiele, da werden Helden geboren. Einzelne Spieler, die eine Partie entscheiden oder entscheidend beeinflussen. In Bloemfontein wurde der Welt eine deutsche Mannschaft präsentiert, die wie ihre vielen Vorgänger auch Angst und Schrecken verbreitet - aber mit einer offensiven, sympathischen Art.
Neue Form des Zusammenhalts
Das 4:1 gegen das als einer der großen WM-Favoriten gehandelte England war eine Ansage an die Konkurrenz: Hier sind wir! Wir sind schnell, wir sind hungrig und wir sind ein Team.
"Ich bin jetzt seit acht Jahren bei der Nationalmannschaft. Aber so einen Teamgeist und Zusammenhalt wie in dieser Mannschaft habe ich noch nicht erlebt", sagte Friedrich.
Es sind die alten Zitate, die diese Mannschaft zu bestätigen versucht. Eine Mannschaft ohne echten Weltklassespieler schlägt eine Ansammlung von Stars ohne Konzept und Zusammengehörigkeitsgefühl. Oder kurz: Form schlägt Klasse.
Löws Plan geht auf
Dass dabei auch die beiden Trainer einen großen Anteil am Ausgang der Partie hatten, macht den Verlauf der 90 Minuten noch unglaublicher. Joachim Löw erscheint im Vergleich zu Fabio Capello wie ein Lehrling.
Der Bundestrainer hat nicht die Aura, nicht die Vita und schon gar nicht die Erfolge des Italieners vorzuweisen. Aber er hatte neben einer intakten Mannschaft auch einen zwar einfachen, aber doch sehr effektiven Plan ausgegeben: Ballbesitz für den Gegner.
"Wir wollten England spielen lassen. Wir wussten, dass sie Probleme haben, wenn sie das Spiel machen müssen. Und dass wir dann die Stiche nach vorne setzen, weil wir die Qualität dazu haben, war uns klar", sagte Kapitän Philipp Lahm.
Müller überragt in neuer Rolle
Dazu ein paar taktische Umstellungen: Müller als Freigeist in den Räumen und nicht mehr nur auf dem rechten Flügel, Mesut Özil hinter der feindlichen Linie Gareth Barry und Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira, die durch das Zentrum Druck auf das englische Mittelfeld machten und so immer wieder den langen Ball des Gegners erzwangen.
"Das war heute zweifellos von unserer jungen Mannschaft eine grandiose Leistung gegen erfahrene Engländer. Wir haben taktisch hervorragend gespielt", lobte Löw seine Spieler. Aber er lobte sich damit auch ein wenig selbst.
England hatte in der ersten Halbzeit große Probleme, Capello aber blieb bei seinem 4-4-2 und nahm die numerische Unterzahl im entscheidenden Spieldrittel hinter der eigenen Mittellinie in Kauf. Eine fatale Fehleinschätzung, die spätestens durch die beiden Blitzkonter mit Müllers Torerfolgen ad absurdum geführt wurde.
Was wird aus Fabio Capello?
Der Italiener wollte sich nach der Partie nicht zu seiner Zukunft äußern. Nur so viel: Nach der Rückkehr nach London wolle er sich mit der FA zusammensetzen und die WM analysieren.
Bei einem Sieg aus vier Spielen, nur drei erzielten Toren und einer vernichtenden Niederlage gegen den alten Rivalen bleiben Capello aber nicht mehr viele Argumente übrig.
Als Nachfolger wurden bereits am Sonntagabend noch Harry Redknapp, der als TV-Kommentator im Free State Stadium das Debakel live vor Ort erlebte, und Roy Hodgson gehandelt.
54 gute Sekunden der Engländer
Es gab im Spiel zwei Knackpunkte, die die deutsche Mannschaft entweder mit Glück oder aber Geschick überstehen konnte. Frank Lampards Schuss tropfte von der Querlatte eindeutig und eigentlich für jeden im Stadion sichtbar hinter die Linie.
Das uruguayische Schiedsrichtergespann aber entschied nicht auf Tor. Es wäre das 2:2 gewesen, nur 54 Sekunden nach dem überraschenden Anschlusstreffer.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Mannschaft ihren Faden verloren, auch in den Minuten nach der Halbzeit drückte England und war für eine kurze Zeit die bessere Mannschaft.
"Das Ghana-Spiel war wichtig für diese Partie"
Dann aber zeigte Deutschland, dass es aus dem Zitterspiel gegen Ghana gelernt hat und daran auch ein ganzes Stück gewachsen ist. "Das Ghana-Spiel war wichtig für diese Partie heute", sagte Lahm. "Daraus konnten wir eine ganze Menge mitnehmen für das Spiel gegen England."
Die Mannschaft zog sich in der Folge selbst wieder aus ihrer bedrohlichen Lage, so wie es echte Spitzenmannschaften machen: Kühl und effizient. Im Endeffekt gewährte sie den Engländern nur 54 Sekunden auf Augenhöhe - auch wenn der Gegner ein paar Minuten optisches Übergewicht hatte.
Deutschland braucht niemanden zu fürchten
Zwei gestochen scharfe Konter bedeuteten die höchste WM-Niederlage Englands aller Zeiten und die Bestätigung für dieses junge Team: Wir können bei dieser WM auch die ganz Großen schlagen.
"Wir sind sicherlich nicht in der Favoritenrolle", beschwichtige Löw zu hohe Erwartungen. "In einem Turnier gibt es immer unterschiedliche Situationen und Spiele. Wir müssen nun wieder ganz hart arbeiten, denn die nächsten Gegner werden ja noch schwieriger."
Aber zumindest hat die Mannschaft jetzt schon einen Sieg für die Ewigkeit gelandet.
Deutschland - England: Fakten zum Spiel