SPOX: Wie sehen Sie die Jugendarbeit in Deutschland seit dem großen Umbruch im Jahr 2000?
Oliver Bierhoff: Unsere Philosophie schlägt schon seit einiger Zeit durch. Die Investitionen in unsere Stützpunkte im ganzen Land und in die Internate durch die Klubs machen sich bezahlt. Und wenn ich Christian Seifert von der DFL glauben darf, wird dort in den nächsten Jahren auch noch nachgelegt. Die Investitionen aus der Liga sollen erhöht werden.
SPOX: Wird auch der DFB in Zukunft in materieller und ideeller Form noch aktiver werden?
Bierhoff: Diese Frage müsste man eigentlich Matthias Sammer stellen, er ist für den Bereich verantwortlich. Aber wir haben seit 2000 ein unheimlich aufwändiges Programm laufen. Es hieß: 'Wir müssen jeden fördern.' Jetzt gehen wir hin und überlegen, nur bestimmte Spieler in der Spitze zu fördern. Wir müssen als Verband immer wieder zeigen, dass wir die Jungs, die Spitzenleistungen abliefern können, immer unterstützen. Das ist unsere ideelle Aufgabe. Ich denke aber nicht, dass man finanziell noch mehr streuen muss. Sondern die Konzentration auf die wichtigen Punkte in der Spitze legen sollte.
SPOX: 2010 war für den DFB ein erfolgreiches Jahr, vor allem der Spielstil der Nationalmannschaft hat teilweise begeistert.
Bierhoff: Man muss sehen, wie sich die Mannschaft zusammensetzt. Wir leben schon längst nicht mehr alleine von unseren traditionellen deutschen Tugenden. Unsere Spieler bringen andere Fähigkeiten mit ein. Durch die Einbindung von Spielern mit Migrationshintergrund bekommt man Akzente anderer Kulturen mit. Als bestes Beispiel dafür dient Mesut Özils kreatives Spiel.
SPOX: 2011 kann für den DFB ein durchaus lukratives Jahr werden: Fast alle Testspiele finden in Deutschland gegen hochkarätige Gegner statt.
Bierhoff: Das stimmt. Wir planen ja am Ende des Jahres - sollte sich die Mannschaft als Gruppensieger direkt für die EM qualifizieren - an dem Doppel-Spieltag der Playoffs noch zwei Spiele: Eins gegen die Niederlande zu Hause und eventuell gegen die Ukraine auswärts. Wir machen uns Gedanken darüber, wie wir die Attraktivität der Testspiele erhöhen können. Mit großen Nationen als Gegner bieten wir unseren Spielern eine höhere Motivation und einen anderen sportlichen Stellenwert. Natürlich spielen da aber auch wirtschaftliche Aspekte für unsere Sponsoren und Partner eine Rolle, und natürlich haben wir unsere Fans im Blick, die sich auf Stars aus dem Ausland freuen können. Letztlich profitieren alle davon, dass wir in diesem Jahr mit Italien, Uruguay, Brasilien und den Niederlanden vier hochkarätige Gegner in Deutschland haben.
SPOX: Ist die Gegnerauswahl Zufall oder gehen die Bestrebungen des DFB dahin, auch in Zukunft nach Möglichkeit gegen die Besten testen zu wollen?
Bierhoff: Durch die vielen Verbände, die in den Pflichtspielen antreten, haben die "großen Nationen" immer wieder mal wieder uninteressante Qualifikationsspiele. Da leidet das Niveau dann schon, in Spielen gegen zum Beispiel Liechtenstein oder Aserbaidschan - ohne jemandem zu nahe treten zu wollen. Deshalb versuchen wir das durch interessante, hochkarätige Spiele aufzufangen. Und deshalb haben wir teilweise bis 2014 auch schon einige Rückspiele ausgemacht.
SPOX: Es gab einige Jahre lang die "Brasilian World Tour", als die Selecao ihre Testspiele an eine Agentur verkauft hatte und die Welt quasi wie ein Zirkus bereiste. Ist so ein Modell grundsätzlich auch beim DFB möglich?
Bierhoff: Von meiner Seite aus wäre das ein absolutes No Go für den DFB. Das wichtigste ist, dass wir immer Herr unserer eigenen Entscheidungen bleiben müssen. Und wir müssen unsere Fans in der Heimat glücklich machen. Davon lebt die Nationalmannschaft. Deshalb würde ich die jetzige Regelung nie aufgeben.
SPOX: Sepp Blatter hat sich deutlich für eine WM 2022 im Winter ausgesprochen. Ist das nicht - vor allem im Nachlauf, schließlich muss man vier Jahre später ja wieder auf eine Sommer-WM umstellen - ein organisatorischer Alptraum?
Bierhoff: Der internationale Spielkalender kann sich in den Jahren bis dahin in einem bestimmten Rhythmus bestimmt ändern. Da kann man darauf reagieren. Viel schwieriger finde ich die Planungen für die Trainer: Wie werden dann die Pausen für die Spieler sein? Für die Aktiven selbst wäre angesichts der Verhältnisse im Sommer ein Winter-Turnier besser.
SPOX: Und wie reagieren die Fans darauf?
Bierhoff: Das ist auch ein Aspekt: Welche Zuschauer sind wichtig? Bei einer Winter-WM hätte ein Großteil der Fans auf der Welt auch Winter. Das hieße: Zumindest in Europa hätte man zum Beispiel kein Public Viewing - und das ist mittlerweile ein wichtiger Markt. Vielmehr würden die Fans lieber zu Hause kuschelig vor dem Fernseher sitzen. In der Gesamtheit weiß ich daher nicht, ob eine WM im Winter so umzusetzen ist.
SPOX: In der Liga machen derzeit einige Spieler durch ihre provokante Anti-Haltung auf sich aufmerksam. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Bierhoff: Das bedaure ich sehr. Früher gab es so etwas auch schon. Ich erinnere mich an Gabriel Batistuta, der wollte nie ins Sommer-Trainingslager reisen, weil er seinen Vertrag erhöht haben wollte. Aber Verträge sind nun mal dazu da, eingehalten zu werden. Und zwar von beiden Seiten. Wie der Verein muss da auch der Spieler in der Pflicht stehen. Und wenn es nicht mehr geht, kann man sich immer noch zusammensetzen und die Dinge diskutieren. Ich halte eine klare harte Linie für die sinnvollste Art, damit umzugehen. Auf jeden Fall sollte so etwas nicht weiter einreißen.