Andre Schürrle ist einer der Shootingstars der Saison. Nach starken Leistungen beim FSV Mainz 05 spielt er ab Sommer für Bayer Leverkusen - und damit auch in der Champions League. Der 20-jährige Offensivspieler spricht über seine Entwicklung und seine Förderer in Mainz und verrät, wie er Lukas Podolski in der Nationalmannschaft verdrängen will.
SPOX: Andre Schürrle, nur noch ein paar Tage und Ihre Zeit bei Mainz 05 geht zu Ende. Die Gelegenheit für eine letzte Ode an Ihren bisherigen Verein.
Andre Schürrle: Ich hatte eine tolle Zeit in Mainz und habe dem FSV unendlich viel zu verdanken. Im Verein und im Umfeld herrscht eine warmherzige Atmosphäre, die von super Charakteren geprägt wird. Für mich ist in Mainz einfach alles perfekt gelaufen.
SPOX: Wer war für Sie persönlich die prägendste Figur in den letzten Jahren?
Schürrle: Das ist natürlich immer schwer, eine einzelne Person herauszuheben. Jugendkoordinator Volker Kersting hat mich in der B-Jugend nach Mainz geholt, aber über allem steht dann doch Thomas Tuchel. Ihm habe ich die Erfolge in meinem letzten A-Jugend-Jahr und in den beiden Spielzeiten bei den Profis zu verdanken.
SPOX: Offenbar hat es Mainz sehr gut verstanden, die knifflige Schnittstelle vom Jugendbereich zum Profibereich auszufüllen.
Schürrle: Das ist auch sehr wichtig. Wobei ich dabei auch das Glück hatte, dass mein Jugendtrainer zum Trainer der Profis wurde und mich dann mit hochgezogen hat. Das hat meinem Jahrgang allgemein und mir im Speziellen den Einstieg schon sehr erleichtert. Schließlich kannte er uns und konnte so schneller die nötigen Quervergleiche mit dem Profikader ziehen.
SPOX: Sie haben vor zwei Jahren den Sprung in den Profibereich geschafft. Was würden Sie als "Absolvent" einem 15-Jährigen im Nachwuchsleistungszentrum raten?
Schürrle: Das kann man pauschal nicht sagen, da muss jeder seinen ganz eigenen Weg finden. Aber eins ist klar: Mit dem großen Ziel vor Augen muss man einige Opfer bringen. Viel feiern oder mit Freunden ständig ausgehen ist nicht möglich. Jeder muss im Laufe der Zeit für sich herausfinden, was ihn stark macht.
SPOX: Thomas Tuchel verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, neben der fußballerischen Ausbildung steht auch die Persönlichkeitsentwicklung an vorderster Stelle. Wie ist da die Gewichtung?
Schürrle: Es gab Vorträge von einzelnen Trainern, zumeist gab es vor der Saison einen bestimmten Plan: Wie wird das Jahr aussehen, was erwartet uns? Zusammen mit den Eltern wurden die Abläufe besprochen. Aber speziell geschulte Psychologen zum Beispiel hatten wir nicht.
SPOX: Thomas Tuchel wird für seine akribische Trainingsarbeit sehr gelobt, hat unter anderem auch den DFB-Trainerpreis gewonnen. Können Sie uns einen Einblick in den Trainingsalltag in Mainz geben?
Schürrle: Ein ganz wichtiges Kriterium ist, dass jede Einheit auch für den Kopf unheimlich intensiv sein soll. Es gibt bei fast jeder Spiel- oder Übungsform ganz viele Regeln, die es zu beachten gilt. Ganz selten haben wir ein freies Spiel auf ein Großfeld absolviert.
SPOX: Was für Einschränkungen sind das zum Beispiel?
Schürrle: Natürlich Kontaktregeln, also wie oft ich den Ball spielen darf oder ob ich ihn gleich mit dem ersten Kontakt weiterleiten muss. Dann sind bestimmte Planquadrate auf dem Spielfeld entweder für den Spieler tabu, man darf sie also nicht betreten, oder darf den Ball nicht durchspielen. Dazu alles in hohen Intervallen. Ein sehr abwechslungsreiches Training.
SPOX: Mit der Formel "Wiederholung als Prinzip".
Schürrle: Nur so fügen sich die Automatismen zusammen. Kleine Spielformen und Turnierformen, dann Ballhaltespielformen. Erst alles für sich. Und dann gemischt, um einen Wettbewerbscharakter zu erzielen - und um dann im Spiel eine bestimmte Situation zu erkennen, automatisch sein Programm abzuspulen und immer den Weg zum Tor zu suchen: Wann laufe ich wo hin? Was muss ich tun, wenn der Ball flach nach vorne gespielt wird? Wer spielt den Ball mit dem wievielten Kontakt ins Quadrat? Im Spiel fügt sich das dann im besten Fall zu einem fließenden Bewegungs- und Passablauf der Mannschaft zusammen.
SPOX: Ihr Spieltempo genüge jetzt schon höchsten europäischen Standards, sagt zumindest ihr Noch-Trainer. Wie trainieren Sie das?
Schürrle: Ich mache viel im Kraftraum, trainiere Sprünge und mache Stabilitätsübungen. Das alles ergibt dann erst die Geschwindigkeit. Aber es ist natürlich auch ein Stück weit eine gewisse Veranlagung da.
SPOX: Viele Spieler erreichen in sehr jungen Jahren schon ein gewisses Top-Niveau. Wird sich die Grenze noch weiter nach unten verlagern und damit unweigerlich auch die Gefahr mit sich bringen, dass bald 13- oder 15-Jährige schon sehr große Begehrlichkeiten wecken?
Schürrle: Dieses Szenario haben wir jetzt ja schon in manchen Fällen. Viele Angebote schmeicheln einem Jugendlichen ja auch. Aber es wird auch schwer für den Kopf, es wird schwer, das Ganze dann zu verarbeiten. Zumal die jungen Spieler ja gar keine Erfahrungen haben, wie sie damit umgehen sollten.
SPOX: Und deshalb treten immer früher auch Berater an die Jugendlichen heran. Hatten Sie mit 15 auch einen Berater?
Schürrle: Nein, meinen Berater hatte ich erst, als ich schon 18 war. Davor haben meine Eltern alles geregelt.
SPOX: Gab es damals schon Angebote?
Schürrle: Die gab es. Ich komme aus Ludwigshafen, da ist der 1. FC Kaiserslautern in der Region das Maß. Es gab dann ein Angebot, als ich in der C-Jugend war. Später kam auch Hoffenheim. Aber für mich gab es nur Mainz.
SPOX: Bald spielen Sie in Leverkusen: Was erwarten Sie sich von Ihrem ersten Jahr bei Bayer?
Schürrle: Ich freue mich unglaublich, dass ich da sein darf. Bayer hat eine super Mannschaft, die sehr jung ist und unheimlich attraktiven Offensivfußball spielt.
SPOX: War das ein wichtiges Kriterium: die Leverkusener Spielanlage?
Schürrle: Auf jeden Fall. Bayer ist bekannt dafür, spielt schon traditionell einen gepflegt offensiven Fußball. Das will ich auch verkörpern. Ich denke, ich passe gut zum Verein.
SPOX: Hatten Sie schon Kontakt mit Ihrem zukünftigen Trainer Robin Dutt?
Schürrle: Es gab bei unserem Spiel mit Mainz gegen Freiburg einen ersten Kontakt, da haben wir uns kurz gesehen. Aber länger gesprochen haben wir noch nicht miteinander.
SPOX: Wo sehen Sie sich im DFB-Team?
Schürrle: Ich kann auf allen drei Positionen im offensiven Mittelfeld spielen. Am liebsten links auf dem Flügel, damit ich dann zur Mitte ziehen und abschließen kann.
SPOX: Da steht Ihnen aber Lukas Podolski im Weg.
Schürrle: Ich versuche in jedem Training, mein Bestes zu geben. Wenn ich dann meine Chance bekomme, muss ich auch Leistung bringen. Das muss mein Ziel sein. Und dann entscheidet der Bundestrainer.
Andre Schürrle im Steckbrief