SPOX: Christian Träsch, vor ziemlich genau einem Jahr haben Sie sich im Trainingslager der Nationalmannschaft schwer verletzt und dadurch die Weltmeisterschaft verpasst. Haben Sie die Szene noch in Erinnerung?
Christian Träsch: Noch sehr gut. Ich wollte einen Ball vor der Außenlinie retten und bin dabei umgeknickt. Das war ein unheimlich bitterer Moment für mich, vor allem die ersten Tage danach waren sehr schwer. Aber es ist jetzt auch schon ein Jahr her und ich denke, ich habe es mittlerweile sehr gut verkraftet.
SPOX: Wenn man so will, war das der Auftakt für ein sehr schwieriges Jahr.
Träsch: Ich bin ja noch nicht so lange im Profigeschäft dabei, aber es war sicherlich das schwerste Jahr meiner Karriere. Mit dem VfB Stuttgart sind wir schnell in eine sehr bedrohliche Situation geraten, die Vorrunde war mit nur zwölf Punkten katastrophal. Aber wir sind dank einer erneut starken Rückrunde ja zum Glück noch mal da unten rausgekommen.
SPOX: Im Verein hatte die Saison immer wieder neue Tiefpunkte parat. Wie viel Frust kann man überhaupt vertragen?
Träsch: Wir waren zeitweise Vorletzter und abgeschlagen vom Relegationsplatz. Da haben dann natürlich viele auf uns eingeprügelt. Das war sehr hart für uns. Aber wir wussten auch, dass nur wir selbst uns da auch wieder herauskatapultieren konnten. Die Fans konnten uns dabei zwar bis zu einem gewissen Grat helfen, aber letztlich sind wir es, die die Leistung auf den Platz bringen müssen. Das hat uns der Trainer eingehämmert.
SPOX: Die Fans waren nach den beiden Niederlagen gegen die Bayern zum Ende der Vorrunde stinksauer. Wie haben Sie diese brenzlige Situation noch im Gedächtnis?
Träsch: Ich konnte das verstehen. Die Fans bezahlen Woche für Woche Eintritt und müssen dann eine Mannschaft sehen, die grottenschlechten Fußball spielt. Das war zwar keine Absicht von uns, aber es standen nun mal die zwölf Punkte zu Buche.
SPOX: Kann man vielleicht gerade aus den vielen Rückschlägen der Saison auch etwas Positives für die Zukunft mitnehmen?
Träsch: Man kann da einiges mitnehmen, Hannover sollte da ein gutes Beispiel für uns sein. Nach dem tragischen Tod von Robert Enke ist die Mannschaft in der Tabelle unten reingerutscht und hat den Abstieg gerade so vermieden. Und danach spielt sie eine überragende Saison, schnuppert an der Champions League und kommt letztlich fast sensationell in die Europa League.
SPOX: Im Verein sind Sie im defensiven Mittelfeld gesetzt, in der Nationalmannschaft ist die Konkurrenz sehr groß. Wie schätzen Sie Ihre Situation ein?
Träsch: Mit Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira haben wir Weltklasse-Spieler auf dieser Position, die bei Top-Vereinen spielen. Es wäre falsch, große Ansprüche zu stellen. Ich kann nur weiter an mir arbeiten und auf meine Chance warten.
SPOX: Ihre zweite Heimat ist die rechte Seite in der Viererkette. Wäre das auf Dauer eine Option?
Träsch: Ich fühle mich im Mittelfeld schon deutlich wohler, weil ich gerne mehr Platz um mich herum habe. Aber ich helfe selbstverständlich auch rechts hinten aus, wenn da Not am Mann ist.
SPOX: Bald könnte da insofern eine Stelle frei werden, wenn Philipp Lahm wieder zurück nach links wechseln sollte.
Träsch: Aber auch hier gibt es enorme Konkurrenz: Jerome Boateng oder Arne Friedrich haben bewiesen, dass sie die Position gut spielen können.
SPOX: Ist die Zukunft von Michael Ballack innerhalb der Mannschaft ein Thema?
Träsch: Es würde etwas falsch laufen, wenn es zu unseren Aufgaben gehören würde, sich darüber Gedanken zu machen. Das haben andere zu entscheiden und dementsprechend wird es von den Spielern gehandhabt.
SPOX: Was erwartet Deutschland beim Bruderkampf gegen Österreich in Wien?
Träsch: Ein Prestigeduell in einer hitzigen Atmosphäre. Ich erwarte eine leidenschaftliche österreichische Mannschaft und ein attraktives Spiel, weil beide Mannschaften sehr spielstark sind. Das erste kleine Duell habe ich aber schon für mich entschieden: 'Mercedes-Benz' hat ein Fahrerduell zwischen Martin Harnik und mir organisiert und ich habe gewonnen.
SPOX: Was sagen Sie zu Harniks Entwicklung beim VfB in dieser Saison?
Träsch: Martin hatte es zu Beginn sehr schwer, weil er immer nur als Joker reingekommen ist. Und trotzdem hat er verlässlich seine Tore erzielt, vor allem in den Pokalwettbewerben. Er ist mit seiner Dynamik und Leidenschaft dann immer wichtiger für die Mannschaft geworden. Diese Geradlinigkeit und seine Torgefahr zeichnen ihn besonders aus.
SPOX: Er hätte ja auch für Deutschland spielen können.
Träsch: Wenn er so weitermacht, hätte er es vielleicht auch bei uns geschafft. Aber er ist in Österreich Stammspieler, insofern war es die richtige Entscheidung von ihm.
SPOX: Beim VfB gibt es bei der Nachfolgeregelung von Erwin Staudt einige Turbulenzen, mittlerweile gibt es drei Kandidaten für das Präsidentenamt. Wie beurteilen Sie diese erneute Unruhe?
Träsch: Zunächst mal hat Erwin Staudt einen tollen Job gemacht beim VfB, nicht zuletzt ist der Umbau der Mercedes-Benz Arena in ein reines Fußballstadion auch sein Verdienst. Von den augenblicklichen Diskussionen bekommen wir relativ wenig mit, deshalb will ich das auch gar nicht beurteilen.
SPOX: Fredi Bobic strukturiert den Verein im Hintergrund um, um dem VfB wieder eine echte Identität zu verleihen. Die war zuletzt nicht immer klar zu erkennen.
Träsch: Stuttgart ist traditionell für seine Jugendarbeit und seinen jugendlichen Stil im Profibereich bekannt. Und genau da muss der Verein auch wieder hinkommen. Im Jugendbereich muss die Basis geschaffen werden, damit der VfB in der Bundesliga bestehen kann.
SPOX: Die ersten notwendigen Schritte dafür sind getan. Aber befindet sich der VfB nicht in einem endlosen Kreislauf zwischen ambitioniertem Ausbildungs- und deutschem Spitzenverein?
Träsch: Gerade deswegen ist die richtige Mischung zwischen jugendlichem Elan und Erfahrung innerhalb der Mannschaft so wichtig. Mit Jens Lehmann hatten wir da eine wichtige Persönlichkeit im Kader, der die Jungen an der Leine hatte.
SPOX: Bruno Labbadia hatte einen extrem schwierigen Start und wurde mit viel Skepsis beäugt. Wie würden Sie seine Arbeit einordnen?
Träsch: Die Situation war schwer und der Druck unheimlich groß. Umso höher muss man ihm anrechnen, dass er schnell die richtigen Mittel und Wege gefunden hat. Zum Beispiel hat er schnell erkannt, dass die Mannschaft nicht fit ist. In der Vorrunde sind wir in einigen Spielen nach der 80. Minuten regelrecht eingebrochen und haben viele späte Gegentore kassiert. Da haben wir in kürzester Zeit aufgeholt und dann waren es in der Rückrunde wir, die die entscheidenden Tore in der Schlussphase erzielt haben.
SPOX: Hat sich die Mannschaft wegen der zweifellos vorhandenen Qualität im Kader zu lange zu sicher gefühlt?
Träsch: Ich denke schon. Wir haben uns davon einlullen lassen und waren plötzlich mittendrin in einem Strudel, aus dem man nur schwer wieder herauskommt. Dieses Phänomen war aber auch bei anderen Teams zu sehen.
SPOX: Schafft es der VfB in der kommenden Saison endlich, eine halbwegs vernünftige Vorrunde zu spielen?
Träsch: Offenbar ist das eine unschöne Tradition in Stuttgart. Ich denke aber, dass wir genau analysieren, was alles schief gelaufen ist und diese Fehler nicht mehr machen. Und vielleicht schaffen wir dann auch eine Vorrunde mit 25 oder 27 Punkten - und nicht nur zwölf.
SPOX: Helfen Sie dabei mit, also bleiben Sie beim VfB?
Träsch: Ich habe noch ein Jahr Vertrag, die Gespräche zwischen meinem Berater und dem Verein laufen.
SPOX: Offenbar sind aber Vereine wie Leverkusen oder Wolfsburg an Ihnen dran.
Träsch: Das zeigt, dass meine Arbeit respektiert wird. Darauf darf ich mich aber nicht ausruhen.
SPOX: Haben Sie eine Tendenz, wie es weitergeht?
Träsch: Ich bin jetzt hier bei der Nationalmannschaft und konzentriere mich völlig darauf. Danach kann man dann weiterreden.
Zwischen DFB und VfB: Christian Träsch im Steckbrief