Joachim Löw wollte sich gar nicht setzen. Mehr als zehn Minuten war die Partie der deutschen Nationalmannschaft gegen Belgien schon alt und Löw hatte seinen Platz ganz links auf der Bank noch gar nicht richtig anwärmen können.
Bereits nach knapp einer Minute war der Bundestrainer aufgestanden, um ein paar kleine Korrekturen vorzunehmen. Löw brüllt dann nicht, er rudert lieber energisch mit den Armen oder macht kleine Schaufelbewegungen mit der Hand.
Für gewöhnlich verstehen seine Spieler die Gestik ganz gut, aber gegen diese aggressiven Belgier dauerte es eine ganze Weile, bis sich den Zuschauern in Düsseldorf jene deutsche Mannschaft präsentierte, die bis dahin locker durch die Qualifikation zur Europameisterschaft im nächsten Jahr spaziert war.
User-Benotung: Mesut Özil der beste Deutsche
Startprobleme der deutschen Elf
Mit grimmiger Entschlossenheit hatten die Gäste aus dem Westen der Anfangsphase ihren Stempel aufgedrückt. Belgien benötigte im Fernduell mit der Türkei einen Sieg, um aus eigener Kraft zumindest die Playoff-Spiele im November zu erreichen.
"Man hat gesehen, wie unheimlich motiviert die Belgier waren. Die wollten unbedingt gewinnen und so sind sie auch aus der Kabine gekommen. Aggressiv und mit viel Druck nach vorne", bestätigte nachher Rechtsverteidiger Benedikt Höwedes.
Die deutsche Mannschaft dagegen war auf der Suche nach sich selbst, offenbar hatten zu viele doch ein kleines Problem mit der Einstellung, einige auch mit dem katastrophalen Rasen in der Düsseldorfer Arena.
Özil mit Gewalt
Belgien spielte so, wie es sich für eine Mannschaft gehört, die ihre Chance beherzt beim Schopfe packen will und hatte in Deutschland in den ersten 20 Minuten auch den erhofft bereitwilligen Gegner, der an einem schwächeren Tag vielleicht zu schlagen war.
Aber dann kam die 30. Minute, der erste durchdachte Angriff der Deutschen, die bis dahin nur hinterhergelaufen waren und einzig mit verunglückten Abspielen für Aufsehen gesorgt hatten. Thomas Müller hatte Mario Gomez freigespielt, der scheiterte am guten belgischen Torhüter Simon Mignolet.
Die darauf folgende Ecke brachte aus der düsteren Prophezeiung für die Belgier Gewissheit, als Mesut Özil seinem Co-Heimatland einen fernen Gruß rüberschickte in Form eines Gewaltakts, dem man eher Lukas Podolski zugeschrieben hätte, dem sonst so filigranen Özil aber eher nicht.
Belgien bricht ein
Von diesem Moment an hörte Belgien abrupt auf, an die Überraschung zu glauben und Deutschland spielte plötzlich wieder wie in den Partien zuvor in dieser Qualifikationsrunde. Die Mannschaft spielte jetzt selbstbewusst, als hätte sie den Schlüssel zu dieser Partie plötzlich entdeckt.
Das 2:0, ein Hochgeschwindigkeitskonter nach einem Eckball der Gäste, war in seiner Zielstrebigkeit ein Abziehbild des 1:0 vom vergangenen Freitag in Istanbul. Joachim Löw saß zu diesem Zeitpunkt längst auf der Bank.
Er erlebte zu diesem Zeitpunkt eine jener Phasen, in der seine Mannschaft jeden Gegner auseinanderspielen kann und die ein Spiel, das zuvor auf Augenhöhe stattfand, unterteilt: In diese kurzen Abschnitte, in denen der Gegner mithalten kann. Und in den großen Rest, der Deutschland dann vom Kontrahenten weit distanziert.
Man spricht dann gerne von den großen Mannschaften, die da sind, wenn es darauf ankommt. Die in den entscheidenden Phasen abgebrühter sind, cleverer oder schlicht besser.
Kühl bis ans Herz
Von den ersten fünf Schüssen aufs Tor küssten drei das Netz. Auch in der Türkei nutzte Mario Gomez diese eine nennenswerte Chance der ersten Halbzeit gleich zum Führungstreffer. In Phasen der Ernsthaftigkeit bringt Deutschland den Ball auch im Tor unter. Wenn es knifflig wird, bleiben die deutschen Spieler derzeit kühl bis ans Herz.
Die Verfehlungen vor allen Dingen in der Türkei und der inflationäre Umgang mit besten Gelegenheiten besonders gegen Ende der Partie, als es gut und gerne auch zu einem Debakel für die Türken hätte kommen können, seien der gelösten Anspannung und einer Spur Überheblichkeit geschuldet.
Gewiss vergab Gomez in der ersten Halbzeit auch zwei Gelegenheiten, die er eigentlich nutzt. Früher wäre er daran noch im Spiel verzweifelt, hätte gegrübelt, sich von den murrenden Fans beeinflussen lassen. Gegen die Belgier jagte er den Ball kurz nach der Pause in einer flüssigen Bewegung aus Ballannahme, -mitnahme und dem Torschuss mit links ins Netz, als wäre es die leichteste aller Übungen.
"Sollten unser Spiel nicht verändern"
Der Rest war totale Kontrolle gegen einen Gegner, der sich zwar bis zum Schluss tapfer wehrte, der Qualität der Deutschen aber letztlich nicht genug entgegenzusetzen hatte.
Wenn wir den Ball laufen lassen, aktiv sind und nach vorne spielen, ist es einfach unglaublich schwer, gegen uns zu spielen. Das hat Belgien auch gesehen", sagte Andre Schürrle und klang dabei mit seinen zehn Länderspielchen wie ein alter Hase.
"Wenn dann bald die ganz großen Gegner anstehen, sollten wir unser Spiel auch nicht verändern. Das hat uns stark gemacht: Sofort nach Ballgewinn nach vorne zu spielen. So können wir jeden schlagen."
Zeichen an die Bayern
Das ist die Botschaft hinaus nach Europa. Da spielt es auch eine eher untergeordnete Rolle, welche elf Spieler auf dem Platz stehen. Gegen die Roten Teufel veränderte Löw seine Startelf auf fünf Positionen, der Qualitätsverlust war unterm Strich nur marginal.
So blieb auch noch Zeit, ein wenig für das innerbetriebliche Klima zu tun. Am Ende wurden viele Bayern-Spieler quasi auf Geheiß geschont: Bei den leicht angeschlagenen Jerome Boateng und Bastian Schweinsteiger wollte Löw selbstverständlich gar kein Risiko eingehen, also nahmen sie auf der Tribüne Platz. Ebenso wie Kollege Holger Badstuber, der es ebenfalls nicht in den Kader schaffte.
Bei allen drei Wechseln beorderte Löw einen Bayern-Spieler vorzeitig vom Platz, Thomas Müller, Mario Gomez und Philipp Lahm durften schon vor dem Abpfiff runterfahren.
Auch wenn es nur ein paar Minuten weniger Spielzeit waren, war es doch wenigstens ein Zeichen des guten Willens, hatten Uli Hoeneß und Christian Nerlinger vor dem Ausflug mit der Nationalmannschaft noch gefordert, ihre Spieler angesichts der längst geklärten Verhältnisse in der Qualifikationsgruppe A nicht über Gebühr zu beanspruchen.
Löw: "Die Deutschen sind konsequent"
So dürften am Ende alle zufrieden sein: Die Mannschaft hat auch ihre letzten beide Spiele in der Qualifikation gewonnen und dabei die Gegner zu großen Teilen spielerisch dominiert, es hat sich keiner verletzt und die Konkurrenz hat es allerspätestens jetzt auch Schwarz auf Weiß: Mit Deutschland wird zu rechnen sein im nächsten Sommer.
Oder, wie es Löw direkt nach dem Spiel ausdrückte: "Es war schon wichtig, dass wir das Finish durchziehen. Wir wollten allen zeigen: Die Deutschen lassen nicht nach. Um eine Botschaft nach außen zu geben: Die Deutschen sind konsequent."
Die deutsche Quali-Gruppe