Im deutschen Mittelfeld wurden in den letzten Wochen und Monaten die Auszeichnungen verliehen. Schweinsteiger ist der Chef, Özil der Unverzichtbare, Müller der Schlaue, Podolski der Dynamische, Kroos der Zwischenspieler, Götze der Nachwuchsstern. Und Khedira? Mädchen für alles, der Abräumer, Wasserträger.
Zu seiner Stuttgarter Zeit war er mal der torgefährlichste Mittelfeldspieler des VfB, obwohl er schon damals auf der Sechs eingesetzt wurde. Für Real wartet er noch immer auf sein erstes Tor.
Im Dienst der Mannschaft
Wenn die Königlichen in der Offensivbewegung ihre Viererkette auflösen, um mit Marcelo einen vierten Spieler ins offensive Mittelfeld zu schieben, ist Khedira selten beteiligt am Wirbelsturm in der gegnerischen Hälfte. Er muss die Stellung halten.
Für die Liebhaber des schönen Spiels, also so gut wie alle Anhänger von Real Madrid, findet er dann kaum statt. Die meisten spanischen Medien verdrehen ihren Hype um die Schöngeister in der Mannschaft ins Absurde, für den langweiligen Deutschen bleiben dann ein paar Brotsamen übrig.
Dass er dabei trotzdem seine Arbeit nach Jose Mourinhos Anforderungen verrichtet, erscheint nicht spektakulär genug. "Es ist sehr, sehr schwierig, als defensiver Spieler zu glänzen, wenn man so viele hervorragende Offensivspieler hat", sagt Khedira.
"Aber ich glaube, wenn man sehr wenige Torchancen zugelassen hat und eine hundertprozentige Passquote hat, dann hat man auch als defensiver Mittelfeldspieler nicht all zu viel falsch gemacht. Mein Spiel ist nicht mehr so spektakulär. Ich spiele im Dienste des Teams."
Erinnerungen an Makelele
Khedira lebt in Madrid mit einem Los, das schon andere vor ihm in eine ähnliche Situation drängten. Claude Makelele spielte drei Jahre im weißen Dress, ins Bewusstsein von Fans oder Medien schlüpfte er aber nie.
2003 schickte ihn Präsident Florentino Perez nach einer intrigenreichen Auseinandersetzung weg, ohne Makelele im Defensivzentrum verkamen die Galaktischen zu einer erfolglosen Zirkustruppe.
Makelele sollte eigentlich bis heute als Mahnmal dienen. Offenbar haben die meisten im Dunstkreis der Königlichen einen der größten Transferfehler der letzten Dekade aber schon wieder vergessen. Anders ist die geringe Wertschätzung der Öffentlichkeit für Khediras Spiel kaum zu erklären.
Konkurrenz durch Coentrao
Natürlich zählt für einen Spieler letztlich nur das Urteil des Trainers und Mourinho wurde in der letzten Saison nicht müde, die Verdienste Khediras auch ungefragt zu würdigen. In dieser Saison aber war Khedira erst verletzt und danach auch beim Portugiesen nicht immer unumstritten. Nach seiner Gelb-Roten Karte in Levante fand Mourinho in ihm einen der Hauptverantwortlichen für die Niederlage.
Dazu kommt, dass Zugang Fabio Coentrao als Mogelpackung daherkommt und eher unerwartet als Konkurrenz erwächst. Coentrao war als Linksverteidiger bei Benfica Lissabon ein heftig umworbener Spieler, die Position ist im Weltfußball dürr besetzt mit außergewöhnlichen Athleten.
Aber jetzt spielt dieser Portugiese: im defensiven Mittelfeld. Und dort spielt er extrem gut. Xabi Alonso ist gesetzt, Coentrao macht Khedira seinen angestammten Platz streitig. Parallel dazu deutet sich auch in der Nationalmannschaft Vergleichbares an.
"Ich finde das respektlos"
Zumindest scheint Khedira die Entwicklung in den letzten Monaten als solche wahrzunehmen und beklagt sich für seine Verhältnisse ungewohnt scharf. Also sei es "mal an der Zeit, einige Dinge klarzustellen".
"Ich finde das respektlos, in meiner Abwesenheit über mich zu diskutieren. Das ist unfair meiner Leistung der vergangenen Jahre gegenüber. [...]Die Türken sind verdammt stolz darauf, dass einer ihrer Spieler bei Real Madrid ist und spielt. In Deutschland sieht das anders aus: Da wird öffentlich danach gesucht, wo man bei dem Spieler Angriffspunkte finden könnte."
Sein letztes Spiel hat er in Wien bestritten, beim 2:1 gegen Österreich Anfang Juni.Insgesamt stand er in diesem Jahr erst bei drei Spielen auf dem Platz, die restlichen sechs verpasste er wegen Verletzungen oder wurde geschont.
"Ich bin ein sehr kritikfähiger Mensch, aber ich kann nicht akzeptieren, wenn etwas unfair abläuft. Ich war sehr, sehr lange ruhig, aber irgendwann ist auch mal gut."
Fokus nur auf dem Beruf
Und dann sagte er auch noch zwei Sätze, die seine sehr puristische Herangehensweise an seinen Beruf absolut treffend beschreiben.
"Ich frage mich: Wird über Fußball geschrieben oder über Skandale? Das gilt es doch mal zu hinterfragen. Ich denke an Fußball und höre meinen Trainern zu, die mich tagtäglich sehen."
Das ist es, was ihn zum Rollenmodell des neuen deutschen Fußballs gemacht hat: Diese hundertprozentige Fokussierung auf den Beruf, dem teilweise irrsinnigen Treiben drumherum trotzend.
"Da mache ich zehn gute Spiele bei Real Madrid, habe keinen Fehlpass im Spiel und stabilisiere unser Team. Darüber ist nichts in Deutschland zu hören. Wenn ich dann Gelb-Rot sehe, werde ich vier Tage durchs Land getrieben."
Der Vorzeigeschüler
Für Matthias Sammer war Khedira stets der Prototyp des integrierten Nationalspielers. Der das Beste aus einer anderen Kultur einbringt, eine gewisse spielerische Komponente und dabei trotzdem auch die deutschen Tugenden nicht vergisst.
In der U 21, die vor zwei Jahren in Schweden den Titel holte, war Khedira der Kapitän. Nicht Manuel Neuer, Mats Humels oder Mesut Özil. Khedira war damals reifer als seine Kollegen, auf uns abseits des Spielfelds. Als Vorzeigeobjekt perfekter Integration und Produkt der Nachwuchsleistungszentren wurde er herumgereicht.
Den großen Sprung ermöglichte aber erst die Verletzung von Michael Ballack kurz vor der Weltmeisterschaft im letzten Jahr. Ohne Ballacks Verletzung wäre er kaum Stammspieler gewesen bei der WM und wäre dementsprechend auch nicht gleich danach nach Madrid gewechselt.
Irritierende Aussagen
Insofern irritieren Khediras schroffe Aussagen jetzt schon, wenn man sich die Gegebenheiten damals nochmals ins Gedächtnis ruft. "Michael Ballack hat unbestritten eine gewisse Klasse. Er spielt aber auf meiner Position. Ich habe bei der WM bewiesen, dass ich in die erste Elf der Nationalmannschaft gehöre. Das werde ich auch weiter beweisen", hatte er nach seinem Wechsel zu Real der "Sport-Bild" gesagt.
In dieser Woche sagte er, wiederum der "Sport-Bild": "Es wurde angefangen, über mich zu sprechen. Über einen, der gar nicht mitwirken konnte. Über einen, der seit Jahren in der Nationalmannschaft nonstop gespielt hat, und das auch noch ziemlich gut. Über einen, der bei Real Madrid Stammspieler ist. Mit einem Mal durch zwei, drei Spiele, die ich bewusst abgesagt habe, zur Diskussion steht. Das finde ich sehr schade."
Khedira beschwert sich darüber, dass er sich gar nicht wehren konnte - womit er sich in derselben Situation wiederfindet, in der Ballack damals steckte und die dem ehemaligen Kapitän letztlich zum Verhängnis wurde beim DFB.
Khedira hat allerdings den unschlagbaren Vorteil, dass er wieder aktiv eingreifen kann ins Geschehen, sein Schicksal selbst beeinflussen darf. Ballack hatte diese Option nicht. "Wenn ich fit bin, stelle ich mich dem Konkurrenzkampf. Wenn ich dann meine Leistung abrufe, werde ich spielen", steckt er sein Revier klar ab.
Große Mannschaften mit gutem Durchlauf
Sein Trainer will die Grenzen zwischen Defensive und Offensive im deutschen Mittelfeld noch mehr verschwimmen lassen, taktische Grundmuster sollen da nur als eine Art Orientierungshilfe dienen.
"Jeder Spieler muss im Mittelfeld in der Lage sein, auch in der Offensive Akzente zu setzen", fordert Joachim Löw und fügt vielsagend an: "Große Mannschaften haben einen guten Durchlauf, haben auf allen Positionen einen Konkurrenzkampf. Jeder kann seine Position stärken."
Ein klarer Auftrag, ganz besonders auch an Sami Khedira. Fünf Spiele bleiben noch, bis der Bundestrainer im Mai sein Aufgebot benennen muss. Khedira hat sich für die erste Partie in Istanbul selbst ganz nach vorne ins Schaufenster gestellt.
Die deutsche Gruppe in der EM-Quali