Die Nationalspieler rasten mit ihren Mercedes-Geländewagen beim Offroad-Training über die Anlage in Bremen-Sewaldsbrück, dass die Reifen quietschen und qualmten. Ihre helle Freude hatten Tim Wiese, Simon Rolfes, Benedikt Höwedes, Marcel Schmelzer, Mats Hummels und Dennis Aogo an dieser wilden Übungseinheit.
Die Freiheit auf Rädern kam zwei Tage vor dem Test-Länderspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Frankreich zustande, weil bis Montagmittag nur ein Rumpfkader mit wenigen Spielern den Weg ins Teamquartier, dem Parkhotel in Bremen, gefunden hatten.
"Eine außergewöhnliche Situation"
"Das ist eine außergewöhnliche Situation, dass so viele Spieler noch am Sonntag mit ihren Vereinen spielen mussten", sagte Bundestrainer Joachim Löw und zählte seine Schäfchen. Die Herde war überschaubar, die Spieler tröpfelten erst nach und nach ein.
Nach Philipp Lahm, der wegen Knieproblemen schon am Sonntag im Anschluss an das 2:0 seiner Münchner gegen Schalke seine Absage übermittelt hatte, fiel am Montag auch noch der Dortmunder Sven Bender wegen der schweren, beim 3:1 am Vortag gegen Hannover erlittenen Gesichtsprellungen aus.
Löw: "Einiges ist nicht ideal"
Dass die Vorbereitung auf den ersten und bis zum 26. Mai auch letzten EM-Test im Weserstadion inmitten der Saison-Hochphase für die Vereine schwierig würde, wusste Löw bereits vorher. "Einiges ist nicht ideal", sagte er.
Nur eine einzige Trainingseinheit, die diesen Namen verdient, kann er mit den 18 Spielern durchführen. Am Montag gab es nur eine leichte Regenerationseinheit im Mannschaftshotel. Löw reagierte auf die komplizierte Ausgangslage, indem er die Bedeutung des Duells gegen das Nachbarland plötzlich stark dämpfte.
"Das Spiel hat nicht die allerhöchste Bedeutung", sagte der 52-Jährige. Dies war insofern verwunderlich, weil Löw über Jahre immer wieder gefordert hatte, sich mit den starken, namhaften Teams dieser Welt zu messen und nicht irgendwelche Tests gegen die fußballerische Laufkundschaft zu bestreiten.
Dass das Spiel gegen die Franzosen nun gar kein hochkarätiger Klassiker sein soll, liegt auch daran, dass der Gegner seine Rolle als Vorbild eingebüßt hat. Vor einiger Zeit fuhren noch ganze Abordnungen des Deutschen Fußball-Bundes zu den Nachbarn, um deren Ausbildungssystem zu studieren - Löw nahm auch an den Bildungsreisen teil. Doch nach den Titelgewinnen bei der WM 1998 und der EM 2000 ging es bergab mit der Equipe Tricolore.
"Die Franzosen waren nicht mehr so erfolgreich wie es scheint. Der Glanz hat ein bisschen abgenommen", sagte Teammanager Oliver Bierhoff. "Dass sie nicht mehr so erfolgreich waren, lag vielleicht am fehlenden Teamgeist. Bei der WM 2010 gab es intensive Streitereien in der Mannschaft", sagte Löw, der stolz sein kann auf die Harmonie in seiner Truppe.
DFB-Elf unabhängig vom Ergebnis
Doch die Franzosen haben sich gefangen - jedenfalls was die Ergebnisse angeht. Im vorigen Jahr blieben sie ungeschlagen (sieben Siege, sechs Unentschieden). Seit der WM 2010 erlitt das Team mit Trainer Laurent Blanc nur eine Niederlage, nur vier Gegentore kassierte es in der EM-Qualifikation - auch wenn dabei selten Begeisterndes zu sehen war.
Eigentlich könnte das Spiel gegen die Franzosen, gegen die Deutschland seit 25 Jahren nicht gewonnen hat, als echtes Prestigeduell eingestuft werden - doch Löw sieht das nicht so. "Wir sind unabhängig vom Ergebnis. Es wird uns nicht für die EM beflügeln oder uns das Selbstbewusstsein rauben", erklärte Löw.
Dass die Gefahr einer Niederlage nicht von der Hand zu weisen ist, gibt der Bundestrainer zu: "Die Franzosen haben eine stabile Defensive, die Spieler in der Offensive gehören zur absoluten Weltklasse."
Experimente gegen Frankreich?
Löw wird experimentieren gegen die Franzosen. Ob Tim Wiese in Bremen spielen darf, war am Montag noch ebenso ungewiss wie die Auswahl der zehn Feldspieler. Löw wird darüber hinaus wahrscheinlich das volle Auswechselkontingent von sechs Spielern ausreizen.
Nach den sehr guten Auftritten seiner Mannschaft 2011 ist der Bundestrainer gut drei Monate vor dem EM-Beginn frei von Erfolgsdruck. Selbst ein Debakel wie das 1:4 in Italien am 1. März 2006 vor der WM würde ihn nicht umwerfen.
"Was mich gelassen macht, ist die Entwicklung der Mannschaft", sagte Löw am Montag. Und überhaupt, damals vor der WM im eigenen Land hätte die Blamage gegen den späteren Weltmeister ja auch ihre gute Seite gehabt: "Es gab unheimlichen Wirbel, aber ich empfand positiv zu sehen, wo unsere Schwächen lagen."
Der aktualisierte DFB-Kader für das Spiel gegen Frankreich:
Tor: Manuel Neuer (Bayern München/25 Länderspiel/0 Tore), Tim Wiese (Werder Bremen/5/0).
Abwehr: Dennis Aogo (Hamburger SV/9/0), Holger Badstuber (Bayern München/18/1), Jerome Boateng (Bayern München(19/0), Benedikt Höwedes (Schalke 04/6/0), Mats Hummels (Borussia Dortmund/12/0), Marcel Schmelzer (Borussia Dortmund/5/0), Christian Träsch (VfL Wolfsburg/10/0).
Mittelfeld: Lars Bender (Bayer Leverkusen/3/0), Sami Khedira (Real Madrid/24/1), Toni Kroos (Bayern München/24/2), Thomas Müller (Bayern München/25/10), Mesut Özil (Real Madrid/30/8), Marco Reus (Borussia Mönchengladbach/3/0), Simon Rolfes (Bayer Leverkusen/26/2), Andre Schürrle (Bayer Leverkusen/11/5).
Angriff: Mario Gomez (Bayern München/50/21), Miroslav Klose (Lazio Rom/113/63), Cacau (VfB Stuttgart/21/5).
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