Wenn Joachim Löw über seinen Spieler Lukas Podolski referiert, dauert es nur wenige Sekunden, bis die ersten Schlüsselwörter fallen. Dynamik, Schnelligkeit, Wucht. In der Reihenfolge beliebig kombinierbar, ergibt es aber jeweils ein unumstößliches Bild.
Lukas Podolski, 27, ist seit acht Jahren ein konstanter Baustein in der deutschen Nationalmannschaft. Sechs davon hat er zusammen mit dem Bundes- und dem Assistenztrainer Löw erlebt. Man kann behaupten, dass sich beide sehr gut kennen und auch schätzen.
Löw lässt sich vom Gros seiner Spieler siezen, bereits ins einer Zeit als Nummer zwei hinter Jürgen Klinsmann war es lediglich den Alten wie Michael Ballack oder Torsten Frings gestattet, Löw beim Vornamen zu rufen. Und eben Lukas Podolski.
"Der Lukas duzt mich. Damals als Co-Trainer unter Jürgen Klinsmann war das mit ihm irgendwie automatisch so", erinnerte sich Löw jüngst an die Anfänge der gemeinsamen Arbeit beim DFB. Die Frage nach einer Regeländerung stellte sich nicht. Warum auch? "Dem Lukas kann man nicht böse sein", hat Löw einmal gesagt. Das ist allerdings schon ein wenig länger her.
Sonderstellung in der zweiten Heimat
Die Reise von Tourrettes nach Danzig war für Podolski auch so etwas wie der Abschluss einer alten Zeitrechnung und der Aufbruch in das wichtigste Turnier seiner Karriere. Hier, in seiner zweiten Heimat, repräsentiert er die deutsche Mannschaft in der polnischen Öffentlichkeit. Podolski ist Deutschland, überall gefragt, der Sympathiefaktor, der im Laufe des Turniers noch enorm wichtig werden kann.
In der alten Zeit hat er ein ziemlich ernüchterndes Jahr hinter sich gelassen. In einer von mittlerschweren Katastrophen nur so durchsetzten Saison mit dem 1. FC Köln erzielte er trotzdem 18 Tore. Wenn es eine Vereinsfigur gab, der man den Abstieg nicht ankreiden konnte, dann war dies Podolski.
Und trotzdem stand am Ende seiner vorläufig beendeten Zeit in Köln der Sturz in die Zweitklassigkeit. Löw hat das mit dem ersten Tag der Vorbereitung auf Sardinien registriert. "Wahnsinnig schwierig" sei alles für Podolski gewesen. "Nicht nur der Abstieg, sondern das ganze Jahr hinweg. Die vielen Dinge, die dort vorgefallen sind, haben ihm ein Stück weit zugesetzt."
Der Spieler, sonst eher als gleichgültig und monoton beschrieben, gab seine Befindlichkeit offen preis. "Ich bin nicht so abgebrüht, dass ich am nächsten Tag aufstehe und sage: ,Alles ist super, das ist Fußball, das passiert halt.' Es hat mir sehr weh getan, das ist doch ganz klar."
Podolskis Kompensationsprogramm
Podolski hat das alles mit erstaunlich engagierten Trainingsleistungen zu verdrängen versucht. In Südfrankreich war er vor der Ankunft der Bayern, als alles ganz nett, aber eben nicht aggressiv genug oder letztlich besonders zielführend war, einer der auffälligsten Spieler auf dem Platz.
Mit der Niederlage der Bayern im Champions-League-Finale gegen den FC Chelsea rückte Podolski noch mehr in den Fokus, der Ruf nach mental nicht belasteten Führungsspielern kam auch bei ihm an. "Niederlagen gehören zum Fußball dazu", sagte er da. "Ich bin mit dem FC abgestiegen, das war auch hart. Aber man muss damit umgehen können und das irgendwann verarbeiten."
Das tägliche Kompensationsprogramm lief gut, die Laune besserte sich. Nur die Umsetzung in den Testspielen gereichte noch nicht dem Anspruch, den der Bundestrainer und er selbst an sich haben. Unabhängig von der personellen Besetzung der Mannschaft fand Podolski nicht zu seinem Spiel.
Zuletzt drei Ruckelspiele
Das liegt auch an der neuen Aufgabenstellung, der sich die Mannschaft gegenüber sieht, mit dicht gestaffelten, tiefstehenden Gegnern und einem Doppelriegel vor dem Tor. Podolski ist einer der Spieler im Team, der die Geschwindigkeit im deutschen Spiel am dringlichsten benötigt.
Daran hapert es bis jetzt noch ordentlich. Es ruckelt und rüttelt noch zu sehr im deutschen Offensivspiel. Zuletzt gegen Portugal wurden die Probleme, die ihren Ursprung in der Spieleröffnung aus dem defensiven Mittelfeld heraus haben, auch unter Wettkampfbedingungen deutlich.
Podolskis Dynamik prallte an der portugiesischen Mauer förmlich ab, alleine mit Wucht war dem an diesem Tag sehr starken Gegner nicht beizukommen. Auch der Bald-Londoner vermochte daran nichts zu ändern. Seine drei guten Gelegenheiten ließ er ungenutzt verstreichen.
Keins von Löws Problemen
Vielleicht sollte er es manchmal überlegter und weniger mit Gewalt versuchen, sagen seine Kritiker. Immerhin kommt er oft genug in die Abschlussposition, sagen die anderen. Gegen Portugal so oft wie kein anderer deutscher Spieler. Allerdings war da seine Unterstützung in der Defensive nicht eben optimal.
Philipp Lahm machte gewiss eines seiner schwächeren Länderspiele in der jüngeren Vergangenheit, hatte gegen den agilen Nani aber auch deshalb Probleme, weil Podolski nicht wie einstudiert dichter an Lahm heranrückte und die Absicherung bildete. Er ist jetzt deshalb keiner von Löws Problemspielern. Aber einer derjenigen, auf den der phrasenhafte Spruch von der "Luft nach oben" doch ziemlich gut passt.
In der Ukraine dürfte er die 100 Länderspiele vollmachen. Derzeit steht er bei 98, die Spiele gegen die Niederlande und Dänemark stehen noch aus. Vor dem Turnier gab es überdurchschnittlich viele offene Fragen für den Bundestrainer. Eine stellte sich nicht: Wer in seinem System die linke offensive Mittelfeldseite einnehmen wird.
Podolski hat sie alle überlebt
Podolskis Leistungen bisher rufen zu Hause in Deutschland einige kritische Stimmen hervor und jede Menge Glaskugelrhetorik. "Lukas ist mit zu vielen anderen Dingen beschäftigt", meint Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus. "Er ist mit Köln abgestiegen und muss jetzt seinen Umzug nach London organisieren. Er ist vom Kopf her nicht frei."
Podolski interessieren solche Nebengeräusche traditionell wenig. Er nimmt das gelassen hin und konzentriert sich auf seine Aufgaben. Es ist ja auch nicht so, dass er sich seit Jahren unbehelligt von Länderspiel zu Länderspiel durchwurschteln kann. Konkurrenten, die an seinem Platz im Team rütteln wollten, gab es im Überfluss.
Die haben sich im Laufe der Jahre aber alle abgearbeitet an Podolski. Völlig egal, ob sie Kevin Kuranyi oder Patrick Helmes heißen, die noch zu Podolskis Zeit als klassischer Stürmer ihren Angriff starteten. Oder später Marcell Jansen, Piotr Trochowski, Jan Schlaudraff oder Marko Marin. Podolski hat sich immer durchgesetzt und ist bis heute quasi unbezwungen.
Reus eine interessante Option
Allerdings hat auch er registriert, dass die Spieler der aktuellen zweiten Reihe eine andere Qualität mitbringen und gerade für seine Position im linken offensiven Mittelfeld relativ zahlreich sind. Andre Schürrle gilt dabei landläufig als schärfster Widersacher.
Nur ist dessen Repertoire als Starter - Schnelligkeit, zur Mitte ziehen, Torabschluss - für die derzeitige Gemengelage deutscher Spiele gegen kompakte Defensivreihen auch überschaubar. Richtig gefährlich könnte Podolski wohl eher Marco Reus werden.
Löw hat gegen die Portugiesen die Zwischenräume nicht gut genug besetzt gesehen. Hier hielt sich Reus bei seinem Ex-Klub in Mönchengladbach am liebsten auf, kam als hängende Spitze seinem Sturmpartner immer wieder unterstützend zur Seite.
Eine oder zwei Änderungen?
Oder auch Mario Götze. Der sieht sich laut eigener Einschätzung entweder im Zentrum oder über die linke Seite am stärksten. Der Dortmunder hat zudem die Gabe, auch ausweglose Situationen auf engem Raum trickreich lösen zu können.
Dass auch von ihm mehr kommen muss, ist Podolski bewusst. "Wir müssen uns alle steigern." Löw könne sich die eine oder andere Änderung im Hinblick auf das Spiel gegen die Niederlande durchaus vorstellen, verkündete der Bundestrainer. "'Never change a winning team' muss nicht immer gelten. Vielleicht gibt es eine oder zwei Änderungen."
Aber vielleicht sieht er ja am Mittwoch in Charkiw den Poldi, den er am liebsten hat. "Wir brauchen wie bei der WM wieder einen starken Lukas Podolski. Einen, den wenige Spieler aufhalten können." Körperlich und mental fit müsste Podolski nach drei Wochen Reha-Programm jetzt ja sein.
Lukas Podolski im Steckbrief