Frage: Herr Löw, wie bewerten Sie das 2:1 der deutschen Nationalmannschaft gegen die Niederlande?
Jogi Löw: Wir haben mit dem zweiten Sieg das Tor zum Viertelfinale aufgestoßen. Aber wir brauchen noch einen Punkt gegen Dänemark, denn wir können nicht davon ausgehen, dass Portugal und Holland unentschieden spielen. Es war ein wahnsinnig intensives, sehr enges Spiel mit hohem Tempo bei extremen Temperaturen. Die Mannschaft hat absolut klasse defensiv gearbeitet, weil Holland auf eine starke Offensive mit vier, fünf Topleuten aufgebaut ist. Wir haben sie gut aus dem Spiel genommen. In der zweiten Halbzeit hätten wir den Sack ein bisschen früher zumachen können.
Frage: Bastian Schweinsteiger hat vor dem Spiel gesagt, er wolle sich noch steigern. Das hat er sicherlich getan. War das schon seine Topform?
Löw: Ich glaube, dass er noch Steigerungspotenzial hat. Er hat ein Klassespiel gemacht. Man spürt seine Präsenz mit Sami Khedira zusammen im Mittelfeld. Beide haben viel nach vorne getan und haben einen spielerisch überragenden Wesley Sneijder weitgehend aus dem Spiel genommen. Ich war sehr zufrieden mit ihnen. Basti ist in der Lage, über 90 Minuten Tempo zu gehen. Seine Präsenz auf dem Platz ist extrem hoch.
Frage: Wo sehen Sie für die gesamte Mannschaft noch Steigerungspotenzial?
Löw: Es gibt immer Dinge, die man nach dem Spiel ablaufen lässt, weil man glaubt, dass man einiges besser lösen kann. Eines ist auf jeden Fall klar: In der sogenannten Todesgruppe haben wir sechs Punkte gegen zwei starke Mannschaften geholt. Das ist eine starke Leistung. Jetzt muss man sehen, dass wir ein paar Angriffe mehr zum Abschluss bringen.
Frage: Jerome Boateng ist nach zwei Gelben Karten gesperrt. Wer bietet sich als Alternative als rechter Verteidiger an?
Löw: Man kann Philipp Lahm nach rechts ziehen, Marcel Schmelzer dann nach links stellen. Lars Bender kann rechts spielen. Auch eine Dreierkette wäre eine Überlegung gegen Dänemark.
Frage: Sie haben auf Mario Gomez gesetzt. Gehen Sie davon aus, dass er seine Kritiker zum Schweigen gebracht hat?
Löw: Mario hat ab und zu am Boden gelegen, auch in der Nationalmannschaft. 2008 bei dem Turnier hat er ein Torchance versemmelt und war aus dem Rhythmus gekommen, hatte das Selbstbewusstsein verloren, aber er hat sich wieder reingekniet. Das ist seine Stärke. Mario ist kein Spieler, den man lange aufrichten muss. Er findet seinen Weg immer selber. Gegen Holland hatte er zwei Chancen und macht zwei klasse Tore. Er kommt vor den Torhüter und macht dann genau das Richtige.
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Frage: Fanden Sie die Mannschaft nach dem 2:0 nicht etwas zu nachlässig?
Löw: Das stimmt. In der Halbzeit haben wir gesagt, bei dem Tempo dürfen wir die Defensivarbeit nicht vernachlässigen. Wir haben sie müde gelaufen. Wir haben aber nicht das entscheidende dritte Tor gemacht. Die Holländer hatten große Lücken im Mittelfeld. Nach dem tollen Tor von Robin van Persie sind sie noch mal etwas aufgewacht. Danach war dann klar: Es geht für Holland um Alles oder Nichts. Aber eigentlich hatte ich nach 65 Minuten das Gefühl, dass Holland mit den Kräften am Ende war.
Frage: Warum bleiben die offensiven Mittelfeldspieler Lukas Podolski, Thomas Müller und Mesut Özil noch unter ihren Möglichkeiten?
Löw: Podolski und Müller haben wahnsinnig gut gearbeitet. Sie müssen ja mit den Außenverteidigern die weitesten Wege gehen. Defensiv waren wir deswegen sehr stabil. Offensiv können einige Aktion besser werden, aber Arjen Robben und Ibrahim Afellay wurden in Schach gehalten. Wenn Podolski und Müller ihre Chancen bekommen, werden sie auch Tore machen. Özil macht unglaublich viele Wege. In unserer Auswertung macht Mesut die Läufe mit einer unheimlich hohen Intensität, auch ohne Ball bietet er sich wahnsinnig viel an. Wir haben ihn schon häufiger in Weltklasseform gesehen. Er kann in den nächsten Spielen mehr bringen. Mit dem Ball macht er immer wieder geniale Sachen. Die ganze Mannschaft war gut, aber sie hat insgesamt noch Steigerungspotenzial.
Joachim Löw im Steckbrief