Ein schmaler Gang, etwa 30 Meter lang. Geteilt durch eine hüfthohe Balustrade. Auf der einen Seite eine Werbewand des italienischen Fußballverbandes, auf der anderen Seite alle fünf Meter eine weiße Wand, wie im Großraumbüro eines Callcenters. Dazwischen die Mikrofone und Kameras der Journalisten.
Das war der Weg hinaus aus dem verwinkelten Innenraum des Giuseppe-Meazza-Stadions. Die Stimmung war getrübt als die deutschen Nationalspieler vorbei an den Reportern ihren Weg zum Bus abschritten.
Vergeblicher Zweckoptimismus
Da war zum einen das nur zum Teil zufriedenstellende Ergebnis. Ein 1:1 in Italien, in einem Spiel, das "wir locker hätten gewinnen können", wie Kapitän Philipp Lahm meinte. Auf das Gemüt der Spieler drückte aber noch deutlich mehr die Tatsache, dass einer ihrer Kollegen diesen Weg aus dem Stadion nicht mehr gehen konnte.
Sami Khedira war bereits in einem Mailänder Krankenhaus, um sich einer Kernspintomographie zu unterziehen. Noch war zu diesem Zeitpunkt nicht klar, wie schwer die Verletzung ausfallen würde. Aber die meisten waren sich einig: "Das sah nicht gut aus." Der ebenfalls gleichsam vorgetragene Wunsch ("Ich hoffe, dass es nichts Schlimmes ist") stellte sich bald als Zweckoptimismus heraus.
Am Samstag veröffentlichte der DFB die befürchtete Diagnose: Riss des vorderen Kreuzbandes und Riss des Innebandes im rechten Knie.
Probleme im zentralen Mittelfeld
Es ist schon Ironie des Schicksals, dass sich Khedira die Verletzung bei einem eigenen Foul an Italiens Andrea Pirlo zuzog und nicht durch die üble Grätsche von Domenico Criscito gegen ihn ein paar Minuten zuvor. Schon nach dieser Attacke sah es kurzzeitig so aus, als müsste Khedira vorzeitig vom Platz, doch er biss auf die Zähne und wurde nur wenig später für seinen Willen bestraft.
Khedira ist neben Bastian Schweinsteiger und Ilkay Gündogan der dritte zentral-defensive Mittelfeldspieler, der Bundestrainer Joachim Löw in dieser Phase der Vorbereitung auf die WM 2014 fehlt.
Aber während bei Schweinsteiger und Gündogan die Aussicht besteht, dass beide zur Vorbereitung auf die Rückrunde wieder voll belastbar sind und genügend Zeit haben, um bestens ins Schuss in die WM zu gehen, ist bei Khedira vor allem die Hoffnung die treibende Kraft.
Straffer Zeitplan
Voreilig will keiner das WM-Aus verkünden. Und so muss man wohl auch die Aussagen Löws und von Mannschaftsarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfarth lesen, die in der Mitteilung des DFB ein Comeback zur WM in Aussicht stellten.
Sieben Monate sind es noch bis zum Eröffnungsspiel der WM in Brasilien am 12. Juni 2014. Bleiben also rund sechs Monate, bis Löw sein Team zur Vorbereitung auf das Turnier um sich versammelt. Sechs Monate, in denen Khedira sich von der Operation erholen, die Reha sowie das Aufbautraining absolvieren und im besten Fall noch ins Spielgeschehen eingreifen sollte.
Ein straffer Plan, der aufgrund der Schwere der Verletzung in seiner Umsetzung nur schwer realisierbar scheint. Noch dazu einer, der eigentlich mit Löws Vorhaben kollidiert, keine hundertprozentig fitten Spieler ohne Rhythmus mitzunehmen.
Fünf Monate vor Turnierbeginn sei für ihn die Grenze, sagte Löw noch vor dem Spiel gegen Italien. Schwere Verletzungen danach, würden ihm Magenschmerzen bereiten. Khediras Verletzungsdatum liegt noch außerhalb der Grenze, reicht aber weit in diesen Zeitraum hinein.
Khedira bei Löw konkurrenzlos
Bei allem offensiven Potenzial von Löws Mannschaft war Khedira ein Spieler, der Aggressivität, Laufstärke und Balance garantierte und deshalb beim Bundestrainer auch immer gesetzt war.
In Mailand agierte Khedira bis zu seiner Verletzung im 4-3-3 auf einer Halbposition etwas offensiver als in den Jahren zuvor. Die Rolle vor der Abwehr fiel an Philipp Lahm.
Ein Zeichen, dass Löw weder Sven noch Lars Bender aktuell für dieses Niveau geeignet hält, selbst wenn die langfristige Planung Lahm als Rechtsverteidiger sieht. Gegen eine Mannschaft von der Klasse Italiens wollte er "keine ganz jungen" Spieler bringen, um mit mehr Erfahrung "fußballerisch und taktisch ein Übergewicht zu bekommen."
Gegen England wird er es mit einer anderen Mittelfeldbesetzung probieren (müssen). Neben den verletzten Khedira stehen auch Lahm, Manuel Neuer und Mesut Özil nicht im Kader für die Partie in Wembley.
Junge Rivalen bei Real Madrid
Auf Khediras Fähigkeiten im defensiven Mittelfeld habe auch seine Trainer bei Real Madrid, Jose Mourinho und Carlo Ancelotti, nur ungern verzichtet. Die meinungsstarke und auch stark meinungsbildende Presse in der spanischen Hauptstadt hält ihn jedoch schon lange für verzichtbar.
Khedira wird jetzt erstmal lange Zeit zuschauen müssen, wie Ancelotti seinen Ausfall versucht aufzufangen. Mit Asier Illarramendi (40 Millionen Euro) und Casemiro (6 Millionen Euro) hat Real erst vor der Saison zwei junge Spieler verpflichtet, die Khedira eins zu eins auf seiner Position ersetzen können. Beide wollen auf Dauer nicht nur der Backup des Deutschen sein.
Ähnlich wie vor der WM 2010
Es ist ein weiter Weg zurück nach einem Kreuzbandriss, vor allem für einen Spieler, der derart stark von seiner ausgeprägten Physis lebt wie Khedira. Aber der 26-Jährige ist ein Kämpfer, wie ihm seine Kollegen sofort nach Abpfiff und später über verschiedene Kanäle bestätigten. Es bleibt zu hoffen, dass er sich mit dem Ziel WM nicht zu früh zu viel zumutet.
Positiv dürften ihn jedoch die Erinnerungen ans Jahr 2010 stimmen. In einem Spiel gegen den FC Bayern zog sich Khedira zweieinhalb Monate vor Beginn der WM in Südafrika einen Kreuzbandanriss im linken Knie zu. Khedira wurde rechtzeitig fit, spielte ein starkes Turnier und wechselte anschließend zu Real Madrid.
Sami Khedira im Steckbrief