Joachim Löw spazierte dem Ausgang entgegen, als er in seinem rechten Augenwinkel noch Roman Weidenfeller entdeckte, der gerade den Reportern von seinem ersten Länderspiel berichtete.
Löw machte kurz kehrt, ging einen Schritt zur Seite und verabschiedete sich per Handshake und einem "Roman, mach's gut!" Weidenfeller machte aus dem Handshake eine angedeutete Umarmung und verabschiedete sich ebenfalls. Die Dortmunder und Bayern fuhren direkt vom Stadion zum Flughafen, während der Bundestrainer erst am Mittwoch abreiste.
Wilde Gestik in der Coaching Zone
Es war eine entspannte Geste, mit der Löw seinen Abend in Wembley beendete und durch die Tür verschwand. In den 90 Minuten zuvor hatte der Bundestrainer doch sehr angespannt und seine Coaching Zone immer wieder bis zum äußersten Millimeter ausgereizt.
Er hatte geschimpft, gestampft und geflucht. Die Hände flogen mal nach oben, dann wurde mit einem Arm gerudert oder stocksauer abgewunken. Es war ein sehr aktives Coaching, das man von Löw aus seiner bisherigen Amtszeit nicht oft zu sehen bekommen hat.
Zu jeder nicht gut gelösten Situation seiner Mannschaft hatte Löw eine Gebärde bereit. "Ein bisschen geärgert" habe er sich, so drückte es Löw später aus, weil sein Team das 2:0 nicht gemacht habe, mit dem das Spiel entschieden gewesen wäre.
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Kritik an allen Stellen
Aber seine Offensivkünstler Marco Reus, Mario Götze und Sidney Sam ließen viele gute Möglichkeiten ungenutzt. "Diese Angriffe müssen wir auch mal gnadenlos zu Ende bringen", sagte Löw.
Es ist die Konsequenz im Torabschluss, die Löw meint, wenn er von Verbesserungsmöglichkeiten im letzten Drittel spricht. Aber von Löws Gestik blieb an diesem Abend fast kein Spieler verschont.
Er monierte zu große Abstände der Mannschaftsteile ebenso wie zu langsames Aufbauspiel, schlampige Pässe und laxes Zweikampfverhalten.
Auch Befreiungsschläge des Torhüters riefen den gestikulierenden Löw auf den Plan. "Torwartspezifisch war heute nicht viel, aber man musste manchmal Bälle raushauen, das hat gut funktioniert", meinte Weidenfeller nach seinem Zu-Null-Spiel im Debüt.
Zäher Beginn der B-Elf
Der versöhnliche Löw meinte hinterher, dass er insgesamt doch zufrieden war mit der Leistung seiner Mannschaft. "Wir waren sehr, sehr ballsicher, haben gut umgeschaltet, alle haben in der Defensive mitgearbeitet."
Zumindest Letzteres stimmte uneingeschränkt. In der ersten Halbzeit war von sicherem Passspiel und gutem Umschaltspiel aber nichts zu sehen. Alleine bei zwei Standardsituationen sorgte Per Mertesackers Kopfballstärke für Gefahr, eine führte zum Führungstreffer.
Ansonsten wirkte vieles unrund und behäbig, was bei einer so neu zusammengestellten Mannschaft auch verständlich ist. Schließlich fehlten mit Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Manuel Neuer, Miroslav Klose, Mario Gomez, Sami Khedira, Mesut Özil und Ilkay Gündogan lauter Startelf-Kandidaten. Erst nach der Pause wurde es mit einem aktiveren Toni Kroos und den Einwechslungen von Sidney Sam und Julian Draxler besser.
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England kämpft mit stumpfen Waffen
Bezeichnend für die Kräfteverhältnisse an diesem Abend war aber die Tatsache, dass die zweite Garde der deutschen Nationalmannschaft England vor heimischem Publikum immer im Griff hatte. "Man hatte nicht das Gefühl, dass die Engländer uns ausspielen können", sagte Löw. Und bis auf einen Fernschuss an den Pfosten von Andros Townsend brachten die Three Lions auch keinen Ball aufs Tor von Weidenfeller.
England wirkte bisweilen hilflos. Ohne Idee, wie die deutsche Defensive zu knacken sei. Die Gastgeber wirkten zwar sehr bemüht und willig, aber traten gegen die defensiv solide arbeitenden Deutschen mit stumpfen Waffen an.
Durch die Mitte fehlten den Engländern die spielerische Leichtigkeit und die Spielertypen dafür, von außen kamen zwar ein paar brauchbare Flanken, aber Mertesacker und seine wechselnden Nebenmänner (Boateng, Hummels, Höwedes) in der Innenverteidigung standen sicher.
B-Elf eine Nummer zu groß
Noch vor der Partie unterstellten Teile der englischen Medien dem Bundestrainer, dass er aufgrund seiner Personalentscheidungen nicht den nötigen Respekt entgegenbringe. Nach dem Spiel müssen die Engländer feststellen, dass selbst diese Mannschaft aktuell eine Nummer zu groß für sie ist.
England kassierte zum ersten Mal nach 36 Jahren zwei Heimniederlagen am Stück (zuvor 0:2 gegen Chile). Trainer Roy Hodgson zeigte sich niedergeschlagen und traurig darüber, dass in diesen beiden Spielen "150.000 Zuschauer enttäuscht nach Hause geschickt" wurden. Zufrieden war er mit dem Aufwand, dem Einsatz und dem Eifer seiner Mannschaft. "Aber die Deutschen hatten mehr Qualität im Passspiel und im Abschluss."
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Der Maßstab ist nicht England
Es ist auch eine Botschaft dieses Spiels, dass Deutschland selbst Nationen wie England relativ problemlos und ohne einige seiner Topspieler dominieren kann, weil der Unterschied in Qualität und Spielanlage einfach zu groß ist und nicht allein durch Engagement und Wille wettzumachen ist.
Es ist aber auch bezeichnend, dass der Bundestrainer mit einem 1:0 nicht hundertprozentig zufrieden ist. England war ein guter Test zum Jahresabschluss mit einem guten Ergebnis, das erst mal für Ruhe sorgt.
Aber England ist nicht mehr der Maßstab, die Deutschen sind der Maßstab für Teams wie England. Italien hat dem personell besser besetzten Deutschland am Freitag in Mailand deutlich mehr abverlangt. Daran orientiert sich auch Löw und deshalb wird der gestenreiche Auftritt in Wembley nicht der letzte gewesen sein.
England - Deutschland: Die Statistik zum Spiel