Joachim Löw hatte seine gute Laune wiedergefunden. Auf dem Weg hinaus aus der Stuttgarter Arena erfüllte er die Fotowünsche einiger chilenischer Reporter mit großer Ruhe und dem einen oder anderen lobenden Wort, das zwar italienisch war, aber von den Spanisch sprechenden Chilenen auch verstanden worden sein dürfte.
Es war ihm offensichtlich ein Bedürfnis, die Komplimente für die formidabel aufspielende chilenische Nationalmannschaft auch nach Südamerika zu transportieren und seinen Respekt auszudrücken.
Kanpp eine Stunde vorher sah Löw noch ganz anders aus. Heftig wie kaum einmal zuvor in seiner Amtszeit reagierte er auf einen missglückten Befreiungsschlag von Jerome Boateng. Vor allem in einem Testspiel hat man Löw noch nie so wütend gesehen. Mit der linken Hand fuchtelnd und schreiend sprang er von seinem Platz auf und brüllte Boateng an.
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Wie der Trainer, so das Team
Es war ohnehin ein Spektakel, was sich über 90 Minuten am Spielfeldrand abspielte. Chiles Nationaltrainer, der Argentinier Jorge Sampaoli, tigerte die komplette Spielzeit wie wild durch seine Coaching Zone und auch weit darüber hinaus. Teilweise kamen ihm noch zwei, drei seiner Assistenten zu Hilfe, redeten auf die Spieler ein und riefen Anweisungen aufs Feld.
Auf der anderen Seite schluckte Löw seinen Frust lange Zeit hinunter, bis er sich in dieser einen Szene entlud. Während Sampaoli von einer Ecke zur nächsten Hetzte, ging Löw bedächtig in seinem Rechteck auf und ab, er wirkte nachdenklich und irgendwie auch verzweifelt, ob der Leistung seines Teams. Hansi Flick gab ab und zu Anweisungen.
Die Radikalisierung von Bielsa
Wie die beiden Trainer agierten auch die beiden Mannschaften. Chile sprühte von der ersten Minute an nur so von Lust auf Fußball. Die Südamerikaner waren gekommen, um ihre Spielweise durchzudrücken und dabei ließen sie sich von nichts und niemandem abbringen. Sie waren giftig, lauffreudig und spritzig.
Die Deutschen spielten behäbig, uninspiriert und zurückhaltend. Das Team wirkte ratlos, ob der ungewohnten chilenischen Herangehensweise.
Schon bei der WM 2010 waren die Chilenen eines der aufregendsten Teams des Turniers, damals wurden sie noch vom Fußball-Professor Marcelo Bielsa trainiert, sie spielten ein unkonventionelles 3-3-1-3.
In Stuttgart bewies die Mannschaft, dass Sampaoli die Ausrichtung noch um ein Stück radikalisiert hat. Bei Ballbesitz postierten sich die Chilenen in einem 3-1-6 mit Überzahl gegen jede Position der Viererkette. Deutschland fand zu keiner Zeit des Spiels eine Lösung für dieses Problem.
"Chile setzt neue Standards"
Geblieben ist die hohe Intensität, mit der die Chilenen schon in Südafrika für Aufsehen sorgten. Sie führten jeden Zweikampf konsequent und jagten die Deutschen über den ganzen Platz mit ihrem aggressiven Pressing.
"Sie setzen mit ihrer unorthodoxen Spielweise neue Standards", sagte Per Mertesacker nach dem Spiel. "Sie haben quasi mit vier Stürmer gespielt, mit ihren kleinen, quirligen Spielern, das ist natürlich eklig."
Es war beeindruckend, wie kompromisslos die Chilenen über 90 Minuten agierten, aber auch beängstigend, dass die deutsche Mannschaft in 90 Minuten keine Antwort darauf fand. "Wir haben sie stark erwartet, aber nicht so stark", sagte Teammanager Oliver Bierhoff. Toni Kroos kam zu dem Schluss: "Wir waren auf jeden Fall die schlechtere Mannschaft."
Keine Kontrolle trotz Bayern-Block
Obwohl Löw sechs Spieler des FC Bayern aufbot und das Mittelfeld-Dreieck mit Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger und Kroos besetzte, bekam sein Team nie Kontrolle über das Spiel.
Die variable Besetzung seines Mittelfelds, auf den Außen spielten Mario Götze und Mesut Özil, "kam nicht zum Tragen. Wir konnten keine Dominanz ausstrahlen", sagte Löw. "Uns hat die Ballsicherheit gefehlt. So einen Gegner muss man laufen lassen, aber wir haben wahnsinnig viele Ballverluste gehabt."
Dieser wilde Schlagabtausch, der es vor allem in der ersten Halbzeit war, ist nicht das Spiel der Deutschen, wobei in diesem Stadium noch die eine oder andere gelungene Offensivaktion dabei war, wie das Tor von Götze nach Vorarbeit von Özil.
Aber viele Kontersituationen ließ die DFB-Elf leichtfertig verstreichen, weil kein Tempo aufgenommen, das Spiel dagegen verschleppt und wieder zurück oder quer gespielt wurde. Das monierte auch Löw. Dabei boten die Chilenen mit ihrer risikofreudigen Taktik jede Menge Räume und Eins-gegen-Eins-Situationen in gefährlichen Bereichen an. Nur kam das deutsche Team nur selten in diese Situationen.
Deutschland trotzdem Turnierfavorit
"Ich bin dankbar für diesen Test, weil wir gesehen haben, dass wir nicht nur gegen Brasilien und Argentinien das Maximum geben müssen und dass der südamerikanische Fußball besonders ist", sagte Bierhoff.
Auch Löw dürfte die Vorführung nicht ungelegen kommen. Immerhin hatte er am Montag erst einen deutlichen Appell an seine Spieler gerichtet und einen Unterschied in der Leistungsfähigkeit seiner Mannschaft auf dem Papier und der Realität angemahnt.
Gegen Chile lieferten seine Spieler den Beweis, dass Löw nicht ganz Unrecht hatte mit seiner Einschätzung. In der Mathematik würde es heißen: quod erat demonstrandum, was zu beweisen war.
Die von Löw und seinem Team irgendwie als unangenehm empfundene Rolle des Turnierfavoriten wird Deutschland aber auch mit einem deutlich schwächeren Spiel nicht einfach so ablegen können. Zumal das Spiel ja irgendwie mit 1:0 gewonnen wurde.
Deutschland - Chile: Die Statistik zum Spiel