SPOX: Herr Katzenmeier, Sie haben im November 2008 nach 45 Jahren Ihre Tätigkeit bei der deutschen Nationalmannschaft beendet. Wie geht es Ihnen mit bald 80 Jahren denn momentan?
Adolf Katzenmeier: Ich lag leider kürzlich erst im Krankenhaus, weil ich mir einen Wirbel gebrochen hatte. Das nahm einige Zeit in Anspruch, aber ich bin jetzt so weit, dass ich wieder arbeiten kann. Ich bin noch gut beieinander, habe Kraft und kann noch alles machen.
SPOX: Ihre Praxis liegt unweit der DFB-Zentrale in Frankfurt, dort werkeln Sie auch in diesem Alter noch. Wieso lassen Sie es denn nicht mal gut sein?
Katzenmeier: Die Massagebank ist mein Leben, das kann ich nicht anders ausdrücken. Solange ich lebe, werde ich massieren. Wenn ich einem Patienten helfen kann und er mit einem Lächeln von der Bank steigt, dann bin ich einfach dankbar. Das motiviert mich für den nächsten Patienten.
SPOX: Hatten Sie nie den Wunsch, irgendwann in Rente zu gehen und dann Dinge zu tun, für die sonst keine Zeit blieb?
Katzenmeier: Solche Gedanken habe ich immer schnell wieder verworfen. Ich bin ein Kriegskind, wir sind von unseren Eltern nach dem Motto erzogen worden: Helfen, helfen, helfen. Das hat sich durch mein Leben gezogen.
SPOX: EinTestspiel gegen England war Ihr letztes bei der deutschen Nationalmannschaft. Wie ist der Entschluss gereift, beim DFB-Team aufzuhören?
Katzenmeier: Die WM in Südafrika stand vor der Tür und ich war 2008 bereits 74 Jahre alt. Die Leute vom DFB haben mich gefragt, ob es deshalb nicht besser sei, aufzuhören. Niemand wusste ja, wie groß die Hitze und die ganzen Strapazen sein werden.
SPOX: Wie haben Sie dann reagiert?
Katzenmeier: Mir sind im ersten Moment die Tränen in die Augen geschossen, weil ich so sehr an der Mannschaft hing. Ich wäre gerne mit nach Südafrika gegangen, aber letztlich war es besser, nachzugeben und das Kapitel zu beenden - auch wenn der gesamte Stab und die Spieler traurig waren. Man wollte ja auch verjüngen, das ist auch nachvollziehbar für mich gewesen.
SPOX: Dass die Spieler traurig waren, liegt am guten Verhältnis, das Sie mit ihnen über die Jahre aufgebaut haben. Wie schnell konnten Sie denn ein vertrauenswürdiges Verhältnis zu den Spielern aufbauen?
Katzenmeier: Das Vertrauen entstand durch meine Arbeit. Ich habe mir einfach Mühe gegeben. Ich habe bei einem angeschlagenen Spieler so lange gesucht, bis ich den Grund gefunden habe - und das hat die Spieler beeindruckt. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie es mit Gerald Asamoah beispielsweise anfing.
SPOX: Wie fing es an?
Katzenmeier: Er hatte verhärtete Waden. Wenn ich die massiert habe, dann hätte ich auch eine Litfaßsäule massieren können. Ich musste ihn jeden Tag massieren. Er hat aber gemerkt, dass die Muskeln frei wurden, das etwas passiert in seinem Körper. So vertraute er mir relativ schnell, obwohl wir uns nicht lange kannten.
SPOX: Die Massagebank gilt ja seit jeher als der Ort, an dem die Spieler Ihre Sorgen und Ängste teilen. Wie war das aus Ihrer Sicht?
Katzenmeier: Die Spieler waren oft nachdenklich - erst recht, wenn der Trainer nicht mit ihnen zufrieden war. Dann wurden sie auf der Bank introvertiert. Lukas Podolski hat zum Beispiel nach jedem Spiel seinen Opa in Polen angerufen. Der war sehr streng mit ihm. Wenn er schlecht gespielt hat, ließ ihn das der Opa wissen. Wenn der Poldi dann aufgelegt hat, konnte man fünf Minuten nicht mit ihm reden. Er war in sich versunken und hat nachgedacht - danach war er wieder der Alte. Auch deshalb hat Jürgen Klinsmann seine Mannschaftssitzungen auch immer erst in der Kabine im Stadion abgehalten.
SPOX: Erklären Sie!
Katzenmeier: Weil die Spieler im Hotel oder bei der Behandlung einfach andere Gedanken haben. Die hören dort oder auch im Bus Musik und gucken in ihren Gameboy hinein. Jürgen meinte, die würden sich seine Ausführungen niemals bis zum Anpfiff merken können, wenn er bereits im Hotel die Sitzung machen würde.
SPOX: Über die Jahre sind richtige Freundschaften mit den Nationalspielern entstanden, Podolski war zuletzt Ihr Sitznachbar im Mannschaftsbus.
Katzenmeier: Poldi schrieb mir 'nen wunderbaren Abschiedsbrief. Er meinte, es sei für ihn ein Ritual gewesen, einen Tag vor dem Spiel bei mir auf der Bank zu liegen. Mir wurde gesteckt, dass er den Brief teilweise weinend geschrieben hat, weil wir einfach so lange zusammengearbeitet haben. Er war fasziniert davon, dass er mit einem 50 Jahre älteren Mann ein solch gutes Verhältnis haben konnte. Wir haben uns vom ersten Tag an sehr gut verstanden.
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