Adolf, genannt "Adi", Katzenmeier arbeitete ab 1963 und damit noch unter Bundestrainer Sepp Herberger für den DFB und begleitete die deutsche Nationalmannschaft 45 Jahre lang als Masseur und gute Seele. Im Interview spricht Katzenmeier über "Litfaßsäule" Gerald Asamoah, Schwierigkeiten mit Stefan Effenberg und die verschluckte Zunge von Guido Buchwald.
SPOX: Herr Katzenmeier, Sie haben im November 2008 nach 45 Jahren Ihre Tätigkeit bei der deutschen Nationalmannschaft beendet. Wie geht es Ihnen mit bald 80 Jahren denn momentan?
Adolf Katzenmeier: Ich lag leider kürzlich erst im Krankenhaus, weil ich mir einen Wirbel gebrochen hatte. Das nahm einige Zeit in Anspruch, aber ich bin jetzt so weit, dass ich wieder arbeiten kann. Ich bin noch gut beieinander, habe Kraft und kann noch alles machen.
SPOX: Ihre Praxis liegt unweit der DFB-Zentrale in Frankfurt, dort werkeln Sie auch in diesem Alter noch. Wieso lassen Sie es denn nicht mal gut sein?
Katzenmeier: Die Massagebank ist mein Leben, das kann ich nicht anders ausdrücken. Solange ich lebe, werde ich massieren. Wenn ich einem Patienten helfen kann und er mit einem Lächeln von der Bank steigt, dann bin ich einfach dankbar. Das motiviert mich für den nächsten Patienten.
SPOX: Hatten Sie nie den Wunsch, irgendwann in Rente zu gehen und dann Dinge zu tun, für die sonst keine Zeit blieb?
Katzenmeier: Solche Gedanken habe ich immer schnell wieder verworfen. Ich bin ein Kriegskind, wir sind von unseren Eltern nach dem Motto erzogen worden: Helfen, helfen, helfen. Das hat sich durch mein Leben gezogen.
SPOX: EinTestspiel gegen England war Ihr letztes bei der deutschen Nationalmannschaft. Wie ist der Entschluss gereift, beim DFB-Team aufzuhören?
Katzenmeier: Die WM in Südafrika stand vor der Tür und ich war 2008 bereits 74 Jahre alt. Die Leute vom DFB haben mich gefragt, ob es deshalb nicht besser sei, aufzuhören. Niemand wusste ja, wie groß die Hitze und die ganzen Strapazen sein werden.
SPOX: Wie haben Sie dann reagiert?
Katzenmeier: Mir sind im ersten Moment die Tränen in die Augen geschossen, weil ich so sehr an der Mannschaft hing. Ich wäre gerne mit nach Südafrika gegangen, aber letztlich war es besser, nachzugeben und das Kapitel zu beenden - auch wenn der gesamte Stab und die Spieler traurig waren. Man wollte ja auch verjüngen, das ist auch nachvollziehbar für mich gewesen.
SPOX: Dass die Spieler traurig waren, liegt am guten Verhältnis, das Sie mit ihnen über die Jahre aufgebaut haben. Wie schnell konnten Sie denn ein vertrauenswürdiges Verhältnis zu den Spielern aufbauen?
Katzenmeier: Das Vertrauen entstand durch meine Arbeit. Ich habe mir einfach Mühe gegeben. Ich habe bei einem angeschlagenen Spieler so lange gesucht, bis ich den Grund gefunden habe - und das hat die Spieler beeindruckt. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie es mit Gerald Asamoah beispielsweise anfing.
SPOX: Wie fing es an?
Katzenmeier: Er hatte verhärtete Waden. Wenn ich die massiert habe, dann hätte ich auch eine Litfaßsäule massieren können. Ich musste ihn jeden Tag massieren. Er hat aber gemerkt, dass die Muskeln frei wurden, das etwas passiert in seinem Körper. So vertraute er mir relativ schnell, obwohl wir uns nicht lange kannten.
SPOX: Die Massagebank gilt ja seit jeher als der Ort, an dem die Spieler Ihre Sorgen und Ängste teilen. Wie war das aus Ihrer Sicht?
Katzenmeier: Die Spieler waren oft nachdenklich - erst recht, wenn der Trainer nicht mit ihnen zufrieden war. Dann wurden sie auf der Bank introvertiert. Lukas Podolski hat zum Beispiel nach jedem Spiel seinen Opa in Polen angerufen. Der war sehr streng mit ihm. Wenn er schlecht gespielt hat, ließ ihn das der Opa wissen. Wenn der Poldi dann aufgelegt hat, konnte man fünf Minuten nicht mit ihm reden. Er war in sich versunken und hat nachgedacht - danach war er wieder der Alte. Auch deshalb hat Jürgen Klinsmann seine Mannschaftssitzungen auch immer erst in der Kabine im Stadion abgehalten.
SPOX: Erklären Sie!
Katzenmeier: Weil die Spieler im Hotel oder bei der Behandlung einfach andere Gedanken haben. Die hören dort oder auch im Bus Musik und gucken in ihren Gameboy hinein. Jürgen meinte, die würden sich seine Ausführungen niemals bis zum Anpfiff merken können, wenn er bereits im Hotel die Sitzung machen würde.
SPOX: Über die Jahre sind richtige Freundschaften mit den Nationalspielern entstanden, Podolski war zuletzt Ihr Sitznachbar im Mannschaftsbus.
Katzenmeier: Poldi schrieb mir 'nen wunderbaren Abschiedsbrief. Er meinte, es sei für ihn ein Ritual gewesen, einen Tag vor dem Spiel bei mir auf der Bank zu liegen. Mir wurde gesteckt, dass er den Brief teilweise weinend geschrieben hat, weil wir einfach so lange zusammengearbeitet haben. Er war fasziniert davon, dass er mit einem 50 Jahre älteren Mann ein solch gutes Verhältnis haben konnte. Wir haben uns vom ersten Tag an sehr gut verstanden.
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SPOX: Wie lief es mit anderen Spielern ab?
Katzenmeier: Ähnlich. Gerade die Spieler, die neu nominiert wurden, sind öfter mal zum Masseur oder Arzt gegangen, um nachzuhören, wie das in der Nationalmannschaft alles so abläuft. Das hat es manches Mal auch vereinfacht, über die Behandlung den Zugang zum einzelnen Spieler zu bekommen.
SPOX: Gab es auch welche, mit denen Sie gar nicht konnten?
Katzenmeier: Nicht unbedingt, aber mit Stefan Effenberg hatte ich Schwierigkeiten. Ihn habe ich kaum zum Termin bekommen. Mal kam er später, mal gar nicht. Ich weiß noch, wie wir zu Zeiten von Berti Vogts in Thailand beim Abendessen saßen und ich danach dann den Effenberg behandeln sollte. Ich hatte mich mit ihm abgesprochen. Als ich vom Tisch aufstand, um mich fertig zu machen, lachte dann auf einmal Mario Basler laut los.
SPOX: Wieso?
Katzenmeier: Er war ja ein guter Freund von Effenberg und meinte, er würde im Leben nicht bei der Behandlung auftauchen. Ich habe dann eine ganze Weile im Massageraum gewartet - länger als ich dachte. Mir war es dann auch scheißegal, ob er noch kommt oder nicht. Doch auf einmal klopft es an der Tür. Basler kam mit Effenberg im Arm herein und sagte: Da hast du ihn (lacht).
SPOX: Zu einem früheren Zeitpunkt, bei der EM 1992 in Schweden, haben Sie dem bewusstlosen Guido Buchwald beim Spiel gegen Schottland die verschluckte Zunge herausgeholt. Er hat Sie daraufhin in den Finger gebissen. Die Wunde haben Sie bis heute.
Katzenmeier: Zu dieser Geschichte muss ich etwas länger ausholen: Fünf Minuten vor der Sache mit Guido prallte auch Stefan Reuter mit einem Schotten zusammen. Er hatte eine stark blutende Risswunde in Stirnhöhe. Ich habe schon aus einem Meter Entfernung das Handtuch auf ihn geworfen, als ich zusammen mit Teamarzt Professor Heinrich Heß auf den Platz lief. Heß ging dann mit Reuter in die Kabine, weil die Wunde genäht werden musste.
SPOX: Und er war dann nicht da, als der Vorfall mit Buchwald passierte?
Katzenmeier: Genau. Ich saß mit Professor Winfried Kindermann zusammen auf der Bank. Der hatte aber anders als Heß keine Erlaubnis, den Platz zu betreten. Bei Guido war der Fall ähnlich, auch er wurde im Luftzweikampf erwischt - aber an der Schläfe. Er ist wie Wackelpudding nach unten gefallen und war vollkommen weg.
SPOX: Wie ging es dann weiter?
Katzenmeier: Der Schiedsrichter erkannte die Situation sehr gut, pfiff sofort ab und ließ mich aufs Feld. Guidos Hände verkrampften, der Hals war überstreckt. Damit war klar, dass die Zunge zurückgefallen ist. Ich habe dann mit meinem Daumen seinen Ober- und Unterkiefer auseinandergedrückt und konnte so mit meinem Zeigefinger die Zunge erwischen. Da war eine Spannung drauf, das können Sie sich nicht vorstellen.
SPOX: Aber er war noch immer bewusstlos?
Katzenmeier: Ja. Ich habe die Zunge gehalten und leicht daran gezogen, aber sie hat nicht nachgegeben. Die Sanitäter wollten ihn dann wegtragen, aber das habe ich unterbunden. Es handelte sich ja um eine lebensbedrohliche Situation. Der Schiedsrichter ließ dann auf meinen Vorschlag Professor Kindermann aufs Feld, der Guidos Kinn nach unten drückte. Dann gab die Zunge endlich nach, ich zog sie heraus und drehte Guidos Kopf zur Seite. Dann wurde er wach.
Katzenmeier: So wach, dass er sofort sagte: 'Was ist denn los?'. Ich antwortete ihm: 'Nichts ist los.' Er war in einem Dämmerzustand. Wir haben ihn dann hinter das Tor gelegt, damit das Spiel weitergehen konnte. Dort sah ich, dass aus seinem linken Ohr Blut herauslief. Da bin ich so erschrocken, weil ich befürchtete, er hätte vielleicht einen Schädelbasisbruch. Ich nahm eine Mullkompresse und bin damit in sein Ohr hinein. Guido schrie auf einmal: 'Aua, du tust mir weh.' Wir haben ihn letztlich mit dem Krankenwagen in die Uniklinik Göteborg gefahren.
SPOX: Haben Sie mit ihm in den Jahren danach noch über diesen Vorfall gesprochen?
Katzenmeier: Natürlich, immer wieder mal. Erst vor kurzem fragte ich ihn, ob er damals wusste, dass ich bei ihm war. Er hatte ja 'DU tust mir weh' gerufen. Er meinte: 'Ich habe gewusst, du bist da.'
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