Die deutsche Nationalmannschaft zeigt bei der WM 2014 in Brasilien schwankende Leistungen. Was muss Joachim Löw ändern? Im Panel geben die SPOX-Redakteure Thomas Gaber, Andreas Lehner, Daniel Reimann und mySpox-User KingCantona ihre Meinung ab.
Ist das 4-3-3 das richtige System für Deutschland?
Andreas Lehner (SPOX-Reporter in Brasilien): Löw hat sich auch in der Vergangenheit stark an der taktischen Ausrichtung des FC Bayern orientiert und auch bei dieser WM setzt er auf einen starken Bayern-Block. Allerdings setzt er auf den defensiven wie offensiven Außen auf ganz andere Spielertypen als Pep Guardiola. Klar ist für mich aber auch, dass das 4-2-3-1 aktuell keine Alternative ist, weil von der optimalen Doppelsechs Schweinsteiger/Khedira keiner in Top-Form ist. Andere Kombinationen wären Flickschusterei. Für Kramer kommt die WM zu früh.
Thomas Gaber (SPOX): Deutschland beherrscht beide Systeme, 4-3-3 und 4-2-3-1. Die Mannschaft ist auch in der Lage, innerhalb eines Spiels taktisch zu variieren. Das 4-3-3 hat in den ersten beiden Spielen funktioniert, warum sollte Löw daran jetzt etwas ändern? Die Fehler, die gegen Ghana zu Gegentoren geführt haben, sind systemunabhängig.
Daniel Reimann (SPOX): Ja. Gegen Portugal kamen die Stärken des Systems zum Tragen: Mehr Variabilität im Offensivdrittel und eine stabile Zentrale, die stets Überzahl in Ballnähe schaffen konnte und damit in der Ballzirkulation nur schwer aufzuhalten war. Die Probleme gegen Ghana waren weniger systemischer als vielmehr individueller Natur: Sonst zuverlässige Kräfte wie Khedira oder Lahm leisteten sich Fehlpässe, in der Viererkette kam es zu eklatanten Stellungsfehlern. Vorne fehlte es den offensiven Außen vor allem an der nötigen Physis. Ein anderes System hätte gegen Ghana wohl kaum einen entscheidenden Unterschied gemacht.
mySPOX-User KingCantona: Das System komplett zu ändern ist in meinen Augen der falsche Ansatz. Was aber auffällt, ist dass die Möglichkeiten eines 4-3-3 vom DFB-Team kaum ausgenutzt werden. Eigentlich soll ein Dreiersturm das Spielfeld verbreitern und durch ständige Rochade die Defensivspieler aus dem Verteidigungsbund ziehen. Götze und Özil zieht es jedoch selbst immer wieder in die Mitte. Dort verkleinern die nachgerückten Mittelfeldspieler schlussendlich die offenen Räume. Entweder gelingt es Löw, dass Özil und vor allem Götze von ihrem gewohnten Spiel abkommen oder er bringt mit Schürrle und Podolski Spieler, die es gewohnt sind als Flügelstürmer aufzulaufen.
Ist das 4-3-3 das richtige System für Deutschland?
Kapitän Lahm in der Kritik: Ist er im Mittelfeld ein Risiko?
Braucht Deutschland offensivere Außenverteidiger?
Müssen Schweinsteiger und Klose in die Startelf?
Kaum Einsatzzeit für Schürrle und Podolski: Macht Löw da einen Fehler?
Kapitän Lahm in der Kritik: Ist er im Mittelfeld ein Risiko?
Andreas Lehner (SPOX-Reporter in Brasilien): Absolut nicht. Lahm ist für mich im 4-3-3 der optimale Sechser. Natürlich hatte er gegen Portugal einen schlimmen Ballverlust und gegen Ghana einen entscheidenden Fehlpass. Aber erstens geht das fehlerhafte Abspiel vor dem Gegentor auch auf Khediras Kappe und zweitens kann und wird er diese Fehler abstellen. Außerdem ist er mit seiner Stärke im Passspiel enorm wichtig für Deutschlands Aufbau. Hätte Klose kurz vor Schluss das 3:2 gemacht, würden jetzt alle über den Traumpass von Lahm davor sprechen.
Thomas Gaber (SPOX): Lahm zu unterstellen, ein mögliches Sicherheitsrisiko für die DFB-Elf zu sein, wäre Wahnsinn. Fakt ist aber, dass sich der Kapitän in den ersten beiden Spielen ungewöhnliche Fehler erlaubte und gegen Ghana in vielen Zweikämpfen auch körperlich extrem gefordert wurde. Ich persönlich sehe Lahm auf der Außenverteidigerposition lieber.
Daniel Reimann (SPOX): Da bin ich ganz bei Pep: Lahm ist auf keiner Position ein Risiko, sondern eine Waffe. Seine Wichtigkeit im Zentrum wegen eines großen Fehlers im Ghana-Spiel infrage zu stellen, ist purer Aktionismus. Kaum ein Spieler auf der Welt bringt eine derartige Spielintelligenz und Pressingresistenz mit wie Lahm, der gerade deshalb für die Sechser-Position prädestiniert ist. Er wird noch ein Schlüsselspieler bei dieser WM werden, solange sich Löw der überflüssigen Debatte um seine Person verwehrt.
mySPOX-User KingCantona: Philipp Lahm ist sicher kein Risikofall im Mittelfeld. Jedoch offenbarte sich gegen Ghana eine seiner wenige Schwächen. Die geballte Physis und Ausdauer des ghanaischen Mittefeldblocks zerrte ungemein an seinen Kräften und zwang ihn regelmäßig in körperbetonte Auseinandersetzungen, denen er nicht über 90 Minuten gewachsen war. Verbunden mit den extremen klimatischen Bedingungen, muss sich Löw überlegen, wie er in Zukunft mit Mannschaften umgeht, die mit ihrer körperbetonten Spielweise die deutsche Dreierreihe im Mittelfeld überdurchschnittlich fordern. Vielleicht könnte man Lahm ab Mitte der zweiten Halbzeit einen lauffreudigen Beschützer an die Seite stellen. Stichwort: Kramer.
Ist das 4-3-3 das richtige System für Deutschland?
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Braucht Deutschland offensivere Außenverteidiger?
Andreas Lehner (SPOX-Reporter in Brasilien): Hier unterscheidet sich Löws 4-3-3 elementar von Guardiolas Ausrichtung, wobei auch Boateng und Höwedes nicht extrem defensiv agieren. Höwedes hat zwar im Turnier noch keine Flanke geschlagen und Boateng erst zwei, aber das ist bei der offensiven Dreierreihe auch nicht zwingend nötig. Wichtiger ist, dass Götze und Özil auf Außen gut abgesichert sind. Und zwei Tore nach Ecken sprechen dafür, dass zwei kopfballstarke Spieler mehr bei Standards eine Waffe sind.
Thomas Gaber (SPOX): Jein. Boateng hat seine Offensivqualitäten schon oft genug bewiesen, beispielsweise im letzten Pokalfinale, als er Robbens Führungstor mit einem Ballgewinn tief in der Dortmunder Hälfte vorbereitete. In Löws 4-3-3 sind seine Vorstöße weniger gefragt als im Guardiola-System und mit Höwedes setzt Löw per se auf mehr Absicherung als auf Offensivdrang seiner Außenverteidiger. Ein bisschen mehr Mut könnte den deutschen Außenverteidigern aber nicht schaden, allein schon, um für Überraschungsmomente zu sorgen.
Daniel Reimann (SPOX): Definitiv! Die Idee, gegen Ghana die Innenverteidiger Höwedes und Boateng auf den Flügeln einzusetzen, brachte weder das erhoffte Plus an Zweikampfstärke auf den Außenpositionen noch ein Plus an Stabilität. Löw könnte alternativ auf die offensiver orientierten Durm und Großkreutz setzen. Sie verstehen es besser, auf den Flügeln Räume für Özil und Götze zu schaffen und sich ihnen als zusätzliche Anspielstation anzubieten. Das Mittelfeld-Dreieck Lahm/Khedira/Kroos bietet für etwaige Ausflüge der Außenverteidiger im Zweifel die nötige Absicherung.
mySPOX-User KingCantona: Mir gefällt Löws Idee. Das laufintensive Spiel das offensive Außenverteidiger pflegen, stößt in Brasilien in vielen Fällen an seine Grenzen. Immer wieder kommt es in den letzten 20 Minuten zu Toren, weil die meisten Außenverteidiger nicht mehr in der Lage sind, mit den anrennenden Flügelstürmern Schritt zu halten. Diesem Problem geht Löw aus dem Weg, indem er die Außenverteidiger Boateng und Höwedes nach hinten zieht und die Flügelläufe erst tiefer in der eigenen Hälfte unterbindet. Diese tiefen Läufe kosten die gegnerische Offensive wiederum unnötig Kraft und prallen in der Theorie an der Zweikampfhärte der gelernten Innenverteidiger ab. Alles in allem minimiert Löw das Risiko ausgekontert zu werden. Auch wenn ich zugeben muss, dass es vor allem Höwedes noch etwas an Balance in seinem Spiel fehlt.
Ist das 4-3-3 das richtige System für Deutschland?
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Müssen Schweinsteiger und Klose in die Startelf?
Kaum Einsatzzeit für Schürrle und Podolski: Macht Löw da einen Fehler?
Müssen Schweinsteiger und Klose in die Startelf?
Andreas Lehner (SPOX-Reporter in Brasilien): Beide sind noch nicht in bester Verfassung, 90 Minuten haben beide noch nicht drin. Aber fit ist Khedira auch nicht und machte bisher beide Spiele von Beginn an. Deshalb bin ich dafür, Schweinsteiger für Khedira zu bringen und Klose wieder von der Bank.
Thomas Gaber (SPOX): Schweinsteiger spielte gegen Ghana 20 Minuten und war nach Schlusspfiff ausgepumpt. Er hat nie und nimmer die Power für 90 Minuten, ich bezweifle, dass er überhaupt länger als eine Halbzeit durchhält, gerade gegen die laufstarken Amerikaner. Khedira ist im Spiel-Rhythmus und solle in der ersten Elf bleiben. Klose hat im Gegensatz zu Müller oder Götze Brecherqualitäten, die im Laufe des Turniers noch sehr wichtig werden können, auch von Beginn an.
Daniel Reimann (SPOX): Schweinsteiger hat die Pause gut getan. Er wirkte gegen Ghana hungrig und aggressiv - das habe ich bei ihm zuletzt vermisst. Er ist eine gute Startelf-Option statt Kroos, wenn Löw auf ein etwas zielstrebigeres Vertikalspiel setzen möchte. Im Fall Klose muss man differenzieren: Gegen Ghana hat man einen lauernden Strafraumstürmer gebraucht, gegen die USA werden eher die spielstarken Kräfte vonnöten sein. Er bleibt der Brecher von der Bank im Fall eines Rückstands.
mySPOX-User KingCantona: Auch wenn seine Saison von körperlichen Rückschlägen gezeichnet war, ist Schweinsteigers spielerische Präsenz für jede Mannschaft ein wichtiges Element. Außerdem scheint Khedira immer noch nicht bei 100% zu sein und unser kompaktes Mittefeld, bestehend aus drei zentralen Spielern, ist nicht zwangsläufig auf einen Zweikämpfer à la Khedira angewiesen ist. Klose hingegen verstehe ich viel mehr als Energizer von der Bank, der in Drucksituationen durch sein Kopfballspiel weitere Optionen bietet. Wie wichtig er sein kann, hat er gegen Ghana bewiesen.
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Kaum Einsatzzeit für Schürrle und Podolski: Macht Löw da einen Fehler?
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Andreas Lehner (SPOX-Reporter in Brasilien): Die geringe Einsatzzeit ist sicher auch den beiden verletzungsbedingten Einwechslungen von Mustafi geschuldet. Aber trotzdem kommt es überraschend, dass beide bisher nur gegen Portugal zu Kurzeinsätzen kamen. Beide machten in der Vorbereitung einen guten Eindruck. Ich würde gern einen der beiden statt Götze oder Özil gegen die USA sehen.
Thomas Gaber (SPOX): Es gab noch keine Notwendigkeit, sie mehr spielen zu lassen. Gegen Ghana war Deutschland auch ohne die beiden in der Schlussphase am Drücker und genügend Chancen, das Spiel noch zu gewinnen. Ich sehe es positiv: Podolski und Schürrle sind wie zwei Rennpferde, die mit den Hufen scharren und kaum einzufangen sind, wenn sie losgelassen werden.
Daniel Reimann (SPOX): Im Fall Podolski: Ja. Gegen die starke Physis der Ghanaer hätte ich Poldi gerne gesehen. Er hat die Power, um mal richtig über die Flügel durchzubrechen oder sich neben Müller als zweite, abschlussstarke Anspielstation im Zentrum anzubieten. Özil und Götze schienen im Kampf um Ball und Raum an Ghanas Verteidigern schlichtweg abzuprallen. Schürrle hingegen ist im DFB-Team weiterhin ein Top-Joker, der mit Dynamik und gutem Abschluss aus der zweiten Reihe in der zweiten Halbzeit wirbeln kann, wenn der Gegner ermüdet - mehr aber (noch) nicht.
mySPOX-User KingCantona: Ich bin mir sicher, einer der beiden Spieler hätte bereits gegen Ghana eingewechselt werden sollen. Einzig die Verletzung von Boateng verhinderte einen Einsatz. Vor allem wenn sich Özil und Götze weiter mit ihrem Außenbahnspiel schwer tun, muss Löw über Schürrle und Podolski nachdenken. Zumal auch beide die Fähigkeiten haben, um in engen Situationen in die Sturmspitze beordert zu werden. Gerade in Sachen Torabschluss sind sie stärker als die aktuellen Stammkräfte. Trotzdem haben wir erst zwei Spiele mit deutscher Beteilung gesehen und es wird noch genug Einsatzschancen für die beiden geben.
Ist das 4-3-3 das richtige System für Deutschland?
Kapitän Lahm in der Kritik: Ist er im Mittelfeld ein Risiko?
Braucht Deutschland offensivere Außenverteidiger?
Müssen Schweinsteiger und Klose in die Startelf?
Kaum Einsatzzeit für Schürrle und Podolski: Macht Löw da einen Fehler?