Der Ausfall von Michael Ballack vor der WM 2010 spülte Sami Khedira in die Mannschaft. In Deutschland ging damals die Angst um, die Nationalmannschaft würde ohne ihren Kapitän und Anführer grandios scheitern. Es kam bekanntlich anders. Das DFB-Team fegte in Achtel- und Viertelfinale über England und Argentinien hinweg und scheiterte erst im Halbfinale an Spanien.
Deutschland überzeugte mit kompakter Defensive und schnellem Konterspiel, die teilweise begeisternden Auftritte lösten auch vier Jahre nach der Heim-WM eine Euphorie aus. Die Grundlage für das deutsche Spiel schaffte die Mittelfeldzentrale, in der sich Ballack-Ersatz Khedira und Bastian Schweinsteiger bestens ergänzten.
Löw folgt van Gaal
Schweinsteigers Rolle wurde vor dem Turnier kaum noch hinterfragt, dabei hatte der Bayer gerade erst seine Versetzung ins defensive Mittelfeld erlebt. Der damalige Bayern-Trainer Louis van Gaal holte Schweinsteiger vom Flügel ins Zentrum und coachte die Bayern so zum nationalen Double und ins Champions-League-Finale.
Bundestrainer Joachim Löw folgte diesem Beispiel erstmals drei Monate vor Beginn der WM 2010 in einem Testspiel gegen Argentinien. Zuvor kam Schweinsteiger über den rechten Flügel, im Zentrum spielten entweder Ballack, Simon Rolfes, Thomas Hitzlsperger oder Torsten Frings.
Schweinsteiger führte bei der WM glänzend Regie, während Khedira mit seiner körperlichen Präsenz überzeugte.
Blaupause des FC Bayern
Auch vier Jahre später scheint die personelle Entwicklung im Mittelfeld des FC Bayern sich als Blaupause auf die Nationalmannschaft zu übertragen. Trainer Pep Guardiola hat Philipp Lahm von der Rechtsverteidigerposition die überwiegende Zeit abgezogen und ins Mittelfeld gestellt.
Noch im Oktober 2013 bezeichnete Löw Lahm als "besten Außenverteidiger der Welt", er plane mit dem Kapitän weiterhin rechts hinten, er wolle sich keine neue Baustelle aufmachen. Im November spielte Lahm gegen Italien im Mittelfeld und seitdem nicht mehr von Beginn an rechts hinten.
Auch im Testspiel gegen Armenien lief er als zentraler Mann vor der Abwehr auf. "Wenn man im letzten Spiel vor einer WM auf einer Position spielt, spielt man da normalerweise auch im Turnier", sagte Lahm hinterher. Konkreter wurde er auch am Dienstag auf der Pressekonferenz nicht.
Lahm hat wie Khedira und Schweinsteiger die Vorbereitung nicht fristgerecht aufnehmen können. Eine Knöchelverletzung aus dem Pokalfinale machte ihm knapp zwei Wochen zu schaffen. Mittlerweile sind die Probleme überwunden, er ist körperlich in besserer Verfassung als die Kollegen Khedira und Schweinsteiger, die die komplette Saison über mit schweren oder kleineren Verletzungen zu tun hatten.
Mit Lahm zum 4-3-3
Auch Löw wollte sich zuletzt nicht mehr so klar festlegen wie noch im Oktober. Trotzdem scheint Lahms Rolle klar, er wird im Mittelfeld beginnen. Das war zumindest in den ersten Trainingseinheiten zu beobachten. Allerdings dürfte diese Personalie auch Auswirkungen auf die komplette Statik der Mannschaft haben.
Lahm ist als alleiniger Sechser in einem Mittelfeld-Dreieck besser aufgehoben als auf der Doppelsechs. Das bewährte 4-2-3-1 wäre damit gesprengt, das bei Bayern etablierte 4-3-3 käme zum Einsatz. Löw testete diese Variante gegen Armenien.
Das würde auch Toni Kroos entgegenkommen, der sich auf der Halbposition wohler fühlt als als offensiver Part der Doppelsechs und dabei auch noch einen Spielmacher wie Mesut Özil absichern muss. Und Kroos' Chancen auf einen Platz in der Startelf stehen gut. Er hat als einziger der Kandidaten für diese Positionen die Vorbereitung bisher ohne Probleme absolviert.
Kroos scheint gesetzt
Ein möglicher Leidtragender dieser Anordnung könnte Özil sein, dessen Position abgeschafft werden würde. Für Löw ist der Arsenal-Spielmacher aber immer auch eine Option für die Position des Stürmers, ebenso wie Mario Götze.
Dass Kroos und Khedira dagegen die Doppelsechs hinter dem Spielmacher Özil bilden, scheint unwahrscheinlich. Das zeigte beim defensiven Umschaltspiel gegen Kamerun erhebliche Probleme im Schließen des Zentrums.
Es bliebe damit noch eine Position für Khedira oder Schweinsteiger. Khediras Auftritt gegen Armenien hat gezeigt, dass er mit dieser Rolle doch recht fremdelt, Schweinsteiger wäre besser geeignet. Die Besetzung bleibt eine Frage der Fitness.
Verdichtung von Führungskräften
Ohnehin hat Löw bei seiner Kadernominierung bei Khedira zwar von einer Ausnahme gesprochen, aber mindestens auch bei Schweinsteiger ein Auge zugedrückt. Der Bundestrainer wollte auf die im internationalen Fußball gewachsenen Persönlichkeiten bei diesem Turnier nicht verzichten, sie sollen die junge Zocker-Generation um Mesut Özil und Mario Götze erden und ihre Erfahrung weitergeben.
"Bei der Zusammensetzung des Kaders ging es uns auch um die richtige Mischung aus Erfahrung auf der einen sowie Unbekümmertheit und Frische auf der anderen Seite", sagt Löw.
Lahms Versetzung ins Mittelfeld hat auch zu einer Verdichtung von Führungskräften geführt. Der Kapitän, sein Stellvertreter Schweinsteiger und der laut Löw "charismatische Leader" Khedira kämpfen um die Plätze. Einen wird er zumindest zu Turnierbeginn auf die Bank setzen müssen.
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