"Löw misst mit zweierlei Maß"

Thomas GaberAndreas LehnerJochen Tittmar
04. Juni 201410:39
Bundestrainer Joachim Löw geht mit einem Kader voller Fragezeichen in die WMgetty
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Bundestrainer Joachim Löw hat seinen endgültigen 23-Kader für die WM 2014 in Brasilien benannt. Marcel Schmelzer, Kevin Volland und Shkodran Mustafi waren die letzten Streichkandidaten. Ist das Aufgebot ausgewogen zusammengestellt? Hat Löw zu viele angeschlagene Spieler dabei? Und was ist eigentlich mit Mesut Özil los? Im Panel geben die SPOX-Redakteure Thomas Gaber, Andreas Lehner, Jochen Tittmar und mySPOX-User Dino_Thunder ihre Meinung ab.

Hat Löw zu viele verletzte oder angeschlagene Spieler dabei?

Thomas Gaber (SPOX): Neuer und Lahm sind absolut unverzichtbar. Khedira und Schweinsteiger sind als Persönlichkeiten wichtig und können ein Turnier prägen. Und Klose ist es bislang immer gelungen, rechtzeitig zu einer EM oder WM in Form zu kommen. Löw geht zweifellos ein Risiko ein, allerdings sind die Verletzungen der Spieler nicht so gravierend. Bis zum ersten Spiel haben alle noch zwei Wochen Zeit.

Andreas Lehner (SPOX): Auf jeden Fall hat Löw seine angekündigte, knallharte Linie ziemlich schnell aufgeweicht. Das "Turnier der Extreme" wird nicht mit den fittesten Spieler bestritten. Vor allem sein Festhalten an Khedira ist für mich ein Risiko. Khedira ist weit weg von seiner besten Verfassung und könnte eher zur Belastung als zum Stützpfeiler der Elf werden. Ich glaube nicht, dass er im besten Fall sieben Spiele auf höchstem Niveau spielen kann. Löw misst hier mit zweierlei Maß. Unter diesen Umständen hätte er auch Gomez nominieren können. SPOX

Jochen Tittmar (SPOX): Es ist in jedem Fall ein Risiko, auf die vollständige Genesung aller Spieler zu hoffen, die momentan nicht bei 100 Prozent ihrer Leistungsfähigkeit sind. Allerdings sind fast ausschließlich potentielle Stammspieler angeschlagen - daher halte ich Löws Entscheidung für nachvollziehbar. Seine Improvisationskünste werden definitiv gefragt sein.

Dino_Thunder (mySPOX User): Quantitativ nein, aber dass fast alle Schlüsselspieler angeschlagen sind, ist besorgniserregend. Khedira ist zwar physisch fit, ihm fehlt aber die Spielpraxis und die Form; mit Schweinsteiger ist auch der zweite Stammsechser angeschlagen und Lahm, der einen der beiden Plätze übernehmen könnte, ist ebenfalls nicht fit. Auch Klose ist nicht bei 100 Prozent. Es fehlt ausgerechnet auf diesen Positionen an äquivalenten Alternativen. Der Ausfall eines offensiven Mittelfeldspielers etwa könnte deutlich besser kompensiert werden.

Frage 1: Hat Löw zu viele verletzte oder angeschlagene Spieler dabei?

Frage 2: Schmelzer raus, Durm dabei: Die richtige Entscheidung?

Frage 3: Wo soll Kapitän Philipp Lahm spielen?

Frage 4: Muss Löw seinen Stammplatz für Özil überdenken?

Frage 5: Ist das Risiko mit Klose als einzig echtem Stürmer zu groß?

Schmelzer raus, Durm dabei: Die richtige Entscheidung?

Thomas Gaber (SPOX): Ja. Durm hat in der Rückrunde bei Borussia Dortmund gerade in den großen Spielen gegen Bayern München und Real Madrid überzeugt. Durm ist defensiv auf einem Level wie Schmelzer und offensiv stärker. Durm ist unbekümmert und braucht nicht viel Eingewöhnungszeit, da er mit den gesetzten Mats Hummels und Marco Reus zwei Klubkollegen an seiner Seite hat.

Andreas Lehner (SPOX): Löws Begeisterung für Schmelzer hat sich schon immer in Grenzen gehalten. Da er jetzt auch nicht wirklich fit ist und Durm einen ordentlichen Eindruck hinterlassen hat, kommt seine Ausbootung nicht völlig unerwartet. Ich hätte Schmelzer mitgenommen, weil ich lieber einen Linksfuß als Linksverteidiger sehe und mir die von Löw genannte Alternative mit Höwedes links hinten nicht gefällt.

Jochen Tittmar (SPOX): Schmelzer hatte zuletzt immer wieder Verletzungsprobleme, Durm hat in dieser Saison beinahe ausschließlich überzeugt. Rein sportlich kann ich die Entscheidung verstehen. Da Großkreutz und Höwedes auf links bei einer WM aber für mich nicht denkbar sind, frage ich mich schon, weshalb Löw bei den anderen angeschlagenen Spielern quasi eine Ausnahme macht und beim erfahrensten Linksverteidiger im Kader nicht - zumal Schmelzer laut Löw eine hohe Belastung nach seiner Knieprellung wieder toleriert habe.

Dino_Thunder (mySPOX User): Als Dortmunder muss ich zugeben, dass Schmelzer - auch teilweise verletzungsbedingt - keine gute Saison hatte und seine Auftritte in der Nationalmannschaft auch keine Offenbarung waren. Berücksichtigen wir den aktuellen Formstand, dann ist die Wahl Durm für Schmelzer absolut nachvollziehbar. Es stellen sich mir aber zwei Fragen:

1. Durm hat gerade mal sieben Einsätze in der Champions League und ein Spiel im DFB-Dress absolviert. Hat er überhaupt die Erfahrung und die damit verbundene Qualität, bei einer WM zu bestehen?

2. Wer spielt links, wenn Durm sich verletzt, gesperrt ist oder das Niveau nicht halten kann? Lahm will nicht. Bleibt noch Großkreutz, der die Position übernehmen könnte. Schmelzer hätte man zumindest als Alternative mitnehmen können.

Frage 1: Hat Löw zu viele verletzte oder angeschlagene Spieler dabei?

Frage 2: Schmelzer raus, Durm dabei: Die richtige Entscheidung?

Frage 3: Wo soll Kapitän Philipp Lahm spielen?

Frage 4: Muss Löw seinen Stammplatz für Özil überdenken?

Frage 5: Ist das Risiko mit Klose als einzig echtem Stürmer zu groß?

Wo soll Kapitän Philipp Lahm spielen?

Thomas Gaber (SPOX): Das hängt von seinem körperlichen Zustand ab. Als Rechtsverteidiger kann er bei eingeschränkter Fitness weniger "kaputtmachen" als im Mittelfeld. Fest steht, dass der Kapitän spielen muss, wenn es irgendwie geht. Da Boateng für mich in der Innenverteidigung besser aufgehoben ist, sehe ich nur Großkreutz als Alternative rechts in der Viererkette. Andernfalls muss Lahm vorrücken, wenn Schweinsteiger und Khedira nicht fit werden.

Andreas Lehner (SPOX): Da ich Zweifel an Khediras Turnierhärte habe, führt kein Weg an Lahm im Mittelfeld vorbei. Für Kramer kommt eine tragende Rolle bei der WM noch zu früh und das Duo Schweinsteiger/Kroos ist zu offensiv. Lahm mit Schweinsteiger oder Kroos halte ich für die beste Lösung. Zumal Großkreutz rechts hinten solide spielen kann.

Jochen Tittmar (SPOX): Als Rechtsverteidiger. Sollte Khedira keinen eklatanten Rückschlag erleiden, wird Löw auf ihn setzen. An seiner Seite im defensiven Mittelfeld sehe ich Kroos eher als Lahm - auch, um die Viererkette mit einem erfahrenen Mann noch weiter zu stabilisieren. Ein Mittelfeld ohne Lahm verträgt die DFB-Elf eher als eine Abwehrreihe ohne ihn.

Dino_Thunder (mySPOX User): Ganz klar als rechter Außenverteidiger. Weltklasseaußenverteidiger sind selten geworden, Philipp Lahm ist einer der wenigen, die in diese Kategorie gehören. Nur bei einem Ausfall von Khedira UND Schweinsteiger sollte Löw Lahm als Sechser in Erwägung ziehen.

Frage 1: Hat Löw zu viele verletzte oder angeschlagene Spieler dabei?

Frage 2: Schmelzer raus, Durm dabei: Die richtige Entscheidung?

Frage 3: Wo soll Kapitän Philipp Lahm spielen?

Frage 4: Muss Löw seinen Stammplatz für Özil überdenken?

Frage 5: Ist das Risiko mit Klose als einzig echtem Stürmer zu groß?

Muss Löw seinen Stammplatz für Özil überdenken?

Thomas Gaber (SPOX): Auf jeden Fall. Deutschland kann es sich nicht leisten, einen Spieler ein ganzes Turnier lang mitzuziehen. Und das scheint bei Özil derzeit notwendig. Löw forderte von ihm seine Körpersprache auf dem Platz zu ändern, doch Özil muss erstmal seine Form finden. In der jetzigen ist er ein Hindernis und hat in der Startelf nichts zu suchen, zumal gerade im offensiven Mittelfeld genügend Alternativen vorhanden sind.

Andreas Lehner (SPOX): Özil hat in dieser Form keine Berechtigung in der Startelf. Er hat mehr mit sich selbst zu tun und kann dem Spiel kaum Impulse geben. Seine Körpersprache gegen Kamerun war eine Katastrophe. Reus und Müller müssen für mich in der offensiven Dreierreihe gesetzt sein, am besten mit Reus im Zentrum. Dazu Götze, Schürrle oder Kroos. Özil liegt für mich in diesem Ranking zurzeit nur auf Rang sechs.

Jochen Tittmar (SPOX): Ja. Özils letzte Auftritte haben mir gar nicht gefallen. Seine Körpersprache war teilweise fatal und er verlor sich irgendwie im Raum, ohne entscheidenden Zug zum Tor. Reus brillierte zuletzt im Verein auf dieser Position, weil er dort genau das machte, was Özil momentan abgeht: Er hat Räume geöffnet und war selbst torgefährlich. Für mich wäre er der ideale Mann im Zentrum.

Dino_Thunder (mySPOX User): Ich bin mir sicher, dass Löw dies nach ein oder zwei schwachen Auftritten bei der WM und dem zu erwartenden medialen Druck zumindest erwägen wird. Problem dabei sind auch wieder die Alternativen: Götze ist momentan etwas unkonstant, Kroos nicht der ideale Zehner und Reus trotz der Dortmunder Rückrunde nicht der Spielgestalter, den man da gerne sieht. Noch hat Özil seinen Stammplatz sicher, aber zum erstmals nach vier Jahren wackelt dieser ein wenig.

Frage 1: Hat Löw zu viele verletzte oder angeschlagene Spieler dabei?

Frage 2: Schmelzer raus, Durm dabei: Die richtige Entscheidung?

Frage 3: Wo soll Kapitän Philipp Lahm spielen?

Frage 4: Muss Löw seinen Stammplatz für Özil überdenken?

Frage 5: Ist das Risiko mit Klose als einzig echtem Stürmer zu groß?

Ist das Risiko mit Klose als einzig echtem Stürmer zu groß?

Thomas Gaber (SPOX): Nein, da sich Löw in den letzten Monaten immer mehr mit der falschen Neun angefreundet hat und dafür mit Götze, Müller und Reus reichlich Spieler zur Verfügung hat. Müller hat bei Bayern auch schon als echte Neun funktioniert. Klose kennt seinen Körper genau und könnte ein Faktor werden bei der WM. Er benötigt nur ein Tor, um den Rekord von Ronaldo (15 WM-Treffer) zu egalisieren. Es wird ihm gelingen.

Andreas Lehner (SPOX): Klose wird zum Turnierstart 36 Jahre alt sein. Für ihn spricht, dass er trotz seines Alters schnell zu körperlicher Stärke findet und in der Vergangenheit bewiesen hat, dass er zu Turnieren in Top-Form ist. Löw hat immer wieder mit der falschen Neun experimentiert, mal mit Götze, mal mit Özil, mal mit Müller, geklappt hat es nur selten. Wenn Klose nicht fit wird, hat Deutschland ein Problem.

Jochen Tittmar (SPOX): Nein, zumal Volland ja auch nicht als Vollblutstürmer durchgeht. Löw wird zunächst auf Nummer sicher gehen und mit der zu erwartenden Formation ins Auftaktmatch gehen - mit Miro vorne drin. Er ist beweglich, unterstützt beim kombinieren und lässt sich fallen. So weit ist Klose für mich daher nicht von der falschen Neun entfernt. Sollte das Spiel doch einmal an Klose vorbeigehen, kann Löw mit den falschen Neunern Götze, Müller oder Reus reagieren.

Dino_Thunder (mySPOX User): Ich bin kein Freund der falschen Neun, ich bin da eher Romantiker und möchte lieber den Vollblutstürmer sehen. Außerdem sehe ich nicht den ganz großen Erfolg dieser Variante, wenn man mal von den Spaniern absieht, die aber auch nicht immer auf die falsche Neun gesetzt haben. Das Risiko ist taktischer Natur, da die Gefahr besteht, dass die Möglichkeiten ausgehen. Klose kennt jeder Nationaltrainer der Welt in- und auswendig, ob Müller als Sturmspitze funktioniert, weiß auch niemand - und die letzten Experimiente mit der falschen Neun schlugen mehr oder minder fehl. Irgendwie drängt sich der Eindruck auf, dass man nur das System mit Klose spielen kann und man dann leicht auszurechnen und unflexibel ist. Deshalb hätte ich lieber noch einen zweiten klassischen Stürmer im Kader gesehen.

Frage 1: Hat Löw zu viele verletzte oder angeschlagene Spieler dabei?

Frage 2: Schmelzer raus, Durm dabei: Die richtige Entscheidung?

Frage 3: Wo soll Kapitän Philipp Lahm spielen?

Frage 4: Muss Löw seinen Stammplatz für Özil überdenken?

Frage 5: Ist das Risiko mit Klose als einzig echtem Stürmer zu groß?