"Löw hat Unglaubliches geleistet"

Christoph Daum (l.) beim WM-Gruppenspiel zwischen Deutschland und Ghana
© getty

Christoph Daum war als Trainer bereits in Deutschland, Belgien, Österreich und in der Türkei tätig. Vor dem WM-Finale sprach der 60-Jährige mit SPOX über den Auftritt der deutschen Nationalmannschaft in Brasilien, die akribische Erfolgsplanung Joachim Löws und die damit eng verbundene Bedeutung der Bundesligatrainer.

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SPOX: Herr Daum, wie bewerten Sie den bisherigen Auftritt und die Leistung der deutschen Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Brasilien?

Christoph Daum: Zunächst muss man betonen, dass der Grundstein für den Erfolg der deutschen Nationalmannschaft und der damit verbundene Finaleinzug schon vor mehr als zwei Jahren gelegt wurde. Joachim Löw und vor allem Oliver Bierhoff haben sich intensiv mit der Auswahl des WM-Quartiers beschäftigt und die medizinische Abteilung hat sich auf die Besonderheiten und Gegebenheiten dieses Landes eingestellt. Das zahlt sich jetzt natürlich aus. Die Spieler fühlen sich sicher, gut betreut und sind auf alle Eventualitäten vorbereitet.

SPOX: Bisher schien die Mannschaft auch auf jeden Gegner gut vorbereitet.

Daum: Das ist der Scouting-Abteilung und dem gesamten Team um den Bundestrainer zu verdanken. Noch am Tag der Gruppenauslosung wurde damit begonnen, jeden Gegner zu analysieren und taktisch ähnliche Mannschaften für die Vorbereitungsspiele zu suchen - nicht nur für die Gruppenspiele, sondern auch für die möglichen Gegner in der K.o.-Runde. Dass wir im Finale stehen, ist die logische Konsequenz einer absolut akribischen Erfolgsplanung.

SPOX: Die Außenwahrnehmung Löws war im Vorfeld der WM nicht die beste. Können Sie dies nachvollziehen?

Daum: Nein, das sehe ich komplett anders. Ich nehme einige Dinge zur Kenntnis, ohne allerdings zu sagen, dass ich sie verstehe. Joachim Löw hat eine gewisse Eigenart, die sich aber eigentlich in einer absolut positiven Bilanz niederschlägt. Was bisher fehlt, ist die Krönung dieser exzellenten Arbeit durch einen Titel. Hätte er den bereits geholt, hätte es auch die ganzen Kommentare im Vorfeld dieses Turniers nicht gegeben.

SPOX: Mittlerweile ist sein Standing ein anderes.

Daum: Das ist ja typisch. Gerade nach dem 7:1 hat auf einmal jeder schon vorher gewusst, dass Löw alles richtig macht. Für mich war das schon immer so. Er hat den Umbau der Nationalmannschaft gemeinsam mit Jürgen Klinsmann eingeleitet und der DFB-Elf in den letzten acht Jahren ein ganz neues Erscheinungsbild verpasst. Zudem ist er sehr flexibel und immer in der Lage, seine Taktik abhängig vom Gegner individuell zu verändern.

SPOX: Eine solche Maßnahme, die Manndeckung Andrea Pirlos durch Toni Kroos und der Verzicht auf Marco Reus im Halbfinale der EM 2012, wurde ihm lange vorgeworfen.

Daum: Löw weiß selber, dass seine damalige Entscheidung nicht so gelaufen ist, wie er sich das vorgestellt hat. Aber daraus hat er gelernt und bei diesem Turnier die taktischem Umstellungen gewählt, die nötig waren, um das Endspiel zu erreichen. Nochmal: Joachim Löw hat Unglaubliches für den deutschen Fußball und das Ansehen Deutschlands in der ganzen Welt getan. Außerhalb von Deutschland ist sein Ruf auch ein ganz anderer. Viele Länder würden ihn gerne als ihren Nationaltrainer sehen.

SPOX: Bisher behielt Löw auch mit der Benennung von Benedikt Höwedes als Linksverteidiger, einer Personalentscheidung, die öffentlich häufig diskutiert wurde, Recht.

Daum: Für mich spielt Höwedes ein wirklich gutes Turnier. Er interpretiert seine Rolle nur sehr defensiv, weil dort seine Stärken liegen. Dass die Wahl auf ihn gefallen ist, ist aber auch den fehlenden Alternativen geschuldet. Dank der ausgezeichneten Jugendarbeit verfügt Deutschland über eine Vielzahl von jungen und guten Spielern für fast alle Positionen - außer linke Verteidiger. Da müssen wir uns selber in den Nachwuchsleistungszentren ein bisschen an die Brust klopfen und dort noch weitere Spieler gezielt für diese Position ausbilden.

SPOX: Ist diese Fülle an Talenten, auf die der Bundestrainer zurückgreifen kann, auch ein Verdienst der Bundesligatrainer?

Natürlich. Da ist in erster Linie Jürgen Klopp zu nennen, der bei Borussia Dortmund etliche Talente geformt und weiterentwickelt hat. Auch bei Bayern, Gladbach, Mainz und Freiburg wird hervorragende Nachwuchs- und Integrationsarbeit geleistet. In der Bundesliga wird vielen jungen Spielern das Vertrauen geschenkt, auch in sehr wichtigen Partien. Diese Erfahrung spürt man jetzt auch bei der Weltmeisterschaft - die Jungs wirken sehr unaufgeregt und wissen, worauf es in Finalspielen ankommt.

SPOX: Das gilt sicher auch für Löw, der bei den letzten vier Turnieren immer mindestens das Halbfinale erreichen konnte. Was für eine deutsche Mannschaft erwarten Sie im Endspiel?

Daum: Ich erwarte eine DFB-Elf, die immer wieder Druck auf den Gegner ausüben wird, um in Ballbesitz zu kommen. Gleichzeitig wird Deutschland auch das agierende Team sein und mit schnellen Kombinationen immer wieder den Weg nach vorne suchen. Die Mannschaft ist aber so reif, dass sie hier die richtige Balance finden wird, um gefährliche Konter zu verhindern. Argentinien ist stark und besteht keinesfalls nur aus Lionel Messi, aber wir haben eine taktisch hervorragend eingestellte Mannschaft, die um ihr Leistungsvermögen weiß, und sich den Titel wirklich verdient hat.

Deutschlands Weg ins Finale