Frage: Herr, Bierhoff. Sie waren verantwortlich für die Auswahl des Quartiers Campo Bahia, das von allen sehr gelobt wird. Ist hier alles perfekt?
Oliver Bierhoff: Wichtig sind die sportlichen Ergebnisse. Wenn du nicht weiterkommst, ist egal, wie das Quartier war. Es hat sich eingestellt, was wir erhofft hatten: Wir kommen immer zusammen, können kommunizieren, keiner wird ausgeschlossen. Und das unter freiem Himmel, wir müssen nicht in irgendwelchen Räumen sitzen. Wir spüren den Kontrast, wenn wir an den Spielorten in den Teamhotels sind: Alle sauber, alle in Ordnung - aber du hängst da zwei Tage. Perfekt wäre es im Campo, wenn es in einer halben Stunde Entfernung noch eine schöne Ablenkung gäbe, eine Stadt etwa, um den Kopf mal freizubekommen.
Frage: Passt das Campo zur momentanen Stimmungslage der Mannschaft: Wir da drinnen müssen uns vor der überkritischen Welt draußen abschirmen?
Bierhoff: Die Frage haben Sie mir wahrscheinlich schon vor 20 Jahren als Spieler gestellt. 1996 als Europameister waren wir im Quartier abgeschlossen, angefangen hat das doch unter Franz Beckenbauer, ich kenne es nicht anders. Und wenn es nicht so wäre, würde ich es durchsetzen, da hätte ich keine Skrupel. Die Schweizer sind in einem öffentlichen Hotel gewesen, die waren genervt, dass sie wegen der Touristen nicht aus den Zimmern rauskonnten. Stellen Sie sich vor: Jogi Löw führt ein Gespräch mit einem Spieler und wird von einem Hotelgast unterbrochen. Wenn man zu offen ist, verliert man Energie.
Frage: Die Frage zielt auf etwas anderes ab: Darauf, dass sich die Mannschaft offenbar unverstanden fühlt, weil sie nicht für den Einzug ins Viertelfinale gelobt, sondern für ihre Vorstellung kritisiert wurde. Nun formiert sie sich zur Wagenburg.
Bierhoff: Man hat das Gefühl, es ist keine grundpositive Freude da, dass man weitergekommen ist. Das hängt generell mit uns Deutschen zusammen. Ich muss schmunzeln: Es ist bei jedem Turnier das gleiche. Das erste Spiel, das 4:0 gegen Portugal, wurde total überbewertet, da musste man aufpassen, dass es nicht heißt, wir sind schon Weltmeister; da fragt man uns nach den Finalplanungen. Vor dem dritten Spiel hatten wir dann schon Sorge, Nervosität, Panik - das passiert aber alles nur um uns herum. In der Mannschaft selbst ist es relativ ruhig. Die Spieler wissen, was gut, was schlecht war.
Frage: Nicht nur das DFB-Team hat im Achtelfinale als klarer Favorit Souveränität vermissen lassen.
Bierhoff: Der offene Schlagabtausch ist ein Phänomen des gesamten Turniers. Obwohl man dachte, alle würden sich verschließen. Dazu die vielen Fehler. Holland muss gegen Mexiko eigentlich in die Verlängerung oder sogar verlieren. Argentinien macht in der 118. Minute das Tor, lässt im Gegenzug einen Schweizer Kopfball zu, der drin sein müsste, hat nochmal den Ball, ein erfahrener Spieler wie Angel di Maria könnte zur Eckfahne spazieren, doch er schießt aufs Tor - und die Schweiz bekommt noch einmal einen Freistoß. Oder die Schlussphase im Spiel USA gegen Belgien... Das gibt's doch nicht. Ich habe mich auch über unser Gegentor gegen Algerien geärgert.
Frage: Die Mannschaft betreibt einen enormen Aufwand, ist in vier Spielen 470 Kilometer gelaufen, braucht aber sieben Versuche für ein Tor. Stimmt da die Relation?
Bierhoff: Analysieren wir das Algerien-Spiel. Manuel Neuer musste im Strafraum nur zweimal parieren - das ist eine Statistik wie in einem Bayern-Spiel. Was wir dagegen für Chancen hatten durch Schweinsteiger oder Müller. Das Problem generell sind unnötige Ballverluste, die uns zu weiten Wegen zwingen. Es wird auch häufig von den Trainern angesprochen, man solle darauf achten, nach einem Eckball keinen Konter zu bekommen - und dann passiert's doch.
Frage: Ändert sich das denn noch?
Bierhoff: Ich habe das Gefühl, dass wir das erste Mal in diesem Turnier gegen Frankreich nicht als Favorit ins Spiel gehen. Auf der anderen Seite ist eine Mannschaft, die auch etwas zu verlieren hat und entsprechend angreifen muss.
Frage: Ist die Diskussion um Philipp Lahms Position berechtigt oder nur populistisch?
Bierhoff: Klar ist sie berechtigt. Doch ich wundere mich, dass Jogi Sturheit vorgeworfen wird. Er trifft eine Entscheidung nicht, um es jemandem zu zeigen, er will wie jeder andere Trainer die optimale Aufstellung. Pep Guardiola hat Philipp oft ins Mittelfeld gestellt, also kann das nicht so abwegig sein. Ich weiß nicht, wie die öffentliche Reaktion gewesen wäre, wenn wir im Trainingslager in Südtirol angekündigt hätten, dass wir mit Khedira und Schweinsteiger nach ihren Verletzungspausen als fester Mittelfeldbesetzung in die WM gehen. Wir haben im zweiten Spiel gesehen, wie schlecht Sami das erste verkraftet hat. Man denkt als Trainer an Varianten, etwa daran, die Abwehrprobleme, die wir hatten, mit vier gelernten Innenverteidigern abzustellen. Ich weiß, dass die Varianten vor jedem Spiel diskutiert werden. Und wir haben Leute wie Philipp Lahm, den kannst du auch links hinstellen, da spielt er die gleiche Partie. Es ist schwer: Wenn Jogi jetzt was ändert und es dann schlecht läuft, heißt es, er hat seine Linie verloren. Als Trainer willst du auch nicht zu viel experimentieren.
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