Julian Draxler spielt manchmal wie ein Rastloser, immer ein wenig getrieben. Aber warum eigentlich? Er ist 21 Jahre jung. Spieler seines Alters durften sich früher glücklich schätzen, ein paar Minuten Bundesligaluft zu erhaschen. Ansonsten waren sie Laufburschen, Mädchen für alles und in der Hierarchie einer Mannschaft ganz unten angesiedelt.
Nun haben sich die Zeiten zum Glück verändert. Und trotzdem stellt Draxler auch im schnelllebigen Profibetrieb noch eine sehr seltene Ausnahme dar. Er war Schalkes jüngster Bundesligaspieler (17 Jahre und 117 Tage), hat als jüngster die 100-Spiele-Schallmauer durchbrochen, ist zweitjüngster Bundesligatorschütze und jüngster in einem DFB-Pokalfinale und einem Spiel der Champions League.
Die Fritz-Walter-Medaille in Gold hängt auch irgendwo in seiner Wohnung. Und beim Testspiel gegen Polen vor der WM führte er die deutsche Nationalmannschaft als jüngster Kapitän aller Zeiten auf den Platz.
Großes Talent - nur Ersatz
14 Einsätze hat er für Deutschland bisher absolviert, sechs davon von Beginn an. Die meisten davon gegen kleinere Gegner oder in Testspielen. Im Normalfall, wenn also nahezu alle Spieler fit sind, bleibt Draxler ein Platz auf der Bank. Dabei wird auch er immer genannt, wenn es um die größten Talente des Landes geht.
Sein Name steht im Zusammenhang mit denen von Mario Götze oder Marco Reus. Es ist die Generation der Frühreifen, die mit Anfang 20 schon so weit sind wie andere mit Ende 20 noch nicht. Die den Fußball jünger, schneller, noch dynamischer machen. Götze ist seit diesem Sommer eine immerwährende Figur des deutschen Fußballs, Reus wurde noch als Mittelfeldspieler von Borussia Mönchengladbach zu Deutschlands Fußballer des Jahres gewählt.
Und weil es heute auch um mediale Aufmerksamkeit geht und die sich irgendwann in welcher Form auch immer versilbern lässt, spielen diese Einzelnachweise im Mannschaftssport Fußball eben auch eine Rolle. Julian Draxler ist davon noch ein wenig entfernt. Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass sein Spiel etwas verkrampft erscheint.
Nicht besonders konstant
Sein Ex-Trainer Jens Keller beschied ihm eine etwas laxe Einstellung zu seinen Defensivaufgaben und diese gewisse Inkonstanz, die sich oft derart äußert, dass er sich in den großen, wichtigen Spielen sehr gut fokussieren kann - um dann in der nächsten Partie wieder fahrig und schludrig zu spielen.
In dem ziemlichen Wirrwarr auf Schalke in den letzten Monaten hat auch er ein bisschen die Orientierung verloren und bisher an eine eher durchwachsene letzte Saison angeknüpft.
Nach dem steilen Aufstieg in den beiden Jahren davor ist ein Leistungseinbruch bei einem jungen Spieler eine völlig normale Sache. Draxlers Stagnation zieht sich nun aber schon ziemlich in die Länge. Dass er in dieser Spielzeit bei seinen zehn Einsätzen für Schalke kein einziges Spiel gewinnen konnte, ist wohl eher Zufall. Aber es passt auch ein wenig ins Bild.
Führungsanspruch und Druck
Vor der Saison hat er verkündet, dass er von nun an noch mehr Verantwortung auf dem Platz übernehmen wolle. "Ich will Führungsspieler sein", sagte er da. Vielleicht muss man sich so äußern als Weltmeister, der dazu noch für den Klub spielt, der ihn ausgebildet und groß gemacht hat. Dem er dafür etwas zurückzahlen will. Und sich dabei dann doch bloß selbst unnötig unter Druck setzt.
Sein Führungsanspruch war schon früh sehr ausgeprägt. "Mit 17 war ich der Schüler innerhalb der Mannschaft. Jetzt vertrete ich auf den Mannschaftssitzungen meine Meinung und widerspreche auch mal einem Kollegen. Ich fühle mich akzeptiert, auch in der neuen Führungsrolle", sagte er im Frühjahr 2013, da war er 19 Jahre alt.
Auf der einen Seite ist er schon so erwachsen, wie er sich gibt. Und trotzdem gibt es noch den jungen Spieler, der sich beeindrucken lässt von dem ganzen Bohei des Profifußballs und das dann auch ganz offen zugibt.
"Mich fasziniert die Atmosphäre, die Begeisterung, die man bei den Fans auslösen kann. Ich finde es cool, was Tore für eine Wirkung haben. Oder Spieler wie Cristiano Ronaldo, wenn er sich nur den Ball für einen Freistoß zurechtlegt. Ich mag die Show drumherum, die gehört auch irgendwie dazu."
Ein paar Monate, nachdem er das gesagt hat, kam es in Union mit seinem Vorbild Raul zum "Tor des Jahres". Streng genommen war es Draxlers Tor, Raul stand wie so oft nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort und hat vollendet. Draxlers Sololauf mit abschließendem Hackentrick war auch ein bisschen Show, nur eben auf dem Rasen.
Überangebot im offensiven Mittelfeld
Dafür ist momentan kein Platz. Draxler muss sich wieder in Stellung bringen, im Klub und im besten Fall auch in der Nationalmannschaft. So früh er die Etablierten geärgert und letztlich auch verdrängt hat, so nachhaltig bekommt er jetzt auch den Druck von anderen, die - kaum zu glauben - noch jünger sind als er. Und dazu noch aus demselben Stall. Max Meyer und Leon Goretzka, beide Jahrgang 95, drängeln nach oben.
Das Angebot an überdurchschnittlich begabten offensiven Mittelfeldspielern in Deutschland ist ohnehin schon enorm, neben Reus und Götze gehören Thomas Müller, Lukas Podolski, Andre Schürrle, Toni Kroos und Mesut Özil zum festen Stamm der Nationalmannschaft. Im Testspiel gegen Argentinien vor ein paar Wochen durfte Draxler erstmals auf der Position im zentralen offensiven Mittelfeld starten.
Hier fühlt er sich am besten aufgehoben. Aber auch beim FC Schalke durfte er bisher nur phasenweise dort auch sein Können zeigen. Oft wechselt er zwischen den Positionen auf dem Flügel und im Zentrum, er hat sogar auch schon auf der Sechser-Position ausgeholfen. Mit dem neuen Trainer Roberto di Matteo fängt für ihn jetzt im Klub ein neuer Abschnitt an, für Draxler könnte es ein kleiner Neuanfang sein.
Weltmeister! Oder nicht?
Die dauernden Gerüchte um seine Person nimmt er noch einigermaßen stoisch zur Kenntnis. Als Weltmeister wird auch er, der im längst entschiedenen Halbfinale gegen Brasilien für ein paar Minuten mitspielen durfte, in einem anderen Licht wahrgenommen. Er selbst kann sich noch nicht so genau entscheiden, was dieser Titel für ihn wert ist.
"Ich denke, ich kann es richtig einschätzen, was meine Rolle bei dieser WM war. Aber zu einem funktionierenden Team gehören immer alle. Deswegen ist Weltmeister gleich Weltmeister", sagte er in den Tagen unmittelbar nach dem Triumph.
Mit dem Abstand von ein paar Wochen relativierte er seine Aussage ein wenig, ganz der Ehrgeizling. "Ich weiß, dass ich nicht den größten Anteil am WM-Titel habe. Deswegen brenne ich umso mehr darauf, den Leuten zu beweisen, dass ich den Titel Weltmeister verdient habe."
Besonders den Leuten in Gelsenkirchen will er es beweisen. Bis 2018 läuft sein Vertrag auf Schalke. Und eigentlich will er den auch erfüllen. Aber andererseits: "Wenn ich irgendwann zum Entschluss komme, dass ein anderer Klub für mich der richtige wäre, dann gehe ich dorthin", sagt er. "So viel Selbstbewusstsein habe ich."
Nächster Rekord zu Hause
Derzeit soll es mal wieder der FC Arsenal sein, der sich nach einem Ersatz für den momentan verletzten und dauerhaft angeblich zu sprunghaften Mesut Özil umsieht. So will es jedenfalls die englische Presse erfahren haben. Die kolportierten Ablösesummen sind enorm, höher als etwa die, die einst für Götze oder Reus bezahlt wurden.
Darauf soll es in naher Zukunft aber gar nicht ankommen. Am Dienstagabend erwartet die deutsche Nationalmannschaft Irland in den "European Qualifiers". So nennt die UEFA ihre Spielrunde im Vorfeld der Europameisterschaft in Frankreich in zwei Jahren.
Die Partie gegen die Iren findet in der Arena auf Schalke statt. Sollte Draxler in seinem Wohnzimmer zum Einsatz kommen, wäre er der jüngste Schalker Spieler, der im eigenen Stadion ein Länderspiel bestreitet.
Julian Draxler im Steckbrief