"Jerome hat in den vergangenen zwei Jahren extreme Fortschritte gemacht. Ich bin begeistert von ihm, weil er mit einer unglaublichen Konstanz spielt und eine sehr gute Spieleröffnung hat. Seine Pässe durch die erste Linie hindurch sind hervorragend, rechts wie links. Das macht einen guten Innenverteidiger aus. Im Finale hat er gemeinsam mit Mats Hummels eine überragende Leistung gezeigt", schwärmte Löw im "Kicker".
Daher habe er vor dem Viertelfinale gegen Frankreich auch ohne Bedenken im Team umgestellt und Kapitän Philipp Lahm gegen die hier starken Franzosen aus dem Zentrum gezogen. Mit Lahm auf der Außenbahn habe das DFB-Team mehr Druck entwickeln können, "zumal Jerome Boateng das Zentrum in der Defensive beherrschte und uns dort gemeinsam mit Mats Hummels Stärke und Sicherheit verlieh".
Algerien-Spiel ein Knackpunkt
Doch bereits das vorherige Achtelfinale gegen Algerien (2:1 n.V.) sei ein Knackpunkt gewesen: "Es war zumindest das Spiel, in dem die Mannschaft merkte, dass sie einen unangenehmen, aufsässigen Gegner mal glanzlos niederkämpfen und mit einem Tor Unterschied gewinnen kann. Dazu waren wir in der Vergangenheit nicht so in der Lage - zum Beispiel im EM-Halbfinale gegen Italien."
Insgesamt habe das Team eine enorm reife Vorstellung gezeigt, auch etwa nach dem später folgenden 7:1 über Gastgeber Brasilien im Halbfinale: "Bei den Gesprächen, die ich in der Kabine und am Abend führte, sagten alle Spieler: Trainer, wir wissen, dass der Weg noch nicht zu Ende ist. Das gab mir das Gefühl: Jetzt ist die Zeit reif für den Titel."
Trotzdem hatte Löw offensiv im Finale die Qual der Wahl zwischen Miroslav Klose und dem späteren Siegtorschützen Mario Götze. "Miro ist ein Spieler, vor dessen Namen gerade die Argentinier wahnsinnig viel Respekt haben. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass Götze der etwas unberechenbarere Spieler ist, wenn er reinkommt", so Löw: "Deshalb lautete die Entscheidung: Klose beginnt, bis die Kräfte nachlassen - dann kommt Götze."
Löw: "Müssen neue Reize setzen"
Jetzt aber freue er sich auch, "wenn der Blick wieder nach vorn gerichtet ist. Ich habe die Erkenntnis, dass wir uns nun in manchen Bereichen neu erfinden müssen. Unsere Gegner haben unsere Spielweise inzwischen analysiert, deshalb müssen wir neue Reize setzen. Wir haben den Titel geholt und stehen ganz oben, aber die Kunst ist es jetzt, dies zu bestätigen und noch besser zu werden."
Für Löw ein Anreiz, weshalb er nach der WM keine Rücktrittsgedanken hatte: "Ich wollte alles auf mich wirken lassen und mich prüfen, ob ich noch begeisterungsfähig war, ob ich die Spieler erreiche, ob ich noch neue Ideen habe. Nach wenigen Tagen spürte ich schon wieder die Motivation. Ich habe zu meinem Stab gesagt: Wohin bewegt sich denn der Weltfußball, wo wollen wir 2016 stehen? Wie wollen wir, dass unsere Mannschaft spielt?"
Die Antworten auf diese Fragen müssen noch reifen, so der Bundestrainer weiter, doch er habe bereits Ideen: "Wir müssen uns alle weiterbilden, wir müssen wieder Vorreiter sein. Die Dreierkette kann eine Variante sein, möglicherweise geht der Fußball zurück zu zwei Stürmern. Das sind aber nur Puzzleteile, am Gesamtbild arbeiten wir."
Deutschlands EM-Quali-Gruppe D in der Übersicht