"Eindeutig eine schwarze Kasse"

SID
Wolfgang Niersbach ist der Amtsnachfolger von Theo Zwanziger
© getty

Wolfgang Niersbach muss wegen schwerer Schwarzgeld-Vorwürfe seines Intimfeindes Theo Zwanziger in der WM-Affäre mehr denn je um seinen Chefposten beim DFB zittern. Zwanziger bezichtigte seinen Amtsnachfolger mit einem Frontalangriff im Spiegel der Lüge und behauptete als erster Hochkaräter, es habe vor der WM 2006 "eindeutig eine schwarze Kasse in der deutschen Bewerbung" gegeben. Außerdem sei 2002 der ominöse Millionen-Vorschuss von Robert Louis-Dreyfus beim katarischen Strippenzieher Mohamed Bin Hammam gelandet.

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Die Präsidiumssitzung des DFB in Dortmund war kurz vor der neuen Spiegel-Veröffentlichung für Niersbach, dessen Erklärungsversuche vom Donnerstag ein verheerendes Echo auslösten, noch ohne persönliche Konsequenzen zu Ende gegangen. Bei der Eröffnung des Deutschen Fußball-Museums am Freitagabend in Dortmund stärkte die Verbandselite ihrem Präsidenten den Rücken. "Das Haus steht geschlossen hinter Niersbach", sagte DFB-Generalsekretär Helmut Sandrock.

Zwanziger hätte, führte Sandrock weiter aus, "die Vorwürfe in seiner Amtszeit selber angehen können. Ich frage mich ernsthaft, warum er das nicht getan hat". Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff und Bundestrainer Joachim Löw bezweifelten die Lauterkeit von Zwanzigers Angriff ebenfalls. "Seltsam ist es schon, dass er das nicht schon während seiner Amtszeit angegangen ist", meinte Bierhoff auf dem Roten Teppich, und Löw erklärte: "Ich frage mich, warum die Dinge nicht früher zur Sprache gekommen sind."

FIFA schlägt zurück

Zwanziger, ab 2003 selbst als Vize für Finanzen Mitglied des Organisationskomitees für die WM 2006, fuhr schweres Geschütz auf. "Es ist klar, dass der heutige DFB-Präsident davon nicht erst seit ein paar Wochen weiß, wie er behauptet, sondern schon seit mindestens 2005. So wie ich das sehe, lügt Niersbach", behauptete Zwanziger.

Außerdem lässt sich der 70-Jährige als Zeuge für ein persönliches Gespräch mit WM-Botschafter Günter Netzer nennen, in dem der Ex-Europameister den Kauf von Stimmen aus Asien als Verwendung der Dreyfus-Millionen genannt haben soll. Vor Wochenfrist hatte der Spiegel die von Netzer dementierte Aussage noch anonym veröffentlicht. Darüber hinaus schreibt Zwanziger die umstrittene "Honorar"-Notiz mit den Dreyfus-Initialen nach Vorlage durch den Spiegel seinem Nachfolger zu: "Ja, das ist für mich die Handschrift von Niersbach."

Die FIFA bezeichnete Zwanzigers Äußerungen als "sehr schwerwiegende Anschuldigungen. Sie werden im Rahmen der derzeit in der FIFA durchgeführten unabhängigen internen Untersuchung mit Unterstützung externer Berater überprüft", hieß es in einem Statement des Weltverbandes: "Die FIFA fordert den DFB auf, an dieser Untersuchung mitzuwirken. FIFA wird keine weiteren Kommentare dazu abgeben."

Beckenbauer gerät unter Druck

Durch Zwanzigers abermalige Attacken auf Niersbach gerät allerdings zwangsläufig auch Franz Beckenbauer, der den früheren DFB-Boss nach dessen Angaben noch im August 2015 um Stillschweigen in der Dreyfus-Angelegenheit gebeten haben soll, noch mehr unter Druck.

Der Kaiser, damals Chef der Bewerbung und des WM-Organisationskomitees, meidet auch deshalb derzeit die Öffentlichkeit: Seinen geplanten Auftritt in Dortmund sagte er laut Angaben seines Managements "aufgrund der aktuellen Entwicklung" ab.

Zwanziger beschränkte seine Ausführungen im Spiegel nicht allein auf Niersbach. Er nannte den zwielichtigen Ex-FIFA-Funktionär Bin Hammam als Empfänger der Millionen des früheren adidas-Chefs Louis-Dreyfus (6,7 Millionen Euro) im Jahr 2002 - was eine Verbindung zu den asiatischen WM-Stimmen für 2006 bei der Wahl zwei Jahre zuvor herstellen könnte.

Vorläufiger Höhepunkt

Niersbach hatte am Donnerstag während einer denkwürdig missratenen Pressekonferenz beteuert, es habe im Zuge der WM-Vergabe "weder Stimmenkauf noch eine schwarze Kasse" gegeben. Am gleichen Tag hatte der frühere DFB-Generalsekretär und OK-Vize Horst R. Schmidt mitgeteilt, dass das gesamte OK bereits 2004 Kenntnis von der angeblichen Dreyfus-Zahlung an die FIFA im Namen des Gremiums gehabt habe. Niersbachs Glaubwürdigkeit war dadurch schon heftig erschüttert.

Zwanzigers Schlag ist der vorläufige Höhepunkt der Affäre um fragwürdige Millionen-Schiebereien und zugleich eine neue Eskalationsstufe in der alten Männerfeindschaft mit Niersbach. Nicht nur wegen einer öffentlichen Auseinandersetzung um dessen Rentenanspruch beim DFB sind sich die beiden Alphatiere spinnefeind.

Das Präsidium sprang Niersbach am Freitag zur Seite. Es erklärte, "mit seinem Präsidenten Wolfgang Niersbach an der Spitze den eingeschlagenen Weg der umfassenden, lückenlosen Aufklärung aller Vorwürfe im Zusammenhang mit der WM 2006 konsequent weiterzuverfolgen". Der DFB gab außerdem bekannt, dass eine inzwischen extern eingeschaltete Wirtschaftskanzlei auch beauftragt wurde, "ihre Prüfung auf die Einbeziehung der FIFA auszuweiten".

Absolutes Vertrauen

DFB-Präsidiumsmitglied und Liga-Präsident Reinhard Rauball betonte zwar ausdrücklich "absolutes Vertrauen" in Niersbach, stellte in der DFB-Mitteilung allerdings die Prioritäten des Verbandes eindeutig klar: "Es ist für den gesamten deutschen Fußball unerlässlich, dass die ganze Wahrheit ans Licht kommt, auch wenn sie zu schmerzhaften Erkenntnissen führen sollte."

"Nichts", betonte er zudem in Interviews, sei "schlimmer, als dass ein Eindruck bleibt, dass etwas unter den Teppich gekehrt werden soll. Dann nehmen wir lieber die Wahrheit in Kauf, auch wenn sie schmerzhaft ist". Lückenlose Aufklärung sei das Wichtigste: "Auch für den Fall, dass es unangenehm wird für die einen oder anderen Personen oder Beteiligten."

Zwanziger hat laut Spiegel am vergangenen Dienstag mit Horst R. Schmidt ein Telefonat geführt, von dem ein Gedächtnisprotokoll vorliegt. Auf die Frage Zwanzigers, wohin die Dreyfus-Millionen 2002 geflossen seien, soll Schmidt den Namen Bin Hammam genannt haben. Der berüchtigte Katarer war von August 2002 bis zu seiner lebenslangen Sperre 2011 wegen Korruption Chef der asiatischen Fußball-Konföderation AFC, galt aber bereits in den vorherigen Jahren als einflussreicher Mann im Weltverband. Die asiatischen Stimmen waren bei der WM-Vergabe im Jahr 2000 ausschlaggebend für den Zuschlag an Deutschland.

Laut Spiegel hat Zwanziger außerdem durch seinen Anwalt in einem Gutachten überprüfen lassen, ob er sich als ehemaliger DFB-Präsident strafbar gemacht haben könnte, als er 2005 eine 6,7-Millionen-Euro-Zahlung an die FIFA freizeichnete. Diese wurde mutmaßlich an Dreyfus weitergeleitet.

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