Die DFB-Affäre begleitet die deutschen Weltmeister auch nach Paris. Bundestrainer Joachim Löw fiel es schwer, den Fokus auf den EM-Testlauf zu lenken.
Löw hatte vor dem Duell mit der Equipe Tricolore am Freitag (21 Uhr im LIVETICKER) Mühe, die größte Krise der Verbandsgeschichte auszublenden und die Konzentration auf das Sportliche zu lenken.
"Das beeinflusst mich vor allen Dingen als Mensch", sagte Löw am Vortag des Testlaufs für die EURO im Finalstadion von St. Denis über den Abschied von Niersbach: "Den Wolfgang habe ich wahnsinnig geschätzt, er war für mich ein wahnsinnig guter Ansprechpartner mit einem immer offenen Ohr, wir hatten ein sehr enges, gutes und vertrautes Verhältnis." Doch Löw betonte auch, dass ihn die Affäre in seiner Arbeit als Coach "nicht belastet" - und das soll die DFB-Elf im Stade de France unterstreichen.
WM-Affäre "in der Mannschaft ein Thema"
Bereits auf dem Hinflug von München in die französische Hauptstadt herrschte konzentrierte Anspannung, als Löw und Kapitän Bastian Schweinsteiger die Weltmeister ins Flugzeug führten. Die WM-Affäre und Niersbach seien "in der Mannschaft ein Thema gewesen", sagte Löw, der über seinem obligatorischen Espresso im Hotel Radisson Blu Boulogne von einem "aufklärenden Gespräch" mit dem Team berichtete. Aber: Jetzt zähle Frankreich, dieser Klasse-Gegner, den Löw "zu den absoluten Topfavoriten" für die EM (10. Juni bis 10. Juli) zählt.
Allerdings: Am Rande des Länderspiels kommen an der Seine die möglichen Niersbach-Nachfolger Reinhard Grindel und Rainer Koch sowie Reinhard Rauball und Generalsekretär Helmut Sandrock zusammen, um über das Erbe zu beraten. Wie die Lösung ausfällt, soll endgültig am Dienstag vor dem letzten Länderspiel des Jahres in Hannover gegen die Niederlande beschlossen werden. Vor diesem Hintergrund dürfte es Löw schwer fallen, sich voll auf die "erste Phase der EM-Vorbereitung" zu konzentrieren.
"Frankreich ist besser als bei der WM, reifer", warnte er mit Blick auf das knappe 1:0 im Viertelfinale von Rio. "Zuletzt habe ich kaum eine Mannschaft gesehen, die mit so einer Zielstrebigkeit versucht, Angriffe abzuschließen. Sie haben mich wirklich beeindruckt. Von daher hat das Spiel für uns eine gewisse Brisanz." Deshalb will Löw seine derzeit bestmögliche Elf stellen. Mit Manuel Neuer, der Frankreich schon in Brasilien zum Verzweifeln gebracht hatte, im Tor. Mit dem Abwehrbollwerk um Jerome Boateng und Mats Hummels. Mit Schweinsteiger und Sami Khedira im defensiven Mittelfeld. Mit Thomas Müller.
Lob für Neuling Sane
Ob er auch Rückkehrer Mario Gomez von Beginn an eine Chance geben wird, ließ er offen. Der Profi von Besiktas Istanbul habe sich zuletzt zwar stark präsentiert und habe nach verpasster WM "eine unglaubliche Motivation, es diesmal zu schaffen in Richtung EM". Doch auch Neuling Leroy Sane lobte Löw auffällig. "Ich glaube, dass er ein Spieler ist mit einer besonderen Gabe: besondere Raffinesse und Schnelligkeit gepaart mit Technik und guten Laufwegen."
Offensiv erwartet Löw vor allem die Franzosen, die wieder einmal von einem Skandal gebeutelt werden: Karim Benzema soll Mittelfeldmann Mathieu Valbuena erpresst haben; beide fehlen im Kader von Trainer Didier Deschamps. Doch auch ohne Real-Star Benzema habe Frankreich eine Elf "gespickt mit sehr vielen guten Einzelspielern, die mit einer Dynamik und großen Zielstrebigkeit in der Offensive agiert", betonte Löw. "Sie haben Spieler, die technisch wahnsinnig gut sind, ein sehr gutes Kombinationsspiel, eine unheimliche Kraft, Stärke, Schnelligkeit", schwärmte er.
Eine mögliche Niederlage kalkuliert der Bundestrainer ein. "Alle wollen gute Ergebnisse", sagte er, "für mich hat aber Priorität: probieren, sehen, Erkenntnisse sammeln - und daraus lernen für die EM."
Die voraussichtliche deutsche Aufstellung: Neuer - Ginter, Boateng, Hummels, Hector - Schweinsteiger, Khedira - Müller, Gündogan, Schürrle - Gomez.