Ein Blick nach Rostow

Andreas Lehner
26. März 201615:05
Bundestrainer Joachim Löw muss im Mai seinen Kader für die EM nominierengetty
Werbung

Der erste Test in diesem Jahr läutet auch die heiße Phase in der Vorbereitung auf dem EM 2016 ein. Mit England (20.45 Uhr im LIVETICKER) und Italien hat Deutschland zwei ordentliche Kaliber vor der Brust. Worum geht es im Doppelpacktest?

Das letzte Casting

27 Spieler hatte Joachim Löw für die beiden Tests nominiert, ohne Max Kruse und Bastian Schweinsteiger sind es noch 25. Alle sollen Einsatzzeiten bekommen, um sich noch einmal zu präsentieren. Denn die beiden Spiele sind die letzten Tests vor der Nominierung des erweiterten EM-Kaders (17. Mai) für das Trainingslager in Ascona, das am 23. Mai starten wird.

"Die Spieler können sich auf dieser tollen Bühne nachhaltig bei uns Trainern empfehlen, bevor wir die finale Entscheidung treffen", sagte Löw. Der Bundestrainer traut England und Italien bei der EM in Frankreich eine "entscheidende Rolle" zu. Der Wettkampfcharakter dieser Spiele liefere ihm und seinem Team "Erkenntnisse, die wir in der Vorbereitung in die Feinjustierung einarbeiten können".

Neben sicheren EM-Fahrern wie Manuel Neuer, Mats Hummels oder Toni Kroos gibt es in diesem Aufgebot noch viele Wackelkandidaten, da Löw ja auch noch Plätze für Jerome Boateng oder Benedikt Höwedes freihalten muss.

Von unten drängen zudem Jungstars wie Leroy Sane oder Joshua Kimmich ins Aufgebot - und Löw hat mehrfach bewiesen, dass er bereit ist, auch bei Turnieren jungen Spielern einen Platz im Kader einzuräumen.

Mit fünf, sechs Spielern habe er persönliche Gespräche geführt, Namen wollte er natürlich nicht nennen. Er sehe aber sehr viele Klassespieler mit großer Perspektive auf hohem Niveau. "Einige können sich berechtigte Hoffnungen machen", sagte Löw.

Man sollte also auch mit einem Auge ins russische Rostow schielen, wo die deutsche U21 am Dienstag (19 Uhr im LIVETICKER) um die EM-Qualifikation spielt.

Die zwei Marios

Am Donnerstagabend hat sich der Bundestrainer mal mit Mario Götze hingesetzt und ein bisschen geplaudert. Vor allem über dessen Situation beim FC Bayern und dessen Zukunft. Er habe mit dem Spieler auch "verschiedene Situationen erörtert". Bei Götze heißt das: Bayern verlassen oder bleiben. Götzes Zukunft hängt laut Löw an einem Gespräch mit dem zukünftigen Trainer Carlo Ancelotti.

Dass Götze bei Löw immer eine Zukunft haben wird, hat der Bundestrainer zuletzt mehrfach betont. Er plant mit dem WM-Finaltorschützen von 2014 definitiv für die EM. In welcher Rolle hängt aber auch vom körperlichen Zustand Götzes ab. Nach seiner langen Verletzungspause hat er noch körperliche Defizite. Gegen England werde er nicht beginnen, dafür gegen Italien in München in der Startelf stehen - vermutlich wieder als Stürmer.

Diese Position wird im Berliner Olympiastadion Mario Gomez ausfüllen, der sich nach der verpassten WM gerade wieder eindringlich für die Teilnahme an der EURO bewirbt. "Er hat in der Türkei einen Schritt gemacht", sagte Löw. "Er hat die Sicherheit wiedergewonnen. Das Selbstvertrauen spürt man in jeder Trainingseinheit an seinen Bewegungen, an seiner Ausstrahlung, an seiner Körpersprache."

Nach Miro Kloses Rücktritt kann die Nationalmannschaft einen abschlussstarken Stürmer gebrauchen, der auch etwas mehr Körperlichkeit ins Spiel bringt als die Dribbler und Wusler Götze, Özil oder Reus.

Schon beim vom Terroranschlag in Paris überschatteten Länderspiel in Paris war Löw "angetan von seiner Leistung. Er hat läuferisch viel getan und den Gegner beschäftigt." Es muss sich also keiner Sorgen machen, dass sich Gomez im gegnerischen Strafraum wundliegt.

Was geht hinter Neuer?

Einen Kampf um die Nummer eins gibt es in Deutschland schon seit Jahren nicht mehr. Und wenn nichts Außergewöhnliches passiert, wird das auch für die nächsten Jahre erstmal so bleiben. Schließlich wird Manuel Neuer am Ostersonntag erst 30 Jahre alt, ein geradezu jungenhaftes Alter für einen Torhüter.

Aber natürlich muss man sich auch auf Unwägbarkeiten vorbereiten. Was passiert, wenn sich Neuer vor oder während der EM verletzt oder nicht gerade rechtzeitig fit wird, wie vor der WM 2014, als ihm die Schulter bis kurz vor dem ersten Turnierspiel Probleme machte?

Feststeht, dass sich Deutschland keine Sorgen machen muss, weil die Masse an guten Torhütern in diesem Land immer wieder erstaunlich groß ist - besonders, wenn man sich im direkten Vergleich den Kader der Three Lions anschaut.

Aber so klar wie die Sache der Nummer eins geregelt ist, so unklar ist die Situation dahinter. Für die EM hat Bundestorwarttrainer Andreas Köpke für zwei Plätze die Auswahl aus vier Mann. "Wir haben ein Luxusproblem. Es ist bitter, dass wir nicht all unseren guten Torleuten gerecht werden können. Die Entscheidung wird uns schwerfallen", sagt Köpke. "Ob Leno, ter Stegen, Trapp oder Zieler - sie sind alle gut und haben große Qualitäten." Noch nicht infrage kommen für Frankreich Timo Horn, Loris Karius und Ralf Fährmann, die aber perspektivisch auch auf Köpkes Zettel stünden.

Eine klare Nummer zwei gibt es aktuell nicht, wobei ter Stegen aufgrund seiner Spielweise den Vorstellungen des Trainerteams am nächsten kommt und der wahrscheinliche Ersatz für Neuer wäre. Dass Zieler für die Spiele gegen England und Italien nicht nominiert wurde, muss noch nichts heißen. Er war so oft dabei, dass ihn das Trainerteam bestens einschätzen kann. Aber er muss mit Leno und Trapp im Nacken definitiv um seinen Platz fürchten.

Was tun auf Außen?

Philipp Lahm genießt die Ruhe. Jahrelang war der Kapitän des FC Bayern auch mit der Nationalmannschaft unterwegs, aber nach der WM hat er seine Karriere im DFB-Dress beendet, so dass er jetzt ganz entspannt Fotos aus seiner Freizeit via Twitter verbreiten kann. Der 32-Jährige verbringt Ostern nicht im Kreise der Nationalmannschaft, sondern mit seiner Familie am Tegernsee.

Die Lücke, die er auf der Außenverteidigerposition hinterlassen hat, wird Löw auch bis zur EM nicht mehr mit einem Spieler vergleichbarer Qualität schließen können, einen solchen Spieler gibt es schlicht und ergreifend nicht in Deutschland.

Auf rechts hat Löw schon viel probiert: Ginter, Rudy, Rüdiger, Can. So richtig überzeugt hat keine dieser Aushilfskräfte bisher. Die Entscheidung, wer in Frankreich auf dieser Position spielen wird, wird erst während der Vorbereitung fallen, erklärte Löw. In Ascona gehe es dann um den "Feinschliff".

Auch der verletzte Benedikt Höwedes ist ein Kandidat, aber der könnte auch wieder links hinten gebraucht werden. Jonas Hector ist dort im Moment meistens erste Wahl, aber sein Gewicht auf internationalem Topniveau ist noch nicht final geklärt. Konkurrenzlos sei der Kölner als Linksverteidiger jedenfall nicht, nur aus Mangel an Alternativen, "aber so wie er trainiert und spielt, entspricht das meinen Vorstellungen", sagte Löw.