Abwehr: Mitchell Weiser (Hertha BSC)
Aufgrund fehlender Notwendigkeit überspringen wir die Torhüterposition und starten gleich in der Defensive.
Mit Jonathan Tah hat Löw für die beiden Tests gegen England und Italien schon einen Mann mit Perspektive hochgezogen. Sein Debüt hätte sich Tah, der gegen die Three Lions in der Halbzeit für Mats Hummels eingewechselt wurde, anders vorgestellt. Aber für ihn ging es in erster Linie darum, A-Nationalmannschaftsluft zu schnuppern.
Für einen Platz im EM-Kader dürfte es aber nicht reichen, denn Löw plant in eine andere Richtung. Er rechnet anders als bei Holger Badstuber (Sprunggelenksfraktur) mit einer Rückkehr der noch verletzten Jerome Boateng und Benedikt Höwedes. Dazu ist Mats Hummels gesetzt und mit Antonio Rüdiger, Shkodran Mustafi und Matthias Ginter hat Löw Alternativen, die in der Hierarchie vor Tah stehen und zum Teil (Mustafi, Ginter) schon Turniererfahrung haben.
Was Deutschland dagegen nicht hat? Richtig, Außenverteidiger. Can, Ginter, Mustafi, Rüdiger und Rudy sind weder gelernte Außenverteidiger noch gut genug, um diese Position auf internationalem Niveau auszufüllen. Das haben die Spiele der letzten beiden Jahre gezeigt. Deutschlands bester Außenverteidiger nach Philipp Lahm spielt derzeit bei Hertha BSC: Mitchell Weiser.
Der 21-Jährige hatte schon zum Ende der vergangenen Saison beim FC Bayern mehr Spielanteile bekommen und diese Chance überzeugend genutzt. Man muss sich nur seine Leistung im DFB-Pokalhalbfinale 2015 gegen Borussia Dortmund ins Gedächtnis rufen. Sein Vorteil: Er hat in München auf höchstem Niveau trainiert, schon internationale Erfahrung und ist gelernter Außenbahnspieler. Bei Hertha kommt Weiser manchmal auch auf einer offensiveren Position zum Einsatz, aber gegen offensivdenkende Außenverteidiger hat Löw nichts einzuwenden, zumal Höwedes auf links fürs Turnier die erste Option zu sein scheint.
Mittelfeld: Leon Goretzka (Schalke 04), Joshua Kimmich (FC Bayern), Julian Weigl (Borussia Dortmund)
Die Konkurrenz im zentral defensiven Mittelfeld ist groß und hat klangvolle Namen: Schweinsteiger, Khedira, Kroos und Gündogan. Aber schon bei der WM 2014 hat Löw dahinter einen Platz für Christoph Kramer freigeräumt, der seit einiger Zeit nicht mehr ganz so überzeugen kann.
In aller Munde sind zurzeit dagegen Kimmich und Weigl. Zwei Spieler, die zwar noch wie Schulbuben aussehen, aber spielen wie Lehrer. Kimmich momentan zwar als Innenverteidiger, aber Löw hat schon gesagt, dass er in der Nationalmannschaft für diese Position nicht infrage komme. Der Münchner passt auch zweifelsohne gut ins Konzept Pep Guardiolas, bei dem es als Innenverteidiger auch sehr viel auf Passgenauigkeit und Spielverständnis ankommt. Die Nationalmannschaft ist von seinem solch dominanten Stil aktuell aber ein Stück entfernt, so dass mehr klassische Innenverteidigerqualitäten gefragt sind. Trotzdem könnte die Nationalmannschaft schon jetzt von Kimmichs Schläue profitieren. Der 21-Jährige kann sowohl auf der offensiveren als auch auf der defensiveren Sechserposition auflaufen, zur Not sogar als Rechtsverteidiger - und das sicher nicht schlechter als Can, Ginter, Mustafi, Rüdiger und Rudy. Diese Polyvalenz müsste Löw eigentlich gefallen.
Im Vergleich dazu ist der 20-jährige Weigl weniger flexibel, er ist relativ klar auf die Position vor der Abwehr festgelegt. Sein Problem: in der Nationalmannschaft gibt es den alleinigen Sechser gerade nicht. Löw ist nach der WM wieder verstärkt zum 4-2-3-1 zurückgekehrt, Weigl kann seine Stärken im 4-3-3 aber besser einsetzen. Er ist läuferisch gut, immer anspielbar und sicher im kurzen Passspiel. Was ihm im Vergleich zu Kimmich noch fehlt, ist im Spiel gegen den Ball das Gespür für die Situation. Er kommt bei Ballverlust im Rausrücken oft zu spät und wird so schnell überspielt, auch im Zweikampf ist er manchmal nicht robust genug.
Goretzka ist dagegen ein Spieler, der sich eher auf der Acht wohlfühlt, weniger den ersten Ball sucht, auch mal auf den Flügel ausweichen kann und mehr Zug zum Tor entwickelt. Mit diesen Attributen schaffte es der Schalker sogar schon in den vorläufigen WM-Kader 2014. Seitdem hat ihn Löw nicht mehr berufen, was auch mit den vielen größeren und kleineren Verletzungen zu tun hat, die den 21-Jährigen immer wieder aus dem Rhythmus bringen.
Goretzka aber ist ein Spielertyp, wie er aktuell nicht in der Nationalmannschaft vorhanden ist. Draxler und Özil beispielsweise sind offensiver ausgerichtet, Khedira defensiver und Kroos strategischer. Die Engländer würden Goretzka wohl in die Kategorie Box-to-Box-Player einreihen. Wenn man einen großen Vergleich anbringen will, ähnelt er in seiner Spielweise Michael Ballack.
Angriff: Leroy Sane (Schalke 04)
Sein Debüt ging im vom Terroranschlag überschatteten Spiel in Frankreich unter. Einen möglichen zweiten Einsatz verhinderte die Absage von Hannover gegen die Niederlande. Dass ihn Löw für den aktuellen Spieltag nicht in sein Aufgebot holte, überraschte.
Mit Müller und Reus scheinen zwei Außenpositionen im Kader fix besetzt, dahinter gibt es eine Reihe von Wackelkandidaten wie Schürrle, Bellarabi, Draxler und Podolski, wobei vor allem der 127-malige Nationalspieler Podolski bei Löw weiterhin einen ganz, ganz großen Stein im Brett hat.
Auch wenn Sane zuletzt nicht immer in Schalkes Startelf stand, seine Anlagen sind herausragend. Er besitzt schon jetzt im deutschen Fußball eine außergewöhnliche Stellung, weil es keinen vergleichbaren Spielertypen gibt. Er ist frech, technisch herausragend, sucht immer das Dribbling und den Weg zum Tor. Das geht nicht immer gut und sein Spiel ist noch zu verfeinern, aber der 20-Jährige kann Spiele mit seinen Einzelaktionen drehen. Er ist ein Spieler für spezielle Momente. Das kann gerade bei einem Turnier besonders wertvoll sein.
Diese raffinierte Fähigkeit im Eins-gegen-eins hat Löw nicht in seiner Mannschaft, Reus, Schürrle und Bellarabi kommen alle über ihre Schnelligkeit. Mit Sane könnte er dem zuletzt etwas hausbackenen Weltmeister eine neue Würze verleihen.
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