Am Dienstag traf sich Deutschlands vorläufiger EM-Kader zum Trainingslager in Ascona am Lago Maggiore in der Schweiz. Doch wie laufen die nächsten Tage überhaupt ab? Wer sind die Streichkandidaten für die EM und welche Taktik wählt Löw? SPOX beantwortet fünf Fragen zur DFB-Vorbereitung.
Termine: Wie läuft die Vorbereitung ab?
Am Dienstagnachmittag flog das DFB-Team geschlossen von Frankfurt in die Schweiz und kam gegen 17 Uhr in Lugano an. Von dort aus ging es direkt weiter ins Mannschaftshotel "Giardino" in Ascona, wo die Mannschaft bis Freitag, den 3. Juni die EM-Vorbereitung absolviert.
Es wird täglich mindestens einmal trainiert (gleich am Dienstagabend das erste Mal), hinzu kommen ab Mittwoch Pressekonferenzen (jeweils um 12.30 Uhr) mit Trainern und Spielern. Auch die deutsche U20 reist mit nach Ascona, um der A-Nationalmannschaft als Sparringspartner für einen EM-Gegner-Simulationstest zur Verfügung zu stehen. Der Nachwuchs verlässt das Camp am Freitag wieder.
Der deutsche EM-Spielplan in der Übersicht
Am Sonntag (29. Mai) steht bereits das erste von zwei Testspielen auf dem Programm: In Augsburg trifft die Nationalmannschaft auf die Slowakei. Das Spiel gegen den EM-Teilnehmer beginnt um 17.45 Uhr. Für diese Benefiz-Aktion reist der DFB-Tross extra aus der Schweiz an. Nach Abpfiff geht es direkt zurück nach Lugano.
Zwei Tage nach dem Länderspiel in Augsburg muss Löw den finalen EM-Kader bekanntgeben: Bis 24 Uhr am 31. Mai muss das endgültige Aufgebot bei der UEFA gemeldet werden. Das heißt: Von aktuell 27 Spielern werden vier gestrichen.
Am 3. Juni fliegt der EM-Kader zurück nach Deutschland (Dortmund). Am Tag drauf steht gegen Ungarn in Gelsenkirchen die Turnier-Generalprobe an. Danach dürfen die Nationalspieler nochmals zwei Tage nach Hause zu ihren Familien, ehe das Team am 7. Juni das EM-Quartier in Evian-les-Bains am Genfer See bezieht. Am 12. Juni startet der Weltmeister dann in Lille gegen die Ukraine ins Turnier.
Wie ist es um den aktuellen Kader bestellt?
Als das Team am Dienstag zusammentraf, fehlten noch zwei Spieler: Toni Kroos steht mit Real am kommenden Samstag im Champions-League-Finale, Lukas Podolski am Donnerstag mit Galatasaray im türkischen Pokalfinale gegen Fenerbahce.
Von den 25 Spielern, die von Anfang an dabei sind, sind aber auch nicht alle beschwerdefrei: Mario Götze (Rippenbruch), Bastian Schweinsteiger (Knie), Sami Khedira (Wade) und Benedikt Höwedes (konnte nach Muskelfaserris zuletzt schon wieder spielen) können nur individuell trainieren.
Das ist Deutschlands vorläufiger EM-Kader
Alle sind zumindest im Lauftraining und sollten auch zum Länderspiel am Sonntag fit sein. Löw wird gegen die Slowakei jedoch kein personelles Risiko eingehen. Weitere Verletzungen, welche die EM für Einzelne gefährden könnten, wird er tunlichst vermeiden. Marco Reus war 2014 das mahnende Beispiel.
Mit Julian Brandt, Julian Weigl und Joshua Kimmich stoßen am Dienstag drei Debütanten zum Kreis der Nationalmannschaft. Kimmich betonte stellvertretend: "Wenn man da drin ist, will man zur EM. Ich habe eine Woche Zeit zu zeigen, was ich kann." Jeder wittert seine Chance.
Welche Schwerpunkte werden in Ascona gesetzt?
Eines war dem DFB bei der Ortswahl des Trainingslagers - und auch des EM-Quartiers - wichtig: Größtmögliche Ruhe und Abgeschiedenheit. Das in Ascona belegte Luxus-Hotel "Giardino" ist idyllisch gelegen, genauso wie die EM-Basis in Evian-les-Bains.
Bierhoff und Löw wollen vollen Fokus aufs Wesentliche, um dem Team die Vorgaben für die EURO konsequent einzudrillen. Dabei geht es primär nicht um Fitness oder Spielverständnis der Akteure - die werden vorausgesetzt -, sondern vor allem um Teamgeist. Der war 2014 in Brasilien einer der großen Trümpfe des DFB-Teams - und im vergangenen Jahr auch Grundlage der neuen Wort-Bild-Marke "Die Mannschaft", die sich mit dem Hashtag #diemannschaft auch in den sozialen Netzwerken etablierte.
Alle EM-Stadien in der Übersicht
"Es geht bei uns nicht um einzelne Spieler, es geht bei uns um die ganze Mannschaft. Das zeichnet uns aus, das ist unser Markenzeichen", sagte Toni Kroos damals. Dieses Bewusstsein soll vor dem Turnier wieder geschärft werden. Bei jedem Weltmeister, aber auch bei den jungen Spielern, die neu zum Team stoßen.
Die Mannschaft soll eine eigene Identität schaffen. Die Rahmenbedingungen sind mit eigenen Fitnessgeräten, hydraulischen Massageliegen, Kälte-Therapie-Geräten, Laufbändern, Spinning-Bikes, Mountainbikes und sogar einem neu verlegten Rasen im Trainingsstadion perfekt. Alles ist minutiös geplant. Nichts soll schiefgehen.
Deshalb verzichtet der DFB auch auf rasante Sponsorentermine wie 2014, als es bei einer Rallye-Show in Südtirol zwei Verletzte gab. "Unser Partner Mercedes hat hier gelernt und gemeinsam haben wir abgestimmt, auf solche Aktionen zukünftig zu verzichten", sagte Georg Behlau, Organisationschef und Büroleiter des Nationalteams.
Rein sportlich muss Löw es schaffen, den Kader schnellstmöglich auf ein gemeinsames Belastungsniveau zu bringen. Nach der langen Saison ist es wichtig, in der Vorbereitung eine sinnvolle Mischung aus Regeneration und Anspannung zu erzielen und nicht das Team schon vor dem Turnier auszureizen.
Den Form-Höhepunkt muss die Mannschaft nämlich nicht in den ersten drei Spielen, sondern ab der K.o.-Runde erreichen. Es gilt also, nicht zu überpacen, sondern das Leistungslevel stetig anzuheben. Neben sozialen Schwerpunkten kann die Zeit bis zum EM-Start also intensiv für taktische Schwerpunkte genutzt werden.
Wer sind die Streichkandidaten für den finalen EM-Kader?
"Im Moment gibt es keinen Streichkandidaten", betonte Jogi Löw bei der Benennung seines vorläufigen Kaders. Er will sich in Ascona jeden Einzelnen noch einmal genauer anschauen, wenngleich eine Vorauswahl beim Bundestrainer natürlich schon stattgefunden hat.
Bereits zum sechsten Mal stand Löw in der Verantwortung, einen Kader für ein Großturnier zusammenzustellen. Er weiß: Eine Mannschaft muss nicht nur spielerisch gut zusammenpassen. Auch die Persönlichkeiten müssen harmonieren. Entsprechend ist davon auszugehen, dass Podolski und Schweinsteiger - trotz mangelnder sportlicher Argumente in dieser Saison - in Frankreich mit dabei sind.
Gerade der Kapitän wackelt zwar verletzungsbedingt. Löw wird ihn wohl aber sogar dann mit zur EM nehmen, wenn ein Einsatz auch nur irgendwann im Turnierlauf wahrscheinlich erscheint. Er ist für den Nationaltrainer der perfekte Anführer - auf und neben dem Platz. Nach Informationen der Sport Bild soll Schweinsteiger bereits Ende der Woche wieder ins Mannschaftstraining einsteigen können.
Hier geht's zu den vorläufigen Kadern aller EM-Teilnehmer
Die Eckpfeiler der Mannschaft sind bekannt: Neben Neuer, Boateng und Hummels sind auch Khedira, Kroos, Özil und Müller unverzichtbar. Selbiges dürfte für Reus und vermutlich auch WM-Held Götze gelten, wenngleich Letzterer noch an einem Rippenbruch laboriert und sich in dieser Saison nie so richtig in Form präsentierte.
In erster Linie hängt vieles an den Youngstern im Team. Schaffen sie es, sich aufzudrängen, wird es für den einen oder anderen erfahreneren Nationalspieler eng. Und Sane, Brandt, Weigl und Kimmich sind keinesfalls chancenlos.
Dass alle vier von ihnen zur EM fahren, erscheint allerdings unwahrscheinlich. Sane konnte in der Rückrunde nicht an seine starke Form aus der Hinrunde anknüpfen, jedoch hat Löw eine hohe Meinung vom Schalker: "Sane sucht die Eins-gegen-eins-Situationen, das fehlt manchmal in unserer Kombinationsmaschine. Sane macht diese Läufe, die dem Gegner wehtun können", sagte er gegenüber der Süddeutschen Zeitung.
Weigl schwankte zuletzt zwischen 'überragend' und 'teilnahmslos'. Für Brandt könnte das Momentum der letzten Wochen sprechen, wenngleich seine Nominierung für die Endrunde doch überraschend käme. Kimmich dagegen hat seine Stärken und vor allem große Flexibilität in diesem Jahr durchweg auf hohem Niveau unter Beweis gestellt.
Aus der Riege der Etablierten wackeln defensiv deshalb am ehesten Sebastian Rudy und Skhodran Mustafi. Kimmich könnte die Aufgaben beider erfüllen. Auf der offensiven Außenbahn müssen Karim Bellarabi und Andre Schürrle zeigen, dass sie voll auf der Höhe sind. 'Konstanz' gehörte auch für sie nicht zu den Schlagwörtern der Saison.
Einhundertprozentig sicher dürfen sich auch Emre Can und Antonio Rüdiger noch nicht sein. Auch ihnen fehlt auf diesem Niveau noch die große Erfahrung, zudem unterlief beiden in den letzten Länderspielen die eine oder andere Schludrigkeit im Spielaufbau - das passt nicht in Löws Ballbesitz-System. Generell ist es gut möglich, dass die Streichkandidaten hauptsächlich Mittelfeldspieler sein werden. Hier herrscht ein deutliches Überangebot.
Was sind Löws mögliche Taktik-Varianten?
Deutschland reist als Weltmeister zur EM. Entsprechend ist der Respekt vor dem DFB-Team noch einmal größer als er es vor 2014 war. Damit sich die Gegner aber nicht auf Löws Team und dessen bekannte Muster einstellen können, ist es wichtig, schwer ausrechenbar zu sein.
Flexibilität ist - mal wieder - das große Schlagwort. Genau die gibt der aktuelle Kader auch her und Löw hat in den letzten Spielen (mit unterschiedlichem Erfolg) gezeigt, dass er durchaus bereit ist, seine Grundordnung anzupassen und situativ umzustellen.
Spielplan und Tabellen: Die EM-Endrunde in der Übersicht
Der Nationaltrainer bevorzugt ein 4-2-3-1 mit einem klassischen Mittelstürmer, was vor allem Mario Gomez zu Gute käme. Das würde auch bedeuten, dass die offensiven Flügel stark besetzt sein müssen - mit Spielern, die bis zur Grundlinie gehen und viele Flanken bringen. Schürrle, Müller und Bellarabi hätten dahingehend gegenüber Sane, Reus, Götze oder Draxler, die allesamt lieber den Weg ins Zentrum suchen (und damit die ohnehin zugestellten Räume weiter verdichten würden), die Nase vorn.
Auch Müller kann vorne in der Spitze spielen, wenngleich ihn Löw lieber auf dem rechten Flügel aufbietet. Für ein System mit der von Löw geliebten Falschen Neun sind mit Götze, Özil oder auch Reus und Schürrle gleich mehrere Spieler prädestiniert.
Mindestens genauso interessant sind die Möglichkeiten in der Verteidigung: Hier brachte Löw beim letzten Freundschaftsspiel gegen Italien erfolgreich eine Dreierkette. Dabei ließ er die Außenbahnen im Mittelfeld trotzdem von gelernten Abwehrspielern (Hector und Rudy) bekleiden, um in der Defensiv-Umschaltbewegung besser abgesichert zu sein.
Spieler, die sich schnell auf solche Umstellungen einstellen können, mag Löw besonders gerne - das ist sicher ein großer Pluspunkt von Joshua Kimmich, der bei den Bayern in dieser Saison sämtliche Defensiv-Rollen bekleidete, ob zentrales oder defensives Mittelfeld, Innen- oder Außenverteidigung. Zudem hat er CL-Erfahrung gesammelt. Ähnlich wie unter Guardiola könnte er auch bei Löw als Allzweckwaffe dienen. Auch Rüdiger, Höwedes und Mustafi sind als Innen- und Außenverteidiger einsetzbar.
Den qualitativ hochwertigsten Konkurrenzkampf hat Löw im Mittelfeld-Zentrum. Zuletzt durften Kroos und Özil auf der Doppel-Sechs ran, wenngleich Özil betonte, kein Sechser zu sein. Entsprechend wird dieser Platz eher von Sami Khedira eingenommen werden, Özil könnte dann auf seine Wunsch-Position hinter den Spitzen rücken. Ist aber auch Schweinsteiger fit und an seiner Leistungsgrenze, wird es im Zentrum eng. Kroos ist gesetzt, Khedira könnte für den Kapitän weichen.