Die U17 des DFB startet am Donnerstag in Aserbaidschan die Mission EM-Titel. Vor dem ersten Vorrundensspiel gegen die Ukraine (Do., 15 Uhr im LIVETICKER) spricht Trainer Meikel Schönweitz im Interview mit SPOX über die Unterschiede zur A-Nationalmannschaft, den Mehrwert eines Live-Spiels und Klausuren während der Europameisterschaft.
SPOX: Herr Schönweitz, auf der DFB-Homepage ist zu lesen, dass im Trainingslager vor der Europameisterschaft der letzte Feinschliff geholt werden sollte. Was macht unser U17-Diamant?
Meikel Schönweitz: Das wird sich erst beim Turnier zeigen. (lacht) Wir sind sehr angetan vom Kader und haben sehr viel Spaß mit der Truppe. Die Europameisterschaft ist für die Jungs allerdings eine komplett neue Herausforderung. Die Spieler sind noch extrem jung und haben sich vorher auf dieser Ebene noch nie gemessen.
SPOX: Auch Sie selbst sind erst 36. Ist es wichtig, dass junge Spieler einen jungen Trainer haben?
Schönweitz: Horst Hrubesch ist 65 Jahre und versteht es bestens, mit jungen Spielern umzugehen. Entscheidend ist, ob ich die Sprache der Spieler spreche und sie erreiche. Das funktioniert im Moment sehr gut und ich werde alles daran setzen, dass das in 20 oder 30 Jahren auch noch der Fall ist. Aber dafür habe ich ja noch etwas Zeit.
SPOX: Bundestrainer Joachim Löw kann sich seine Schützlinge vom Sofa aus anschauen. Wie aufwändig ist das Scouting bei Ihnen?
Schönweitz: Es ist eine Kombination aus vielen verschiedenen Faktoren. Zum einen stehe ich im ständigen Kontakt mit den Vereinstrainern. Dieser Austausch funktioniert sehr, sehr gut und ist extrem wichtig für meine Arbeit. Dazu kommen natürlich auch Sichtungsarbeiten und zahlreiche Autofahrten quer durch Deutschland. Denn ich versuche schon, so viele Spiele wie möglichst live zu sehen.
SPOX: Hat es denn einen so großen Mehrwert, dass man die Spiele live im Stadion sieht? Am TV hat man doch ganz andere Möglichkeiten.
Schönweitz: Absolut, da lohnt sich jeder einzelne Kilometer. Man bekommt vor Ort einfach ein ganz anderes Gespür für das gesamte Auftreten, die Körpersprache und die Mentalität eines jeden Spielers. Taktisches Verhalten und einzelne Details kann man auf einem Video im Anschluss dann immer noch mal anschauen. Neben den Spielen zeichnen wir ja auch jedes Training auf. Jede Einheit wird im Nachhinein noch mal analysiert. Da sieht man dann wiederum Dinge, die eben live nicht zu sehen sind.
SPOX: Inwieweit weicht die Vorbereitung der U17 von der Vorbereitung der A-Mannschaft ab?
Schönweitz: Der große Unterschied ist mit Sicherheit der zeitliche Faktor. Jogi hat seine Mannschaft drei Wochen vor dem Turnier zusammen und kann sie intensiv vorbereiten. Wir hingegen haben die Jungs lediglich vier Tage im Trainingslager bei uns. Meine Spieler sind ganz einfach keine Vollprofis, sondern Schüler. Nur ein Beispiel: In den zwei Wochen der Europameisterschaft werden alle Spieler zusammen insgesamt 20 Klausuren schreiben. Wir haben zwei Lehrer dabei, die die Spieler zwischen den Partien unterrichten.
SPOX: Haben alle die gleichen Klausuren?
Schönweitz: Nein, jeder Spieler bekommt ein individuelles Programm. Wir haben einen Schulkoordinator, der in engem Kontakt mit den unterschiedlichen Schulen steht und mir frühzeitig sagt, wer wann eine Klausur schreiben muss. Es ist uns wichtig, dass die Spieler möglichst wenig von der Schule verpassen.
SPOX: Die Spieler sind teilweise in keinem einfachen Alter. Zu wie viel Prozent sind Sie Pädagoge, Psychologe und Fußballtrainer?
Schönweitz: Bei so einem Turnier überwiegt sicherlich der psychologische Faktor. Deshalb würde ich sagen: Fußball-Trainer und Pädagoge zu je 30 Prozent, Psychologe zu 40 Prozent. Im Vorfeld eines Turniers hingegen steht das Fußballerische im Mittelpunkt. Dort wird die Basis geschaffen und es geht darum, die Qualität zu steigern.
SPOX: Heißt Psychologie auch, dass man die Spieler hin und wieder erden muss?
Schönweitz: Die Jungs machen sich vor so einer EM schon viele Gedanken, das ist klar. Aber ich muss die Spieler nicht von einem Trip runterholen. Es ist viel wichtiger, alle in die richtigen Bahnen zu lenken. Das bedeutet, dass Anspannung eher in Lust, Vorfreude und Hoffnung auf Erfolg umgewandelt wird.
SPOX: Das hört sich nach einem tiefen Griff in die Psychokiste an. Wie funktioniert so etwas?
Schönweitz: Wir versuchen es vorzuleben, indem wir überzeugt und dennoch locker auftreten. Das gesamte Team hat sich gut vorbereitet und hat alles gemacht, was nötig war. Diesen Gedanken wollen wir der Mannschaft einimpfen und ihr somit Sicherheit geben.
SPOX: Die U17 gilt auch immer als Talentpool für die A-Nationalmannschaft. Wird das System von Seiten des Verbandes vorgegeben?
Schönweitz: Als Hansi Flick Sportdirektor beim DFB wurde, wurde eine neue Spielauffassung entwickelt. Diese legt die Art und Weise fest, wie sämtliche Mannschaften im Verband Fußball spielen wollen. Dort geht es weniger um starre Systeme, sondern vielmehr um Spielprinzipien und Verhaltensweisen. Das ist der rote Faden, an dem sich alle Mannschaften orientieren müssen. Wie dies dann im jeweiligen System umgesetzt wird, ist Sache des Trainers.
SPOX: Das passt sehr gut zu ihrem Credo "Erfolg durch Variabilität".
Schönweitz: Richtig. Wir wollen uns in den einzelnen Positionen gar nicht so fix machen und flexibel spielen. Es sollen Räume geöffnet und besetzt werden - unabhängig von Positionen. Das 4-4-2 mit Raute ist unser Stammsystem, starr ist das allerdings nicht. Es ist wichtig, dass wir flexibel auf die Situation reagieren. Dann kann es auch schon mal sein, dass wir hinten nur noch mit einer Dreierkette spielen.
SPOX: Haben Sie absichtlich unterschiedliche Spielertypen nominiert, um diese Variabilität zu bekommen?
Schönweitz: In erster Linie haben wir die talentiertesten Spieler nominiert. Die Flexibilität des Kaders hat sich dann so ergeben und ist ein enormer Vorteil für uns. Es ist ja nicht so, dass wir 22 Spieler im Kader und auf allen Positionen einen Backup haben. Wir haben ja nur fünf Auswechselspieler.
SPOX: Bosnien, Ukraine und Österreich sind die Gegner in der Vorrunde. Wie sind diese Mannschaften einzuschätzen?
Schönweitz: Ukraine und Bosnien sind Mannschaften, die großen Wert auf die Defensive legen. Sie werden mit Sicherheit eher tief stehen und auf Konter spielen. Wenn man die Namen der anderen Teams liest, erwartet der ein oder andere sicherlich erst mal nichts Außergewöhnliches. Allerdings eben nur auf den ersten Blick. Die Ukraine hat in der Quali Titelfavorit England hinter sich gelassen, Österreich hat Frankreich aus der Bahn geräumt. Sie haben also bewiesen, dass sie Große schlagen können.
SPOX: Auf welche Mannschaftsteile wird es bei der EM besonders ankommen?
Schönweitz: Es zählt das Gesamtpaket. Wir wollen insgesamt eine gute Raumaufteilung finden und uns nicht auf einzelne Positionen konzentrieren.
SPOX: Dennoch gibt es bei den meisten Mannschaften immer wieder Spieler, die hervorstechen. Welche sind das in der aktuellen U17?
Schönweitz: Unser Spiel ist nicht auf einzelne Spieler ausgelegt. Wir kommen ganz traditionell über das Kollektiv. Generell traue ich den großen Sprung vielen zu. Einige können in zwei oder drei Jahren sicherlich im Seniorenbereich Fuß fassen.
SPOX: Gibt es konkrete Ziele für die EM?
Schönweitz: Wir wollen aus jedem Spiel das Maximum rausholen und sehen, wie weit uns das dann bringt. Es ist zumindest kein Rückflug vor dem 21. Mai gebucht.