Eines der größten Vorbilder aller Zeiten

SPOX
22. März 201714:02
Lukas Podolski bestreitet im Test gegen England am Mittwoch sein letztes Länderspielgetty
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Lukas Podolski bestreitet im Test gegen England am Mittwoch (20.45 Uhr im LIVETICKER) sein letztes Länderspiel für Deutschland. SPOX erinnert anlässlich des Abschieds an die emotionalsten Momente des Kölsche Jung im Trikot der Nationalmannschaft.

6. Juni 2004: Deutschland - Ungarn 0:2

Eine Generalprobe, die später als Sinnbild einer verkorksten EM stehen kann, ist schon verloren. 0:2 steht es aus deutscher Sicht, Sandor Torghelles Doppelpack hat ganz Deutschland wieder einmal ernüchtert. Thomas Brdaric wurde bereits eingewechselt, Routiniers wie Jens Nowotny, Christian Wörns und Bernd Schneider gehören auch zum Team. Und dann, ab der 74. Minute eben auch Lukas Podolski.

Zwei Tage nach seinem 19. Geburtstag feiert er sein Länderspieldebüt. Fredi Bobic muss für ihn weichen. "Das war eine tolle Geschichte", erinnert sich Podolski zwölf Jahre später zurück. Welch große Karriere ihm noch bevorsteht, ahnt er damals mit zu weit hochgezogener Hose noch nicht.

23. Juni 2004: Tschechien - Deutschland 2:1

Kurz vor dem EM-Start in Portugal überrascht Rudi Völler die ganze Nation - und Podolski selbst auch. Der Youngster wird im Duo mit Schweinsteiger von der U21 zur A-Nationalmannschaft geholt. "Plötzlich stand ich neben all den Superstars und meinen Idolen: Oliver Kahn, Michael Ballack, Jens Nowotny und Bernd Schneider. Für mich gab's nichts Geileres", erinnert er sich.

Während Deutschland beim Turnier ein Debakel erlebt, wird Podolski im dritten Gruppenspiel gegen Tschechien für 45 Minuten eingewechselt. Für ihn sind die Wochen bei der Nationalmannschaft vielleicht die wichtigsten Erfahrungswerte seiner Karriere: "Ich habe jedes Essen, jeden Termin, jedes Training genossen", sagt er heute.

21. Dezember 2004: Thailand - Deutschland 1:5

Der Schauplatz heißt Bangkok: Podolski, der zum achten Mal im DFB-Dress eingewechselt wird, löst in der 60. Minute Thomas Brdaric ab. Zwölf Minuten später stürmt er unnachahmlich vom linken Flügel ins Zentrum durch die gegnerische Abwehrreihe. Am Ende besorgt die linke Klebe den Rest. Podolski drückt die Kugel zum ersten Mal für Deutschland ins Netz, der Jubel-Finger kommt verhalten zum Vorschein. Der erste Gratulant ist - na klar - Bastian Schweinsteiger.

Kurz vor Schluss knallt Poldi noch einen rein. Das Spiel selbst geht nicht in die Geschichte ein - es ist ein bedeutungsloser Jahresausklang für das Team von Jürgen Klinsmann. Für Podolski sind es die ersten beiden Treffer seiner noch jungen Laufbahn. 46 weitere werden folgen.

15. Juni 2005: Deutschland - Australien 4:3

Ganz Deutschland bereitet sich zaghaft auf das bedeutendste Großereignis seit langer Zeit vor: die WM im nachfolgenden Jahr. Im Vorfeld des Confed Cup kommt die ganz große Begeisterung allerdings nicht auf. Noch nicht.

Das ändert sich mit dem 4:3-Auftaktsieg über Australien. Auf Vorlage Ballack trifft Podolski zum vorentscheidenden 4:2 in der 88. Minute. Zwei weitere Tore lässt Podolski im Laufe des Turniers folgen, unter anderem eines per Kopf gegen Brasilien. Am Ende ist es zwar "nur" Platz drei, die Aufbruchstimmung im deutschen Fußball aber so groß wie lange nicht. Und Poldi wird bei vielen jungen Zuschauern zu einem der größten Vorbilder aller Zeiten. Schon in jungen Jahren.

30. Juni 2006: Deutschland - Argentinien 5:3 n. E.

"Vorname Lukas, Spitzname Poldi: Glaub mir, Lukas, wir hatten voll die geile Zeit, dir zuzusehen. Kämpfe tapfer, gib uns die Chance, weiter auf deine Tore durchzudrehen", singt Xavier Naidoo vor Hunderttausenden am Ende einer langen, emotionalen und tränenreichen Heim-WM am Brandenburger Tor.

Das DFB-Team ist gerade ganz bitter an Italien gescheitert - was aber bleibt, werden die positiven Erinnerungen sein. Vor allem der Sieg über Argentinien im Elfmeterschießen. Jens Lehmann hat zwar den geheimen Zettel im Stutzen, doch auch Podolski, der zuvor Schweden im Alleingang weggeballert hat, leistet seinen wichtigen Beitrag zum Einzug ins Halbfinale: Es ist zwar nur ein Elfmeter - aber was für einer! Das zwischenzeitliche 4:2 beeindruckt auch den Gegner. Roberto Ayala zumindest, der direkt nach Poldi an der Reihe ist und verschießt.

Das Kollektiv gewinnt die Herzen der Nation. Zwei Namen vertreten die Mannschaft aber ganz besonders: Poldi und Schweini. Ihre Freundschaft wird öffentlich auf eine ganz neue Ebene gehoben, Sönke Wortmann fängt das in seinem Film extrem emotional ein.

"Deutschland 2006 war mein schönstes Erlebnis, auch wenn wir 2014 den Titel gewonnen haben", sagt Podolski später. Nach dem Turnier wird er zum besten jungen Spieler gekürt und erhält das Silberne Lorbeerblatt. Er ist der Liebling der Fans.

6. September 2006: San Marino - Deutschland 0:13

Podolski und Deutschland schreiben Hand in Hand Geschichte: Während der DFB den höchsten Erfolg in einem Pflichtspiel feiert, stellt Poldi seinen persönlichen Torrekord in der Nationalmannschaft auf. Vor dem Anstoß hat er "ein schweres Spiel" erwartet - wenig verwunderlich wird es das nicht. 12., 43., 64., 71.: Das steht später auf der Toranzeige hinter seinem Namen.

8. Juni 2008: Deutschland - Polen 2:0

Wenn es ein einzelnes Spiel gibt, das man in der Nationalmannschaft mit dem Namen Lukas Podolski verbindet, dann dieses. Der gebürtige Pole trifft beim so wichtigen EM-Auftakt doppelt. Es ist ein Spiel, in dem das Prädikat "ausgerechnet" endlich seine Berechtigung erhält. Denn: Poldi trifft sein Heimatland mitten ins Herz. Während die Zuschauer vor Freude ausrasten, jubelt Poldi nicht. Er hat nicht vergessen, woher er kommt. Und jeder sieht es.

Auch seine Familie: Alle sind da. Sein Vater, seine Freunde - einige tragen Polen-Schals. Vermutlich bündelten sich bei ihm in einer einzigen Partie nie so viele Gefühle.

1. April 2009: Wales - Deutschland 0:2

Ein Spiel, in dem Poldis Ausnahmestellung beim DFB so deutlich wird wie in keinem anderen. Es ist die 67. Minute im Millenium-Stadion von Cardiff: Podolski und Michael Ballack zoffen sich trotz Führung plötzlich auf dem Rasen. Erst schimpft der Kapitän. Dann ledert Poldi zurück. Als Ballack ihn wegschieben will, rutscht Podolski die Hand aus. Er ohrfeigt den Capitano. Ein beispielloser Skandal.

Während Effenberg, Stein oder Kuranyi zuvor nach unrühmlichen Vorfällen aus dem Kader gestrichen wurden, bleibt Podolski über alle Zweifel erhaben: "Es wird keine Geldstrafen oder sonstige Sanktionen geben", stellt Bierhoff sofort klar. "Wir klären das im Hotel", sagt Podolski. Danach ist auch alles wieder gut.

29. Mai 2013: Ecuador - Deutschland 2:4

"Die Zeiten, in denen Podolski effektiv war, scheinen ja ewig her zu sein", spricht Tom Bartels ins ARD-Mikrofon. Wenige Augenblicke zuvor hat Poldi Deutschland mit dem schnellsten Tor der DFB-Geschichte in Führung gebracht. Neun Sekunden hat er ab Anpfiff nur benötigt.

Tatsächlich gehört Podolski in der Nationalmannschaft nicht mehr zur ersten Garde. Andere, jüngere Hoffnungsträger haben ihn unter Löw überholt. Umso wichtiger ist dieser Treffer für ihn. Löw weiß, was er an seinem Schützling hat. Er fühlt sich bestätigt, Podolski trotz seiner Schwierigkeiten auf Vereinsebene weiter einzuladen. Zum WM-Kader im folgenden Jahr gehört er also trotzdem.

13. Juli 2014: Deutschland - Argentinien 1:0 n. V.

Ganz, ganz fest drücken sich Poldi und Schweini vor den unzähligen Kameras die Hand. Beide strahlen bis über beide Ohren, kneifen die Augen zu und deuten einen Kuss an. Sie kommen sich extrem nah. "Weltmeister der Herzen" erhält in diesem Moment eine neue Bedeutung. Fast scheint es, als denken sie sich: "Was soll's? Küssen wir uns halt!" Da stehen sie mit dem wichtigsten Pokal im Weltfußball.

Während des Turniers in Brasilien ist Podolski mehr Gute-Laune-Onkel als tragende Säule. Er spielt insgesamt nur 53 Minuten. Im Finale sitzt er, wie häufig zuvor, auf der Bank. Doch er ist immer mittendrin: Podolski motiviert und hält die Mannschaft beisammen. Wie sehr er letztlich den Titel genießt, zeigen die Bilder nach Abpfiff des Finals mit seinem Sohn auf dem Rasen des Maracana. Sie treiben nicht nur Podolski selbst, sondern auch den Zuschauern Freudentränen in die Augen.

"Ich habe Basti eben auf dem Platz gesagt: 'Vor zehn Jahren sind wir zusammen mit dem Auto von der U21 zur Nationalmannschaft gefahren und jetzt stehen wir hier und haben das Ding, einfach Weltklasse. Dafür spielen wir Fußball", sagt Poldi wenig später im Weltmeister-Interview.

Logischerweise lässt sich das Team - allen voran Podolski - auch das Feiern nicht nehmen. Die übermüdeten Augen sind von einer dunklen Sonnenbrille verdeckt, als er bei der Siegesfeier auf der Berliner Fanmeile bilanziert: "Überragend! Der beste Moment in der Karriere bis jetzt."

26. Juni 2016: Deutschland - Slowakei 3:0

Die Stimmung im deutschen EM-Camp in Evian-les-Bains wirkt noch sehr emotionslos. Es ist eine Spannung zu vernehmen, die durch ein Video von Joachim Löw vom Ukraine-Spiel weiter getrübt wird: Die Medien sprechen vom Eier-Gate.

Auf dem Höhepunkt der Diskussionen, die der DFB eigentlich komplett vermeiden will, tritt Lukas Podolski aufs Podium der Pressekonferenz. "Ich glaube, 80 Prozent von euch und auch ich kraulen sich mal an den Eiern", haut er raus. Schallendes Gelächter.

Podolski drückt sich zwar nicht gendergerecht aus, kommt aber bei 100 Prozent der Anwesenden gut an. Es ist nicht das übliche PR-Geplapper, sondern echte Fußballersprache. Den großen Applaus erhält er aber auch deshalb, weil er etwas zum öffentlichen Thema macht, das zwar so gut wie jeder kennt, über das aber auch jeder betreten schweigt.

Da war er also wieder, der unnachahmliche Poldi. Ehrlich. Bodenständig. Authentisch. In diesem Satz steckt alles, was seine Persönlichkeit ausmacht.

Elf Tage später darf er dann zum letzten Mal bei einem großen Turnier ran: Unter großem Jubel wechselt Löw Podolski gegen die Slowakei ein. Wieder ist das Spiel längst entschieden. Was aber fehlt, ist die emotionale Komponente. Die bringt erst die Einwechslung. Später wird Podolski von DFB-Präsident Reinhard Grindel noch einmal für seine Verdienste im Team geehrt: "Ein Weltmeister im Teambuilding."

22. März 2017: Deutschland - England

Am Mittwoch beendet der letzte schon beim Sommermärchen beteiligte Profi seine Laufbahn im DFB-Team. Mit dann 130 Länderspielen ist Podolski zur Nummer drei in der ewigen Länderspielstatistik hinter Lothar Matthäus (150) und Miroslav Klose (137) aufgestiegen. 48 Treffer bedeuten Platz vier in der ewigen Torschützliste des Nationalteams.

In Podolski verliert die Nationalmannschaft "einen leidenschaftlichen Fußballer und riesigen Sympathieträger, der uns und den Fans im Nationaltrikot fehlen wird", fasst Oliver Bierhoff es treffend zusammen.

"Die Nationalmannschaft war für mich immer Herzenssache", betont Podolski. Wenn einem dieser Satz abgenommen werden darf, dann ihm. Denn Poldi hat ihn seit seinem Debüt als 19-jähriger Lausbub immer gelebt.

"Vom zweijährigen polnischen Jungen, der quasi nur mit einem Ball unter dem Arm nach Deutschland kam, zum Weltmeister - das ist mehr, als ich mir erträumen konnte", schrieb er zum Abschied auf Facebook: "Macht's gut! Es war mir eine Ehre! Eure Nummer 10." Nach fast 13 Jahren endet nun eine sehr spezielle DFB-Beziehung mit einem Abend, der alle berühren wird.