Nach dem bitteren WM-Aus könnte ein Umbruch auf die deutsche Nationalmannschaft zukommen. Bundestrainer Joachim Löw hat seine Zukunft bisher offen gelassen, ebenso viele etablierte Stars. SPOX wirft einen Blick voraus auf die EM 2020 und nimmt die einzelnen Mannschaftsteile unter die Lupe. Wie gewaltig wird der Umbruch ausfallen? Wer wird nicht mehr dabei sein? Und wer rückt dafür ins Team?
EM-Kader 2020, Tor: Bleibt alles beim Alten?
Wahrscheinlich der Mannschaftsteil, bei dem sich über die kommenden zwei Jahre am wenigsten ändern wird: Manuel Neuer ist 32 und hat damit als Torhüter noch mehrere Jahre auf höchstem Niveau vor sich. Der Bayern-Keeper hat seinen Rücktritt bereits ausgeschlossen.
Dahinter hat der alte oder neue Bundestrainer mit dem 26 Jahre alten Marc-Andre ter Stegen eine 1b in der Hinterhand, die dem DFB ebenfalls noch lange erhalten bleiben wird. Kevin Trapp oder Bernd Leno, die sich zuletzt um den dritten Platz im Team duellierten, werden aus Altersgründen ebenfalls so schnell nicht abtreten.
Ändern könnte sich die Lage, wenn sich Neuer erneut langfristig verletzen sollte, die kommende Saison mit dem Rekordmeister wird der Lackmustest für seinen mehrfach operierten Fuß. Hält der Knochen, wäre er sicher als Nummer eins dabei.
Spannung würde es dann höchstens beim dritten Torhüter geben, sollten sowohl Trapp als auch Leno bei ihren jeweiligen Klubs Arsenal und PSG nur auf der Bank sitzen. Das könnte die Tür für einen der derzeitigen U21-Torhüter öffnen, wenn sie sich bis dahin in der Bundesliga als Nummer eins etabliert haben sollten. In Frage kämen dabei etwa der Schalker Alexander Nübel oder Moritz Nicholas von Borussia Mönchengladbach.
Ron-Robert Zieler? Der Stuttgarter war seit 2015 nicht mehr dabei und wäre in zwei Jahren 31 - zu seinen sechs Länderspielen werden keine mehr hinzukommen.
EM-Kader 2020, Abwehr: Außenverteidiger gesucht
In der Innenverteidigung wird früher oder später der Umbruch kommen: Mats Hummels ist 29, Jerome Boateng fast 30. Sie werden auch 2020 noch nicht zu alt für Topleistungen sein, siehe Sergio Ramos.
Die WM in Katar allerdings würde wohl zu spät kommen. Werfen sie in den kommenden zwei Jahren noch einmal alles in die Waagschale für den einen Titel, der ihnen noch fehlt und helfen währenddessen beim Umbruch? Gerade bei Boateng, der mit vielen Verletzungen zu kämpfen hatte, scheint ein Rücktritt nicht ausgeschlossen - gerade wenn er die Bayern verlassen und sich im Ausland noch einmal auf höchstem Niveau beweisen will.
Auch rein sportlich gesehen gibt es Nachrücker, die Hummels und Boateng den Stammplatz streitig machen. Niklas Süle hat bei den Bayern im ersten Jahr überzeugt, er und Antonio Rüdiger können im EM-Zyklus den nächsten Schritt zur Weltklasse machen. Sie sind auf jeden Fall dabei.
Dahinter steht für die Innenverteidigung Teamplayer Matthias Ginter bereit, ebenso der kurz vor der WM gestrichene Jonathan Tah von Bayern Leverkusen, der Ginter in den kommenden Jahren rein von seinen Anlagen her überflügeln könnte. Auch Schalkes Thilo Kehrer und der Herthaner Niklas Stark dürfen sich berechtigte Hoffnungen auf eine Einladung in den kommenden Monaten machen, und dann gibt es ja noch Arsenals Shkodran Mustafi. Für U21-Spieler Waldemar Anton von Hannover kommt die EM noch zu früh.
Die Auswahlmöglichkeiten wären also da, selbst bei einem Rücktritt von Boateng und/oder Hummels. Auch deshalb ist ein Comeback bekannter Namen wie Benedikt Höwedes oder Holger Badstuber selbst in Topform kaum vorstellbar.
Außenverteidiger im EM-Kader 2020: Kimmich plus X?
In der Außenverteidigung führt kein Weg an Kimmich vorbei - es sei denn, er würde als neuer Partner für Kroos im defensiven Mittelfeld auserkoren. Angesichts der Nachwuchsprobleme auf den Außen ist er dort jedoch wertvoller fürs Team. Ersatzmann für ihn könnte ein Leverkusener werden, entweder Benjamin Henrichs oder Neuzugang Mitchell Weiser. Möglicherweise ist 2020 auch Lukas Klostermann von RB Leipzig schon so weit.
Auf der linken Seite gäbe es durchaus ein Vorbeikommen an Jonas Hector, jetzt nur noch Liga 2, oder Marvin Plattenhardt. Beste Karten haben Marcel Halstenberg, wenn er seine Entwicklung nach dem Kreuzbandriss nahtlos fortsetzen kann, oder Philipp Max. Der Augsburger würde auch über links gefährliche Flanken einbringen und sollte bis zur EM seine Chance bekommen. Das Gleiche gilt für Nico Schulz, auch er wäre eine sehr offensive Variante.
Insgesamt sind die Außen neben dem Sturm die Positionen mit den größten Fragezeichen, aber auch mit einigen vielversprechenden Talenten. Eine Umstellung auf Dreierkette würde die Vorzeichen noch einmal gewaltig ändern.
EM-Kader 2020, Mittelfeld: Die Zukunft gehört Sane
In der Zentrale bahnen sich Veränderungen an: Sami Khedira wollte einen Rücktritt nach der WM nicht ausschließen, angesichts seiner 31 Jahre könnte ihm die Entscheidung jedoch abgenommen werden. Mesut Özil ließ sich zuletzt bekanntlich nicht in die Karten schauen. Sein Rücktritt käme angesichts der Kontroverse um seine Position zumindest nicht aus heiterem Himmel. Er würde bei der EM auch schon an der 32 kratzen.
Ilkay Gündogan ist bekanntlich ebenfalls nicht unumstritten, er gilt zudem als sensibler Spieler, den die Erdogan-Affäre mitgenommen haben soll. Im Gegensatz zu Özil hat er mit dem DFB-Team aber noch nichts gewonnen und seine besten Jahre noch vor sich. Er wird sich durchbeißen wollen. Toni Kroos? Auch er äußerte sich vage, aber er hat mit Real Madrid so viel gewonnen, dass die Motivation, zumindest bei der EM noch einmal anzugreifen, vorhanden sein dürfte. Viele Ziele bleiben ihm sonst nicht mehr.
Sebastian Rudy hatte in Russland starke 30 Minuten, er wird sich weiter für den Platz neben Kroos bewerben dürfen. Leon Goretzka gehört die Zukunft, auch wenn die perfekte Position für ihn noch unklar ist. Vielleicht auf den Halbpositionen in einem 4-3-3.
Wer rückt nach? Die Bender-Zwillinge klopfen seit Jahren an, sind aber auch schon 29 und wären damit kein Umbruch mehr. Besser sieht es da bei Emre Can, der unverletzt vielleicht dabei gewesen wäre. Auch Julian Weigl sollte bis 2020 weitere Schritte machen - vielleicht bei PSG?
Es gibt einige Optionen, die sich im Laufe der nächsten Jahre aufdrängen könnten: Mahmoud Dahoud vom BVB, der junge Bremer Maximilian Eggestein oder der schon etwas etabliertere Max Meyer. Schwer wird das Comeback für Christoph Kramer, für Dennis Geiger von Hoffenheim käme die EM wohl noch zu früh.
Offensives Mittelfeld: Leroy Sane muss Stammspieler werden
Offensiv und auf den außen werden die jungen Julians, Draxler und Brandt, weiter dabei bleiben. Marco Reus hat nach seiner ersten WM Blut geleckt, er wird in zwei Jahren mit gerade 31 dabei sein. Thomas Müller muss sportlich liefern, die Frage nach dem Rücktritt wies er in den Katakomben der Kasan Arena aber empört von sich.
Allesamt sollten sie keinen Weg vorbei finden an Leroy Sane. Es wird eine der Hauptaufgaben bis zur EM sein, den Flügelflitzer im DFB-Trikot zur gleichen Leistung wie unter Pep Guardiola zu bringen. Die Ausbootung vor Russland war unter gewissen Gesichtspunkten noch vertretbar. Spielt er 2020 nicht Stamm, hat man schlicht und ergreifend versagt.
Hoffen darf man auf einen wieder erstarkten Mario Götze, auch wenn er fast von vorn anfängt. Andre Schürrle ist ebenfalls erst 27. Beide stünden jedoch nicht für einen Umbruch. Den würde der Leverkusener Jungstar Kai Havertz verkörpern, der früher oder später dabei sein wird. Marius Wolf und Maximilian Philipp dürfen sich auf den Dortmunder Flügeln empfehlen, zumindest im Blickfeld sind Maximilian Arnold, Nadiem Amiri, Kerem Demirbay und Amin Younes.
EM-Kader, 2020: Wo sind die Alternativen für Timo Werner?
Auf den ersten Blick sind die Aussichten in der Spitze mager. Timo Werner ist im Kader gesetzt, für ein Spielsystem mit viel Ballbesitz und wenig Räumen aber nicht die beste Lösung. Er könnte in einem 4-3-3 auf den Flügel ausweichen. Mario Gomez hat sich um die DFB-Elf verdient gemacht, mit bald 33 bliebe er nur mangels Alternativen dabei.
Ein paar Alternativen gibt es jedoch, auch wenn ein gewisser Sandro Wagner standhaft bei seinem Rücktritt bleibt. Große Hoffnungen liegen auf seinem neuen Teamkollegen Serge Gnabry, der bei den Bayern über die kommenden Jahre den großen Durchbruch schaffen könnte. Mark Uth darf sich auf Schalke international beweisen, die Qualitäten eines Kevin Volland oder Lars Stindl sind bekannt.
Seine Chance bekommen könnte Davie Selke, er würde den klassischen Knipser verkörpern. Niclas Füllkrug steht unter Beobachtung, wird es ohne Champions oder Europa League aber schwer haben. Nils Petersen ist 29, für ihn wird es beim Trainingslager in Eppan bleiben.
Dark Horse: Jann-Fiete Arp. Ein Wechsel zu den Bayern steht im Raum - wer weiß, ob er sich in den nächsten zwei Jahren auf großer Bühne beweisen darf. Er würde für den ultimativen Umbruch stehen. Angesichts seiner erst 18 Jahre wäre das aber auch noch 2020 oder 2022 der Fall.